Sonja SteffenSPD - Änderung der Geschäftsordnung - Alterspräsident
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten und beschließen heute die Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. § 1 der Geschäftsordnung soll dergestalt geändert werden, dass zukünftig nicht mehr das lebensälteste Mitglied des Bundestages als Alterspräsident vorgesehen ist und damit die Eröffnungsrede in dem neu gewählten Bundestag hält, sondern das am längsten dem Bundestag angehörende Mitglied, das hierzu bereit ist.
Warum nun empfiehlt der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung diese Änderung? Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Vorbereitung dieser Rede habe ich einen Blick in die Geschichte des Amtes des Alterspräsidenten geworfen. Erlauben Sie mir, dass ich Sie zu dieser späten Stunde zu einer kleinen Geschichtsstunde einlade.
Seinen Ursprung hat das Amt des Alterspräsidenten in der Französischen Revolution. Der Kollege Kaster hat vorhin auf die Briten hingewiesen, die den Monarchen oder die Monarchin dazu in Anspruch nehmen. Genau das wollte man in der Französischen Revolution vermeiden. Deshalb hat man damals beschlossen, dass es ein Parlamentarier sein muss, der mit möglichst viel Autorität und Würde die Eröffnungsrede hält.
In deutschen Versammlungen und Parlamenten haben wir die sogenannte Lebensaltersregelung schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Nun hat es aber in der Geschichte des Alterspräsidenten seit der Weimarer Republik einige erstaunliche Fälle gegeben. 1932 war die Alterspräsidentin Clara Zetkin.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie war damals schon hochbetagt, und sie war sehr krank. Sie musste eigens aus Moskau anreisen, um die Eröffnungsrede zu halten. Sie hat damals eine sehr erstaunliche Rede gehalten; das hat der NSDAP überhaupt nicht gefallen. Ein paar Monate später, im November des Jahres 1932, war das Parlament aufgelöst. Als ein neues Parlament gewählt wurde, hat die NSDAP Folgendes gemacht: Sie hat ein 82-jähriges Parteimitglied in den Reichstag wählen lassen, damit die Eröffnungsrede nicht mehr von Clara Zetkin gehalten werden konnte. Dieser hat die Rede gehalten und ist nach neun Tagen zurückgetreten.
Aber auch die jüngere Vergangenheit zeigt Beispiele, die belegen, wie das Amt durch die Regelung nach dem Lebensalter zum Spielball werden kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich kann auch Ihnen eine kleine Geschichte nicht ersparen. 1983 gab es den Kandidaten Werner Vogel, der ebenfalls relativ betagt war. Er hat in Kandidatenbriefen dafür geworben, dass er in seiner ersten Rede eine grüne Rede halten werde. Nicht nur, aber auch mit dieser Argumentation hat er es tatsächlich in NRW auf Listenplatz 1 geschafft. Er musste aber noch vor Antritt des Amtes zurücktreten, weil ihm eine NS-Vergangenheit nachgewiesen werden konnte.
Einen weiteren bemerkenswerten Höhepunkt fand das Amt des Alterspräsidenten schließlich bei der Wahl 1994, als Stefan Heym, über die Liste der PDS in den Bundestag eingezogen, zum lebensältesten Parlamentarier bestimmt wurde. Schon im Vorfeld ist diese Personalie öffentlich und zum Teil recht unschön diskutiert worden. Den traurigen Höhepunkt fand die Diskussion schließlich in dem sich später als unbegründet erwiesenen Vorwurf – übrigens einen Tag vor der Eröffnungsrede –, dass Stefan Heym für die Stasi gearbeitet habe. Es war übrigens unser ehrenwerter ehemaliger Kollege Wiefelspütz, der den GO-Ausschuss leitete und der sich, soweit meine Recherchen zurückgehen, schon damals dafür ausgesprochen hat, über diese Regelung nachzudenken.
Zu welchem Ergebnis führt uns denn nun der Blick in die Geschichte? Er zeigt, dass das Amt des Alterspräsidenten in der öffentlichen Wahrnehmung sehr bedeutend ist; denn er hat eine herausragende Position. Der Alterspräsident vertritt den Bundestagspräsidenten, und der Bundestagspräsident steht in der protokollarischen Rangfolge direkt unter dem Bundespräsidenten. Das heißt also, für diese kurze Zeit ist der Alterspräsident der zweitwichtigste Mann bzw. – hoffentlich werden wir auch das einmal erleben – die zweitwichtigste Frau in der Republik.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Er leitet die konstituierende Sitzung des neuen Bundestages und ebnet damit den Weg in eine neue Legislaturperiode.
Wahltaktische Spielereien und breite Diskussionen über Personen im Vorfeld sollte es nicht geben. Deshalb haben wir uns jetzt darauf verständigt, dem Abgeordneten oder der Abgeordneten, der oder die am längsten dem Bundestag angehört, den Vorsitz zu übertragen. Dies ermöglicht, dass ein erfahrener Parlamentarier oder eine erfahrene Parlamentarierin die konstituierende Sitzung leitet, jemand, der die parlamentarischen Gepflogenheiten kennt, mit den Abläufen vertraut und in der Lage ist, seine Erfahrungen in das Amt mit einzubringen; denn wir wollen an dieser Stelle nichts dem Zufall überlassen. Es ist völlig richtig, dass eben nicht zufällig der älteste Abgeordnete diesen feierlichen Moment der Plenumseröffnung prägen sollte, sondern einer, der lange Erfahrung hat und weiß, worauf es im Parlamentsbetrieb ankommt.
Nun könnte man allenfalls noch über den Zeitpunkt streiten: Ist die vorgesehene Änderung der Geschäftsordnung zwar eine gute Idee, aber der Zeitpunkt nicht der richtige? Dazu hat mein Kollege Kaster vorhin schon ausgeführt: Der Blick geht in die Zukunft, in die nächste Wahlperiode.
Ich möchte das Ende meiner Rede dazu nutzen, aus der Eröffnungsrede von Willy Brandt zu zitieren, der übrigens 1983 Alterspräsident wurde. Willy Brandt hat damals gesagt:
Gemeinsam wollen wir darüber wachen, daß sich die Schrecken der Vergangenheit, in welcher Form auch immer, nicht wiederholen.
Dann hat er angemahnt:
Das Parlament in seiner Gesamtheit – und jeder Abgeordnete für sich – ist dazu berufen, darüber zu wachen, daß die auf Zeit vergebene demokratisch-politische Macht zum Wohle aller gebraucht wird.
Ich möchte Folgendes hinzufügen: Wir sollten daran denken, dass wir eine streitbare Demokratie sind, die sich gegen ihre Feinde zur Wehr setzt. Dabei sollten wir alle demokratischen Mittel nutzen, um die Würde dieses Hauses zu verteidigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen. – Als nächste Rednerin spricht Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7115330 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 237 |
Tagesordnungspunkt | Änderung der Geschäftsordnung - Alterspräsident |