23.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 241 / Tagesordnungspunkt 32

Hans-Ulrich KrügerSPD - Bericht des 4. Untersuchungsausschusses (cum-ex)

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man mich vor anderthalb Jahren gefragt hätte: „Was verstehst du unter Cum/Ex?“, hätte ich, außer dass es sich um zwei lateinische Wörter handelt, nicht viel dazu sagen können. Dass sich hinter Cum/Ex Finanzbetrügereien ohnegleichen versteckten, musste auch ich erst begreifen und – wie viele andere auch – verstehen lernen. Das hat seinen Grund.

Das Geschäftsmodell Cum/Ex zu verstehen, braucht eben Zeit. Es ist nämlich beunruhigend, zu sehen, wie viele kriminelle Energie Finanzmarktakteure an den Tag gelegt haben, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die nur ein einziges Ziel hatten: den Staat zu betrügen.

Cum/Ex-Geschäfte sind Gestaltungsmodelle mit Aktienleerverkäufen um den Dividendenstichtag, die auf eine mehrfache Erstattung oder Anrechnung einer nur einmal gezahlten Kapitalertragsteuer gerichtet waren. Ganz einfach ausgedrückt: Einmal wurde Kapitalertragsteuer gezahlt, und es wurden mindestens – ich bitte, das Wort „mindestens“ zu beachten – zwei Steuerbescheinigungen ausgestellt. Das ist im normalen Leben ungefähr so, als wenn eine Familie mit einem Kind morgens in der Stadt A Kindergeld beantragt, dann nachmittags in die Stadt B fährt und für dasselbe Kind ein weiteres Mal Kindergeld nicht nur beantragt, sondern – schlimmer noch – auch tatsächlich gewährt bekommt. Jedem rechtschaffenen Menschen muss an dieser Stelle klar sein: Hier stinkt etwas, hier ist etwas faul.

Diese doppelte Ausstellung einer Kapitalertragsteuerbescheinigung war nunmehr also der Gegenstand unserer Prüfung. Dabei ist offensichtlich, dass durch die Auszahlung bzw. Anrechnung dieser Gutschriften der Allgemeinheit wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, ein Schaden, den die beteiligten Finanzmarktakteure als Beute unter sich aufteilten.

Das Bundeszentralamt für Steuern kommt für seinen Bereich zu dem Ergebnis, dass der entstandene Schaden durch diese Geschäfte um die 500 Millionen Euro betrug. Nimmt man also einen entsprechenden Maßstab für die Landesfinanzbehörden, so kann ein weiterer Schaden von circa 400 Millionen Euro angenommen werden, sodass wir insgesamt bei knapp 1 Milliarde Euro liegen. Es gibt – das ist in den Medien mehrfach dargestellt worden; ich denke, das werden meine Kollegen gleich auch noch intensiv tun – auch andere, auf hypothetischen Zahlen beruhende Berechnungen, die aber nicht belegbar sind.

Nur: Bei einer Kapitalertragsteuer von 25 Prozent auf eine Dividende von 4 oder 5 Euro müssen Zigmilliarden an Aktienpaketen hin und her und her und hin transferiert worden sein, um diese 1 Milliarde Euro, die dem Steuerzahler wehtut, die uns allen wehtut, zu erzielen.

Der 4. Untersuchungsausschuss, der „Cum/Ex“, wurde auf Bestreben der Oppositionsfraktionen einberufen mit dem Ziel, zu klären, ob Cum/Ex-Geschäfte durch Fehler staatlicher Einrichtungen erleichtert wurden. In knapp anderthalb Jahren hat der Ausschuss insgesamt 46 Sitzungen absolviert, davon 18 öffentliche Beweisaufnahmen; er hat dabei fünf Sachverständige und circa 70 Zeuginnen und Zeugen gehört. Wir haben 107 Zeugenbeweisbeschlüsse und 96 Aktenbeweisbeschlüsse gefasst. In dieser kurzen Zeit haben wir eine für alle beteiligten Personen herausragende, arbeitsintensive Aufgabe gelöst, für die ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern meinen Respekt ausspreche und ihnen nochmals für ihren Einsatz danken möchte.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sehr fleißig!)

In der Bewertung der Ergebnisse des Ausschusses möchte ich auch gern eines klarstellen: Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen waren zu jedem Zeitpunkt rechtswidrig.

(Beifall der Abg. Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU] – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat bloß niemand gesagt!)

Wir haben klar festgestellt, dass das deutsche Steuerrecht in den Jahren 1999 bis 2012 keinerlei Möglichkeit geboten hat, eine einmal einbehaltene Kapitalertragsteuer in rechtmäßiger Art und Weise mehrfach anrechnen zu lassen. Eine diesbezügliche Gesetzeslücke hat nie bestanden. Das, was Banken und Finanzmarktakteure mit krimineller Energie vollzogen haben, war rechtswidrig, auch wenn diese Akteure meinten, mit juristischen Gutachten den Eindruck erwecken zu können, seriöse Geschäfte zu betreiben. Ich wiederhole: Jedem rechtschaffenen Menschen ist klar: Für eine einmal gezahlte Steuer gibt es nur einmal eine Bescheinigung.

Die entgegenstehende Geschäftspraxis war verwerflich, kriminell. Den Akteuren gehört insofern das Handwerk gelegt. Das, denke ich, war einer der wesentlichen Punkte. Da müssen wir uns dafür bedanken, dass es mittlerweile intensiv arbeitende Staatsanwaltschaften gibt, die die Täter überführen und überführen werden. Mein Dank geht in diesem Fall auch an den scheidenden Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der durch den Ankauf von Steuer-CDs einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, den Fahndungsdruck zu erhöhen und die Verursacher dieser Geschäfte zu bezeichnen.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie auch noch was über Peer Steinbrück?)

Die beteiligten Finanzmarktakteure haben ihre Anlagenstrategie den für sie zuständigen Behörden gegenüber bewusst verschleiert mit der Folge, dass die Entwicklung des Geschäftsmodells nicht erkennbar war. Superreiche und Banker haben sich eine Parallelwelt geschaffen, in der ein Beitrag zu unserer Solidargemeinschaft nicht mehr vorkommt. „ Gier frisst Seele“ oder „Gier frisst Anstand“, meine Damen und Herren, das passt hier ganz gut.

Der Ausschuss hat ferner klar dargelegt, dass die zuständigen Behörden in Bund und Ländern in den letzten Jahren unter Hochdruck zum einen Kapitalertragsteuererstattungen verweigert, zum anderen bereits erstattete Steuern zurückgeholt haben – in Anbetracht der komplizierten und schwer zu durchschauenden Sachverhalte eine respektable Leistung. Ich darf daher sagen: Die mit der Materie befassten staatlichen Stellen haben nach Erkennen dieses undurchschaubaren Geschäftsmodells Gutes und Herausragendes geleistet.

Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss noch einige Worte des Dankes sagen. Auch wenn wir darüber streiten können, ob dieser Ausschuss notwendig war oder nicht – ich weiß, da gibt es zwischen den Mehrheitsfraktionen und der Opposition Bewertungsunterschiede –, möchte ich doch eines klarstellen: Trotz aller Kontroversen und unterschiedlichen Meinungen danke ich Ihnen allen für die konstruktive, sachliche Atmosphäre im Ausschuss. Der überwiegende Teil der Beweisanträge ist gemeinsam gestellt worden, ein noch größerer Teil von Beweisbeschlüssen von allen Fraktionen gemeinsam gefasst worden.

Ein weiterer großer Dank geht an das Sekretariat mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die auch unter Missachtung der Wochenenden Erhebliches geleistet haben, mich hervorragend unterstützt haben und allen Beteiligten ihre Dienste über das Maß hinaus angeboten haben. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

Der gleiche Dank gilt selbstverständlich allen Mitarbeitern der Fraktionen und natürlich auch dem von allen Fraktionen gemeinsam eingesetzten Ermittlungsbeauftragten Jürgen Kapischke, der uns mit seinem Sachverstand als ehemaliger Generalstaatsanwalt nachhaltig und hervorragend unterstützt hat.

Für mich selber kann ich sagen: Der Vorsitz dieses Untersuchungsausschusses hat meine Arbeit in den letzten anderthalb Jahren bereichert, und ich bin dankbar dafür, dass ich zum Abschluss meiner Tätigkeit im Deutschen Bundestag noch einmal eine derart verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen durfte.

Herzlichen Dank und Tschüs!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch Ihnen, Herr Krüger, einen ganz herzlichen Dank für die Arbeit, die Sie geleistet haben. Gerade die Arbeit in einem Untersuchungsausschuss ist – das wissen wir alle – nicht nur sehr anspruchsvoll, sondern auch sehr zeitaufwendig und manchmal auch sehr mühsam. Aber er ist ein ganz wichtiges Instrument für den Deutschen Bundestag. Deswegen Ihnen ganz herzlichen Dank!

(Beifall)

Richard Pitterle hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7123090
Wahlperiode 18
Sitzung 241
Tagesordnungspunkt Bericht des 4. Untersuchungsausschusses (cum-ex)
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