28.06.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 242 / Tagesordnungspunkt 4

Christian FlisekSPD - Bericht des 1. Untersuchungsausschusses (NSA)

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Als der Untersuchungsausschuss eingesetzt worden ist – ich kann mich noch sehr gut daran erinnern –, hatten wir unsere ersten Pressekontakte. Man hat mich damals gefragt: Herr Flisek, sind Sie eigentlich der Überzeugung, dass dieser Ausschuss irgendetwas herausfinden kann? Dieser Ausschuss ist doch von Anfang dazu verurteilt, erfolglos zu sein.

Heute wird der Abschlussbericht vorgelegt, und wir haben wieder viele Pressetermine. Jetzt ist die Fragestellung schon etwas anders. Ich wurde gefragt: Herr Flisek, was, glauben Sie denn, ist der größte Erfolg dieses Ausschusses? Diese Frage insinuiert schon einmal zweierlei: erstens, dass er überhaupt erfolgreich war, und zweitens, dass es im Zweifel auch mehrere Erfolge gab, von denen einige die größeren sein können. Ich bin der Überzeugung, dass wir mit dieser Ausschussarbeit sehr viele Erfolge hatten.

Ich will Ihnen auch sagen, was ich für den größten Erfolg halte. Ich glaube, dass dieser Ausschuss das sehr pikante Thema „nachrichtendienstliche Operationen und Kooperationen“ mit einer Transparenz verhandelt hat, die im internationalen Maßstab eigentlich einzigartig ist. Kein Ausschuss – ich würde mich vielleicht sogar trauen, zu sagen: bisher auch kein anderes Gremium dieses Hauses – ist so tief in die Arbeit von SIGINT – Signals Intelligence, elektronische Kommunikationsüberwachung – vorgedrungen wie dieser Ausschuss. Man könnte vielleicht sogar eine historische Anleihe finden und sagen, dass es seit den Untersuchungen des sogenannten Church Committee im US-Senat Mitte der 1970er-Jahre weltweit keine so offene und schonungslose Untersuchung nachrichtendienstlicher Tätigkeit gab.

Meine Damen und Herren, der Ausschuss hat gemeinsam – gemeinsam – nicht nur meterweise geheime und streng geheime Unterlagen gesichtet, sondern wir haben auch Zeugen gehört – bis hinunter auf die operativ tätige Sachbearbeiterebene in den Nachrichtendiensten. In öffentlicher Sitzung wurden auch nachrichtendienstliche Methoden erörtert, die bis dato nur Eingeweihte kannten.

Eines muss man auch sagen – diejenigen, die schon öfters mit Untersuchungsausschüssen zu Nachrichtendiensten zu tun hatten, wissen das –: Nachrichtendienstliche Erkenntnisse in Untersuchungsausschüssen zu gewinnen, ist für Abgeordnete oft Schwerstarbeit. So ist es auch in diesem Ausschuss gewesen. Die Bundesregierung hat es uns nicht immer leicht gemacht. Ich habe das Verhältnis zur Bundesregierung einmal als ein sportliches Verhältnis bezeichnet. Aber zum Sport gehört auch Fairness, und so war es auch hier, zwar nicht immer, aber in weiten Teilen; das muss ich auch sagen.

Trotz der freundlichen Zusicherung vonseiten der Bundesregierung, man werde im Parlament alles offenlegen, taten sich in der Praxis dennoch schwarze Löcher und viele formale Hürden auf. Ich erwähne hier nur einmal Verschlusssachenanweisungen, Geheimschutzabkommen, Aussagegenehmigungen. All diese Begriffe haben uns über viele Sitzungen hinweg gequält, Begriffe, die umschreiben, dass wir etwas nicht erfahren können oder sollen. Am Ende ist natürlich auch der Umstand, dass im Kanzleramt selbst Dinge nicht bekannt waren, die das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde eigentlich hätte wissen müssen, als schwarzes Loch zu bezeichnen.

Die SPD hatte in diesem Ausschuss sicherlich keine leichte, aber doch eine ambitionierte Position. Wir hatten es mit einem Koalitionspartner zu tun, mit dem wir über weite Strecken fair und gut zusammengearbeitet haben, der aber auch – das muss ich sagen; das hätte ich mir gewünscht – manchmal etwas mehr Initiative hätte zeigen können, um auch die heißen Eisen unseres Einsetzungsauftrages anzupacken. Vorrangig ging es der Union teilweise doch nur darum, die eigenen Minister und vor allen Dingen die Bundeskanzlerin aus der Schusslinie zu halten und die Sicherheitsbehörden nicht zu verärgern. „ Der Laden läuft ja irgendwie. Bitte nicht stören!“, das war die Devise.

Andererseits hatten wir es mit einer Opposition zu tun, die an substanzieller Aufklärung nur in Maßen interessiert war. Man arbeitete ergebnisorientiert, aber leider stand das Ergebnis allzu oft schon vorher fest, meine Damen und Herren. Solange man BND-Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten insgesamt als Teufelszeug abtut, kommen wir, glaube ich, nicht wirklich weiter.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Teufelszeug!)

„Man sollte so nicht arbeiten“, das möchte ich Ihnen zurufen, weil ein solches Arbeiten das Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden untergräbt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Linke hat in ihrem Parteiprogramm die Forderung stehen, die Nachrichtendienste abzuschaffen. Das ist allerdings in diesen Zeiten ein fatales Zeichen. Wir sollten uns bemühen, kein Wasser auf die Mühlen solcher Forderungen zu gießen.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Für uns als SPD steht fest: Wir brauchen gerade in diesen Zeiten Nachrichtendienste zur Gewährleistung unserer Sicherheit. Wir brauchen Dienste, die international kooperieren.

(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

Für uns steht aber auch fest, dass solche Dienste nur auf der Grundlage klarer rechtsstaatlicher Regeln arbeiten können und dass ihnen auch Grenzen aufgezeigt werden müssen. Damit dies durchgesetzt werden kann – wir haben keine Gerichte, die so etwas kontrollieren –, bedarf es einer effizienten parlamentarischen Kontrolle. Nur dann schaffen wir Legitimation. Nur mit Legitimation ist so etwas wie ein Nachrichtendienst in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat überhaupt denkbar.

Wir – da bin ich stolz auf meine Fraktion – haben es uns nicht leicht gemacht. Wir haben es, denke ich, auch der Regierung nicht leicht gemacht. Die SPD hat mit ihrer Arbeit fortwährend und nachhaltig auf Aufklärung gedrängt und auf Transparenz gepocht. Mit Hunderten Beweisanträgen und Zeugenvernehmungen bis tief in die Nacht haben insgesamt alle Fraktionen nach und nach Dinge aufgedeckt, die die Bundesregierung mit Sicherheit lieber für sich behalten hätte.

Die Kooperation mit US-Diensten ist hier zu erwähnen, die ohne eine ausreichende Rechtsgrundlage erfolgt ist. Uns allen schallt noch die Weltraumtheorie im Ohr. Teilweise wurden hier abstruse Rechtsansichten vorgebracht, um die Anwendung deutschen Rechts auszuhebeln. Auch die Verwendung unzulässiger Selektoren im NSA-Portfolio und im eigenen Portfolio haben wir aufgedeckt. Das Bundeskanzleramt hat erst durch unsere Arbeit davon erfahren; darauf können wir stolz sein. Wir haben eklatante Organisationsmängel beim BND festgestellt: von der Spitze bis hin zur letzten Außenstelle.

Meine Damen und Herren, ich muss es auch sagen: Politisch betrachtet hat das Bundeskanzleramt – ich sage hier: auch die Bundeskanzlerin – bei der Bewältigung der NSA-Affäre versagt. Wer moralisch auf einem hohen Ross reitet und fröhlich davon trällert, Abhören unter Freunden ginge gar nicht, aber gleichzeitig eine Haltung an den Tag legt, die deutlich macht: „Am liebsten möchte ich von diesen Themen überhaupt nichts wissen“, wer sich bei diesen Themen einmauert, wer sich von allen Informationsflüssen sozusagen abschneidet – wir haben selbst nach acht Stunden Vernehmung der Bundeskanzlerin nicht herausfinden können, was sie mit diesem Satz meint –, der zeigt deutlich, dass im System etwas nicht funktioniert.

Meine Damen und Herren, ein Kanzleramtsminister, der unbesonnen und nebulös von einem No-Spy-Abkommen schwadroniert und die NSA-Affäre für abgeschlossen und beendet erklärt, bevor sie überhaupt losgegangen ist, der leistet keinen Beitrag zur Aufklärung, ebenso wenig wie der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, der sich hoffnungslos in die These verrannt hat, Edward Snowden sei ein Moskauer Agent gewesen. Kein Wunder bei einer Spionageabwehr, die im Kalten Krieg stecken geblieben ist. Ich glaube, das sind existenzielle Themen, die uns auch in der nächsten Legislaturperiode werden beschäftigen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte aber auch deutlich sagen: Der BND ist keine kriminelle Organisation, der die Daten braver Bürger an die maßlosen Datenstaubsauger aus dem Ausland verhökert. Nein, der BND ist eine normale Behörde mit einem besonderen Auftrag. Dort arbeiten ganz normale Menschen, die ihren Job machen, die ihren Job gut machen wollen, die sich an Gesetze halten und auch an ihre Pensionen denken; das muss man mal einfach auch so sagen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran gibt es aber Zweifel!)

Deswegen konnten wir in unserer Arbeit den behaupteten millionenfachen Grundrechtsbruch, begangen an deutschen Staatsbürgern durch deutsche Dienste, nicht feststellen. Es gab allerdings auch Einzelfälle, und jeder Einzelfall zählt. Wir werden bei der parlamentarischen Kontrolle unser Augenmerk darauf richten müssen, damit es in Zukunft nicht mehr zu diesen Einzelfällen kommen wird.

Ich möchte noch ein Wort zu den Internetfirmen sagen – Google und Co –, die sich durch ein Schweigekartell einer offenen Auseinandersetzung entzogen haben. Ich finde, dass das ein ganz schräges Licht auf diese Unternehmen wirft, und sie müssen selber wissen, wie sie damit umgehen. Unsere Aufgabe als Parlamentarier ist es, in einer solchen Debatte offen anzusprechen, dass dies kein Umgang mit einem deutschen Parlament ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss eines sagen: Ich finde es nicht gut, dass Herr Sensburg, der Vorsitzende des Ausschusses, schon vor dieser Debatte und dem Abschlussbericht ein Buch veröffentlicht hat, in dem er viele Dinge vorwegnimmt und in dem er in einer Weise – das kann Ihre Meinung sein; die gestehe ich Ihnen zu – auf Zeugen dieses Ausschusses eingeht, die in Teilen ein Diskreditieren ist. Ich finde es auch nicht gut, dass Sie selber damit werben, dass das aus den Akten des Untersuchungsausschusses sei. Ich sage ganz offen: Das ist, finde ich, kein guter kollegialer parlamentarischer Stil. Ich richte das auch an Sie: Überlegen Sie sich das bitte einmal. Ich fände es gut, wenn andere in Zukunft von solchen Maßnahmen Abstand nehmen.

Mein Fazit ist: Dreieinhalb anstrengende Jahre in diesem Ausschuss – jede Minute – haben sich gelohnt. Ich danke allen Kollegen für die trotz allen Dissenses faire Zusammenarbeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU])

Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Hans-Christian Ströbele das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7124844
Wahlperiode 18
Sitzung 242
Tagesordnungspunkt Bericht des 1. Untersuchungsausschusses (NSA)
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