18.01.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 7 / Tagesordnungspunkt 9

Kerstin GrieseSPD - Antisemitismus

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor kurzem hat eine 15-jährige Schülerin aus Dresden den Preis für Zivilcourage, gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus erhalten. Sie hat Zivilcourage gezeigt, als sie sich gegen antisemitische und fremdenfeindliche Äußerungen an ihrer Schule und in WhatsApp-Gruppen zur Wehr gesetzt hat. Dort wurden der Hitlergruß und entwürdigende und schreckliche Fotos der Opfer des Holocausts gezeigt. Ihre Mitschüler haben sie ausgelacht, aber sie hat sich dagegengestellt. So etwas verdient Lob und Anerkennung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

Emilia, die ihren Nachnamen nicht veröffentlicht sehen möchte, hat dann einen Teil des Preisgeldes an einen 14-jährigen Berliner Schüler – einen jüdischen Schüler – gespendet, der an seiner Schule wochenlang gemobbt, bedroht und angegriffen worden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist bedrückend, dass das Wort „Jude“ inzwischen eines der häufigsten Schimpfwörter auf unseren Schulhöfen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja! Von wem denn?)

Vor kurzem – Herr Kauder hat es schon angesprochen – hat ein deutscher Mann sechs Minuten lang hier mitten in Berlin die Besitzer des Restaurants Feinberg’s, einem Treffpunkt mit guter israelischer Küche, massiv antisemitisch beschimpft. Juden gehörten ins Gas, hat er da gerufen – vor laufender Kamera. Judenhass, öffentlich, mitten in Berlin. Das war kein importierter Antisemitismus, sondern das zeigt leider: Antisemitismus gab und gibt es mitten unter uns. Es gibt den direkten, oft gewalttätigen Antisemitismus, und es gibt subtile Aktionen, auch dort, wo kaum Juden leben oder der Absender gar keine jüdischen Bürgerinnen und Bürger kennt.

Es gibt Antisemitismus im Internet, und es gibt ihn, wenn israelische Fahnen und Symbole vor dem Brandenburger Tor verbrannt werden. All das verurteilen wir aufs Schärfste, und wir brauchen mehr couragierte Menschen, die dagegen aufstehen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)

Wir stellen uns eindeutig auf die Seite derjenigen, die gegen Hass und Antisemitismus aktiv sind. Ich bin sicher, das ist die Mehrheit in unserer Gesellschaft. Für uns gilt: Antisemitismus bekämpfen wir in jeder Form, und gleichzeitig wollen wir jüdisches Leben in Deutschland fördern und unterstützen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kauder hat schon den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus erwähnt. Danke noch einmal sehr herzlich dafür! Ich bin sehr froh, dass wir heute Konsequenzen aus diesem Bericht ziehen. Das Hauptfazit des Expertenberichts lautet: Antisemitismus ist kein Problem der Juden, sondern der Gesellschaft. – Das heißt, es geht uns alle an:

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Staat und Gesellschaft, Parteien, Verbände, Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Medien und jeden Einzelnen.

Erschreckend ist für mich, gerade auch als Historikerin, die sich intensiv mit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden beschäftigt hat, wenn eine Schlussstrichmentalität aufkommt, als ob wir überhaupt keine Verantwortung dafür hätten, was aus unserer Geschichte wird. Besonders schlimm ist es, wenn es auch noch öffentlich unterstützt wird. Die skandalöse Hetze gegen das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist eine Schande.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der dafür verantwortliche AfD-Spitzenpolitiker ist weiterhin Mitglied seiner Partei. Das ist eine Schande.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Denkmal hier mitten im Herzen Berlins ist ein würdiges Zeichen der Erinnerung an die Opfer der Schoah. Es steht genau an der richtigen Stelle: Im Herzen Berlins erreicht es die Herzen vieler Menschen, die unsere Hauptstadt besuchen und die damit an unsere Verantwortung für unsere Geschichte erinnert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, besonders oft zielt der Antisemitismus auf den Staat Israel und auf seine mehrheitlich jüdische Bevölkerung. Gerne wird das dann „Israelkritik“ genannt, ein verschleiernder Begriff, den es zu keinem anderen Land gibt. Selbstverständlich ist Kritik an der Regierungspolitik von Herrn Netanjahu und auch an der Siedlungspolitik im Westjordanland kein Antisemitismus. Wer aber seine Ablehnung auf das Land, auf die Bevölkerung insgesamt und pauschal überträgt und wer seine wohlfeile Kritik mit judenfeindlichen Boykottaufrufen und antisemitischen Klischees vermischt, der muss und wird auf unseren entschiedenen Widerspruch stoßen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)

Dazu zählen auch der Vergleich der israelischen Regierung mit den Nationalsozialisten und das Infragestellen des Existenzrechtes Israels. Das dulden wir nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind für uns nicht verhandelbar.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)

Antisemitismus und Antizionismus finden sich in allen politischen Lagern, sie sind kein Randphänomen. Sie sind am häufigsten – Herr Kauder hat das schon gesagt – als Kern rechtsextremer Positionen zu finden. 90 Prozent aller Straftaten kommen von rechtsextremer Seite. Aber ja, es gibt auch Antisemitismus unter denen, die aus Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens zu uns gewandert sind und in deren Herkunftsländern man von klein auf ein Feindbild der Juden und des Staates Israel vermittelt bekommt. Neben der Religion scheint die Herkunftsregion von größerer Bedeutung zu sein. Gerade deshalb sage ich so deutlich: Wir dürfen Minderheiten nicht gegeneinander ausspielen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Herrn Josef Schuster, sehr dankbar, dass er erst kürzlich in einem Interview der „Frankfurter Rundschau“ gesagt hat:

Muslime sind nicht der Feind der Juden.

Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen deshalb allen Erscheinungsformen des Antisemitismus entgegentreten durch Aufklärungsarbeit, durch Dialog – unabhängig von der Herkunft oder der religiösen Zugehörigkeit. Ich freue mich, dass es Initiativen gibt, in denen Christen, Juden und Muslime gemeinsam gegen Antisemitismus aktiv sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir schlagen heute konkrete Punkte vor, um die Arbeit gegen Antisemitismus zu verstärken. Wir wollen einen Beauftragten einsetzen. Vielen Dank für die klare Zusage, Herr Kauder. Wir wollen ihn gern im Kanzleramt ansiedeln, um seine zentrale Bedeutung noch einmal zu betonen. Viele Experten haben das so empfohlen, auch Charlotte Knobloch. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden hat noch einmal betont: Es ist wichtig, dass der Antisemitismusbeauftragte – ich zitiere – „mehr als symbolischen Charakter“ haben muss.

Wir wollen zum Zweiten das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Antisemitismus nachhaltig und gezielt fördern. Wir wollen es ausreichend finanziell ausstatten und verstetigen. Die SPD-Fraktion ist weiterhin dafür, das mit einem Demokratiefördergesetz zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen das Straf- und Versammlungsrecht überprüfen, ob es ausreicht, um solche Taten wie das Verbrennen der israelischen Flagge und andere antisemitische Ausschreitungen zu ahnden. Und wir müssen antisemitische Straftaten besser erfassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir verurteilen aufs Schärfste die BDS-Bewegung, die mit „Boycott, Divestment and Sanctions“ – also Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen – gegen israelische Geschäfte und Waren vorgeht. Man muss sich das mal vorstellen! Ich finde es unerträglich, Aufrufe zu sehen, Waren nicht zu kaufen, weil sie aus Israel sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will in diesem Zusammenhang auch ganz klar sagen: Die Tatsache, dass neulich eine Fluggesellschaft – in diesem Fall war es Kuwait Airways – israelische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger von Deutschland aus nicht transportiert hat und sie damit ja auf deutschem Hoheitsgebiet diskriminiert hat, muss Folgen haben. Mein dringender Appell geht dahin, über die europäischen und internationalen Luftverkehrsabkommen und das deutsche Luftfahrtrecht eine solche Diskriminierung zu ahnden.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

Ganz besonders wichtig im Kampf gegen Antisemitismus sind Bildungsangebote und Begegnungen. Wir schlagen hier vor, die Geschichtsvermittlung im Rahmen der Integrationskurse auszubauen und Moscheegemeinden und muslimische Träger in den Dialog mit jüdischen Partnern einzubeziehen.

Mir liegt der Jugendaustausch besonders am Herzen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass der deutsch-israelische Jugendaustausch eine ganz wichtige Sache ist. Das Interesse Jugendlicher ist regelmäßig höher als die Mittel dafür. Wir sagen hier klar, dass wir den Jugendaustausch zu einem deutsch-israelischen Jugendwerk mit bilateralen Strukturen ausbauen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kollegin Griese, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolte?

Nein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Antisemitismus ist über 70 Jahre nach der Schoah, nach der Entrechtung, Verfolgung und Ermordung von 6 Millionen Menschen, immer noch in der deutschen Gesellschaft vorhanden. Deshalb sage ich für meine Fraktion ganz klar: Aufgrund unserer Geschichte tragen wir als Deutsche eine besondere Verantwortung im Kampf gegen den Antisemitismus.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und ich betone auch: Wir sind dankbar, dass es trotz des Holocausts wieder jüdisches Leben, dass es Synagogen, jüdische Kindergärten und Schulen, Kultur und Vielfalt in Deutschland gibt.

Die Erinnerung an die Geschichte ist uns Verpflichtung, für jüdisches Leben in Deutschland, für das friedliche Miteinander und für eine gute gemeinsame Zukunft einzutreten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Als nächste Rednerin erhält Beatrix von Storch für die Fraktion der AfD das Wort.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7192627
Wahlperiode 19
Sitzung 7
Tagesordnungspunkt Antisemitismus
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