Fritz FelgentreuSPD - Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der 11. September 2001, die Anschläge von Madrid und London und das Attentat auf eine Gruppe deutscher Touristen auf Djerba in Tunesien im April 2002 haben sicherheitspolitisch ein neues Zeitalter eingeleitet. Seitdem stehen alle westlichen Demokratien im Fokus des islamistischen Terrorismus.
Eine Zeit lang konnte es so scheinen, als ob wir in Deutschland von einem Anschlag verschont bleiben würden. Aber die Gefahr schwebte über uns, während die Sicherheitsbehörden ihre Schutzvorkehrungen überall systematisch verstärkten. So kam es – all diesen Maßnahmen zum Trotz – seit dem Herbst 2015 zu einer Serie von Anschlägen in Europa, die 2016 auch uns erreichte.
Am 19. Dezember 2016 traf auch uns der Terror hier in Berlin mit ungeheurer Brutalität. Zwölf Menschen – Dr. Harbarth hat eben an sie erinnert –, Einheimische und Gäste dieser großartigen Stadt, sind ermordet worden. 60 Menschen wurden verletzt, Hunderte traumatisiert. Für viele liegt seitdem ein Schatten über der Freude an winterlichen Weihnachtsmärkten.
Das Krisenmanagement, aber auch Ermittlungsfehler und Irrtümer nach dem Anschlag sowie der Umgang mit Opfern und Angehörigen haben gezeigt: Wir waren längst nicht so gut auf den schlimmsten Fall vorbereitet, wie es notwendig gewesen wäre. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat im Dezember bei einer Gedenkveranstaltung im Abgeordnetenhaus dazu angemessene Worte gefunden.
Stück für Stück mussten wir eine erschreckende Chronik von Fehlern und Versäumnissen der Sicherheitsbehörden in den Monaten vor dem Anschlag zur Kenntnis nehmen. In den Medien wird sogar spekuliert, ob es sich dabei um unglückliche Zufälle oder um die Vertuschung geheimdienstlicher Aktivitäten handelt.
Warum halten wir jetzt, über ein Jahr später, einen Untersuchungsausschuss im Bundestag für erforderlich? Am Tag nach dem Anschlag versprachen die Bundeskanzlerin und der Innenminister eine rückhaltlose Aufklärung des Falles. Aber noch immer bleiben viele Fragen offen. Bisher sind wahrscheinlich noch nicht einmal alle relevanten Vorgänge bekannt. Welche Überlegungen der Sicherheitsorgane haben zu welchen Entscheidungen geführt? Wer war dafür verantwortlich? Es gab Fehler bei Landesbehörden, aber offenbar auch zu wenig Austausch, zu wenig Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern.
Ein Untersuchungsausschuss dieses Hauses zum Anschlag vom Breitscheidplatz muss der Frage nachgehen, ob es sich dabei um eine Kette von individuellen Fehlern handelt oder um Mängel in der Sicherheitsarchitektur der Republik. Das ist unsere ureigene Aufgabe.
Im Landtag von Nordrhein-Westfalen und im Berliner Abgeordnetenhaus gehen bereits zwei Untersuchungsausschüsse diesen und verwandten Fragen nach. Erste Berichte liegen vor. Deren Erkenntnisse wollen wir berücksichtigen. Wir werden eng mit den Kollegen in Düsseldorf und in der Niederkirchnerstraße zusammenarbeiten.
Im Mittelpunkt müssen für uns hier im Bundestag kritische Fragen zum Zusammenwirken von Bund und Ländern stehen. Eine besondere Rolle spielt dabei das 2004 eingerichtete Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum. Haben dort ein substanzieller Informationsaustausch und eine wirksame Gefährdungsanalyse stattgefunden? Ergab sich daraus die Anweisung zu konsequentem Handeln? Wenn nicht: Warum nicht? Welche Rolle spielten Bundesbehörden beim Vorgehen gegen den Täter, insbesondere der Generalbundesanwalt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und der BND? Welche Rolle spielten sie bei der Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten in Nordafrika und darüber hinaus? War Amri ein Einzeltäter oder Teil eines Netzwerks? Er war als Gefährder eingestuft. Sein Telefon wurde abgehört. Hat man ihn dennoch unbehelligt durchs Land reisen lassen, weil man sich von ihm Informationen über die Strukturen und Drahtzieher im Hintergrund versprach?
Die Terrorgefahr, meine Damen und Herren, wird ein Teil unseres Lebens bleiben. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, die Bevölkerung so wirksam wie möglich davor zu schützen. Unser Untersuchungsausschuss wird dann einen echten Beitrag dazu leisten, wenn wir Lücken und Schwachstellen finden, durch die der Mörder vom Breitscheidplatz schlüpfen konnte. So schaffen wir die Grundlage dafür, dass Parlament und Regierung für mehr Sicherheit sorgen können. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich setze dabei auf konzentrierte und konstruktive Zusammenarbeit. Die SPD-Fraktion ist dazu bereit.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jens Beeck [FDP])
Für die AfD-Fraktion hat die Abgeordnete Beatrix von Storch das Wort.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7192943 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 7 |
Tagesordnungspunkt | Einsetzung eines Untersuchungsausschusses |