Susanne MittagSPD - Unwürdige Tiertransporte
Ich hoffe, Sie bleiben noch einen kleinen Moment. Es geht mit diesem Thema noch ein kleines bisschen weiter.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die schon erwähnten Aufnahmen aus der TV-Reportage „Geheimsache Tiertransporte“ – so hieß sie nämlich – haben nicht nur mich schockiert, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger – auch wenn jetzt nicht mehr so viele hier anwesend sind – wie sicherlich auch alle hier im Saal, die nun zu Recht fordern, diese elenden Langstreckentransporte in außereuropäische Anrainerstaaten endlich zu beenden. Auch Vertreter der deutschen Landwirtschaft sehen das so und unterstützen diese Forderung. Das ist nämlich auch zum Schaden der Landwirtschaft und nicht gut für ihr Image.
Welche Grausamkeiten unsere heimischen Tiere in ihren Zielländern außerhalb der Europäischen Union erleiden müssen, ist nur schwer in Worte zu fassen. So werden Rindern nach dem Entladen die Sehnen an den Beinen durchgetrennt, damit sie nicht weglaufen können, oder ihnen werden die Augen ausgestochen, damit sie sich nicht orientieren und weglaufen können. Nach einer tagelangen Fahrt, eingepfercht im Lkw, und der Malträtierung beim Entladen – beispielsweise werden die Tiere an einem Bein aufgehängt und heruntergeworfen, weil das einfacher ist – werden unsere Tiere oft nicht artgerecht und ohne jede Betäubung geschlachtet. Das sind keine Einzelfälle. Wir alle sind uns einig – das bringen auch die Anträge zum Ausdruck; dafür bin ich dankbar –, dass dies nicht ansatzweise etwas mit unseren Grundsätzen eines artgerechten Umgangs zu tun hat. Insbesondere an der bulgarisch-türkischen Grenze kommt es immer wieder zu tierschutzrelevanten Problemen. So leiden die Tiere aufgrund elend langer Wartezeiten häufig unter Hunger, Durst und extremen Temperaturen. Viele Tiere überstehen diese Tortur erst gar nicht, sondern verenden bereits vor der Ankunft. Das ist insbesondere bei Schlachttieren der Fall. Aber diese Verluste sind einkalkuliert. Beim Handeln besteht also schon unbedingter Vorsatz. Es ist im Plan.
Wer nun denkt, dass solche Tiertransporte nicht so häufig stattfinden und daher eine zu vernachlässigende Größe sind, täuscht sich. Von 2013 bis 2016 hat sich die Anzahl der Rindertransporte in den Libanon verdreifacht, in die Türkei sogar verzehnfacht. Gab es 2013 rund 90 Rindertransporte, waren es 2016 fast 1 000. Auch die durchschnittliche Transportdauer hat sich erhöht. Lag sie 2013 noch um die 42 Stunden, waren es 2016 70 Stunden. Es dauert also länger. Damit verlängern sich auch die Qualen der Tiere. Anstatt unsere Tiere sehenden Auges auf eine lange und oft grausam endende Reise zu schicken, sollten die Tiere – das wurde schon vorgeschlagen – lieber in Deutschland tierschutzgerecht geschlachtet und dann das gefrorene Fleisch transportiert werden.
Wir diskutieren beim Tierschutz über Haltungsbedingungen und alle möglichen Verbesserungen, Stichwort „Tierwohl“. Aber hier werden sehenden Auges seit Jahr und Tag derartige Transporte in Kauf genommen, nach dem Motto: Da das im Ausland stattfindet, brauchen wir uns nicht zu kümmern.
Wie im Antrag der Grünen richtigerweise festgestellt wird, hat der Europäische Gerichtshof bereits 2015 in einem Urteil bekräftigt, dass die europäischen Tierschutzstandards bis zum Bestimmungsort eingehalten werden müssen. Die Tiere werden also nicht in einem rechtsfreien Raum transportiert. Ihr Wohl muss auch in außereuropäischen Ländern sichergestellt werden. Darum geht es in beiden Anträgen. Sie gehen in die richtige Richtung, wenn Sie fordern, bei Nichteinhaltung unserer Standards den Lebendtiertransport in Drittstaaten zu stoppen.
In den letzten Jahren wurde immer wieder eine Überarbeitung der europäischen Transportverordnung angekündigt. Bundesminister Christian Schmidt hat sich zwar in Briefen an den zuständigen EU-Kommissar gewandt, Handfestes ist allerdings bislang nicht dabei herausgekommen. Anschreiben ersetzen nicht das tatsächliche Tätigwerden. Anschreiben reichen nicht aus. Schön ist zwar, dass die EU-Kommission eine Tierschutzplattform eingerichtet hat, wo eine Untergruppe speziell Vorlagen für Tierschutz und Tiertransporte erarbeiten soll. Aber diese Untergruppe arbeitet noch nicht. Auch hier ist eine zeitnahe Handlungsempfehlung nicht zu erwarten. Alles scheint sich sehr lange hinzuziehen.
Positiv ist, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine Delegation des türkischen Landwirtschaftsministeriums zu einer gemeinsamen Besichtigung von deutschen Kontrollstellen eingeladen hat, damit ähnliche Anlagen auch in der bulgarisch-türkischen Grenzregion gebaut und die Tiere besser versorgt werden können. Hier braucht es aber konkrete Umsetzungszeiträume und eine Finanzierung. Nur Gucken reicht nicht. Insbesondere die EU-Kommission ist gefordert, an Grenz übergängen zusätzliche Kontrollpunkte und Einrichtungen zu installieren, um die Wartezeiten zu verringern und die Tiere mit Futter und Wasser zu versorgen, und das nicht nur an einer Stelle.
Der Wille der EU-Mitgliedstaaten allerdings, ordnungsrechtliche Veränderungen an der europäischen Tierschutzverordnung vorzunehmen, war bislang überhaupt nicht zu erkennen. Die Interessen der Mitgliedstaaten driften zu weit auseinander. Momentan dürfen zum Beispiel Schweine 24 Stunden durchgängig transportiert werden. Erst dann muss eine Ruhepause eingelegt werden. Die Forderung der Grünen, EU-weit die Transportzeiten von Schlachttieren auf acht Stunden zu begrenzen, ist richtig und wird immerhin von der Bundesregierung auf EU-Ebene vertreten. Aber eine Einigung ist noch immer nicht vorhanden. Darüber hinaus müssen Änderungen an der zulässigen Ladungsdichte – das wurde schon erwähnt –, der Temperaturregelung und der Kontrollwege vorgenommen werden.
Einem ausgewachsenen Rind stehen lediglich 1,6 Quadratmeter zur Verfügung, und es darf bei Temperaturen von 0 bis 35 Grad transportiert werden. Oftmals herrschen aber in den Sommermonaten an der bulgarisch-türkischen Grenze über 40 Grad, und im Winter liegen die Temperaturen weit unter der Frostgrenze. Die Ladedichte muss so angepasst werden, dass jedes Tier sowohl stehen als auch liegen kann. Es ist schon total elitär, wenn sich ein Tier während dieser ganzen Zeit einmal hinlegen kann.
Notwendig und ein tatsächlicher Fortschritt wäre es sicherlich auch, wenn die Fahrtrouten der Tiertransporte in Echtzeit an die zuständigen Behörden übermittelt würden,
(Rainer Spiering [SPD]: Ja!)
um Kontrollen effektiver ausgestalten und etwaige Verstöße gegen Transportauflagen, die andauernd stattfinden, schneller ahnden zu können und den Tierschutz dann sofort durchzusetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Bislang können die Daten nämlich nur im Nachhinein ausgewertet und Strafen rückwirkend ausgesprochen werden. Ansonsten können die Verstöße weiterhin nur bei punktuellen Kontrollen auf Transportstrecken eher zufällig festgestellt werden, und da werden sehr oft Mängel bemerkt.
In diesem Zusammenhang müssen nicht nur die Fahrer von Tiertransporten, sondern auch Spediteure und diejenigen, die die Spediteure beauftragen, mehr in die Verantwortung genommen werden, die Kontrollen ausgeweitet und die Verstöße stärker geahndet werden.
(Rainer Spiering [SPD]: Ein bisschen Gefängnis tut gut!)
– Mal ist das ganz richtig.
Die EU-Tierschutztransportverordnung räumt den nationalen Gesetzgebern ausdrücklich die Möglichkeit ein, eine strengere und umfassende Regelung in Bezug auf rein innerstaatliche Tiertransporte zu erlassen. Deswegen ist es völlig unverständlich, dass Bundesminister Christian Schmidt hier in der vergangenen Wahlperiode trotz mehrfacher Aufforderung nicht nur von unserer Fraktion
(Karlheinz Busen [FDP]: Sie waren doch dabei!)
– halten Sie den Ball mal flach –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
völlig untätig dabei geblieben ist, die Transportdauer auf vier Stunden zu begrenzen. Wenn er es nicht macht, dann macht er es nicht.
(Karlheinz Busen [FDP]: Sie waren vier Jahre dabei, und nichts ist passiert!)
– Ja, das werden Sie auch noch verstehen.
Es reicht auch nicht, den zuständigen EU-Kommissar zum Handeln aufzufordern und dann, wie auf meine Anfrage erfolgt, darzustellen, dass man unmittelbar leider nichts machen kann. Der Wille zum Handeln hier vor Ort ist entscheidend, und den konnte ich bislang leider nicht erkennen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wie die Anträge richtigerweise zum Ausdruck bringen, darf die Verantwortung für unsere Nutztiere nicht einfach an der EU-Außengrenze enden. Kann kein artgerechter Umgang mit den Tieren während der Transporte, dem Entladevorgang und insbesondere der Schlachtung in Drittstaaten garantiert werden, müssen Tiertransporte aus Deutschland ausgesetzt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Denn auch in anderen Wirtschaftsbereichen gibt es anerkannte innerstaatliche Verantwortung für Handlungen im Ausland. Denken wir einmal an Endverbleibskontrollen nach Waffenverkäufen oder an die Bereiche Bekleidung, Technik, Tiernahrung. Da muss dann auch einmal nachgeschaut werden, was im Ausland abläuft.
Wie ich zu Beginn sagte, müssen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene Möglichkeiten geprüft werden, Tiertransporte durch Fleischtransporte zu ersetzen.
Kollegin Mittag, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Sofort. – Denn derartiges Vorgehen der Zielländer kann offenkundig nicht abgestellt werden. Ausfuhrgenehmigungen werden schließlich nicht automatisch erteilt – hoffe ich.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zu seiner ersten Rede im Bundestag hat der Abgeordnete Thomas Ehrhorn für die AfD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7192961 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 7 |
Tagesordnungspunkt | Unwürdige Tiertransporte |