Nadine SchönCDU/CSU - Altersfeststellung minderjähriger Flüchtlinge
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit sind über 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Viele fliehen gemeinsam mit ihren Eltern, aber immer mehr Kinder und Jugendliche machen sich auch alleine auf die gefährliche Reise. Allein in Deutschland sind von 2010 bis 2016 laut dem Statistischen Bundesamt insgesamt über 116 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut genommen worden. Für sie gilt das Jugendhilferecht. Maßnahmen, um Traumata zu überwinden, schnell unsere Sprache zu lernen, in die Schule zu gehen und sich in unsere Gesellschaft integrieren zu können, sind bei Jugendlichen intensiver als bei Erwachsenen. Das ist richtig und nicht zuletzt eine Verpflichtung, die wir aufgrund der UN-Flüchtlingskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention haben.
Fakt ist aber auch: Die besondere Behandlung ist auch besonders aufwendig und natürlich besonders kostenintensiv. Deshalb ist es aus Sicht meiner Fraktion, der Unionsfraktion, wichtig, dass wir hier keine Sozialromantik betreiben, sondern nur den Menschen helfen, die wirklich Hilfe brauchen. Das heißt, dass nur diejenigen die besondere Behandlung für minderjährige Schutzbedürftige bekommen können, die tatsächlich minderjährig und schutzbedürftig sind.
Jetzt könnte man ja meinen, die AfD und wir hätten hier ein gemeinsames Anliegen. Aber liest man den Antrag bzw. den Gesetzentwurf der AfD und hört man die Reden im Bundestag dazu, und zwar nicht nur heute, sondern auch in den letzten Tagen, dann wird einem schnell klar, dass auch dieses Mal nur ein Aufhänger gesucht wurde, um pauschal gegen Flüchtlinge zu hetzen und sie zu diffamieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Ich empfehle wirklich jedem, einmal den Antrag bzw. den Gesetzentwurf der AfD zu lesen. Darin ist nur die Rede von Kostenverursachern, von Lügnern, von Schwerverbrechern und Kriminellen. Dass es dabei auch um Menschen geht, um Kinder und Jugendliche, die mehr Schlimmes erlebt haben als jeder von Ihnen und jeder von uns sich vorstellen kann – sie haben gesehen, wie ihre Häuser zerbombt und ihre Familien getötet wurden, wie ihre Mütter vergewaltigt und ihre Schwestern verschleppt worden sind; sie haben vielleicht selbst körperliches und seelisches Leid erfahren –, davon ist in Ihren Texten und in Ihren Reden kein einziges Wort zu lesen und zu hören. Kein einziges Wort!
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Gesetzentwurf, den Sie Mitte der Woche verschickt haben, kommt völlig ohne das Wort „Hilfe“ aus. Er ist ein Konglomerat von polemischen Aussagen und wirklich fremdenfeindlicher Prosa. Dann schaffen Sie es nicht einmal, diesen inhaltlich schlechten Gesetzentwurf formal richtig einzubringen. Deshalb müssen wir heute Ihren Antrag beraten und nicht Ihren Gesetzentwurf.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])
Ich möchte sagen: Das ist doch ziemlich peinlich.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)
Frau Kollegin Schön, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Frau von Storch?
Ja, gerne.
Bitte sehr.
Nur eine ganz kurze Frage: Sind Sie der Ansicht, dass bei Minderjährigen, bei denen wir Zweifel haben, dass sie minderjährig sind, diese Minderjährigkeit überprüft werden sollte oder nicht?
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hat sie doch schon vorher gesagt! Hören Sie doch zu! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bitte bleiben Sie stehen, weil ich Ihre Frage gerne beantworten möchte.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja oder nein?)
Ja, meine Fraktion und ich sind der Meinung, dass bei Minderjährigen überprüft werden muss, ob sie minderjährig sind oder nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Dann machen Sie es doch!)
Dafür brauchen wir keine Nachhilfe der AfD-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben bereits 2015 ein Gesetz eingebracht, mit dem alle Möglichkeiten der Altersfeststellung erlaubt werden, auch die medizinische Untersuchung.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie müssen es nur machen!)
Da wir gesehen haben, dass diese Möglichkeit von den Jugendämtern nicht genutzt wird, haben wir bereits im November vorgeschlagen – schon lange vor Ihren Gesetzentwürfen, schon lange vor der öffentlichen Diskussion; das können Sie gerne in meiner eigenen Pressemeldung vom November 2017 nachlesen –, bundesweit einheitliche Verfahren und Standards festzulegen. Damit kann ich Ihre Frage ganz klar beantworten: Wir sind dafür, eine Altersfeststellung zu machen
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Dann machen Sie es doch! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie brauchen doch nur zuzustimmen! Mein Gott noch mal! Das ist wieder dieses CDU-Gelabere!)
und dass wir die Jugendhilfe nur denjenigen zugestehen können, die tatsächlich minderjährig sind.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie kommt eindeutig zu spät, die AfD! – Zuruf von der AfD)
– Wenn Sie eine Nachfrage haben, beantworte ich sie gerne.
(Beatrix von Storch [AfD]: Sie stimmen also unserem Antrag zu?)
– Nein, wir stimmen Ihrem Antrag nicht zu, weil Ihr Antrag nämlich nur eine Seite der Medaille beleuchtet. Ihr Antrag ist von der Wortwahl und auch vom Inhalt her sehr polemisch. Das Wort „Hilfe“ kommt überhaupt nicht vor.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Es geht hier doch um Fakten!)
Ihr Antrag ist weit weg davon, auch nur in die Nähe einer ausgewogenen Lösung zu kommen. Wir sind für eine klare Altersfeststellung und für eine klare Trennung zwischen minderjährigen und nicht minderjährigen Flüchtlingen. Wir sind aber im Gegensatz zu Ihnen auch dafür, dass denjenigen geholfen wird, die Schutz und Hilfe benötigen. Davon ist in Ihrem Antrag überhaupt nicht die Rede.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Natürlich fragen sich viele Menschen in Deutschland, wieso es nach den Zahlen, die jetzt bekannt geworden sind, so ist, dass etwa ein Drittel derjenigen, die von der Jugendhilfe derzeit betreut werden, gar keine Minderjährigen sind. Das liegt nicht daran, dass die Gesetzeslage zu schwach ist – das habe ich eben in meiner Antwort auf die Frage der Kollegin gesagt –: 2015 haben wir bereits auf Bundesebene ein Gesetz geschaffen, das alle Möglichkeiten der Altersfeststellung, auch der medizinischen, eröffnet. Dies wird aber vor Ort in den Jugendämtern und in den Kommunen sehr unterschiedlich gehandhabt. Ein Jugendamt, das sowieso schon sehr belastet ist, das nicht jeden Tag eine Altersfeststellung durchführt und das durch die öffentlich kontrovers geführte Debatte bezüglich des medizinischen Verfahrens geprägt ist, winkt gerne einmal jemanden durch, bei dem eigentlich eine medizinische Altersfeststellung durchgeführt werden müsste. Wir sind der Meinung: Das darf nicht sein.
Deshalb sollten wir den Blick auf Regionen bzw. Länder werfen, wo das gut funktioniert. Als Beispiel nenne ich mein Heimatbundesland, das Saarland. Im Saarland werden alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in eine Vorclearingstelle gebracht, und dort wird zentral das Alter der Flüchtlinge festgestellt. Wenn das nicht direkt erkennbar ist, auch nicht anhand der Ausweispapiere, dann muss eine medizinische Altersfeststellung durchgeführt werden. Im Zweifel wird sogar ein Gerichtsmediziner herangezogen. Das führt dazu, dass im Saarland bei etwa einem Drittel derjenigen, die sich für minderjährig erklären, festgestellt wird, dass sie nicht minderjährig sind. Sie fallen natürlich aus der Jugendhilfe heraus.
Dieses einheitliche Verfahren, also weg von den einzelnen Jugendämtern, ist der Weg, den wir gemeinsam mit der SPD für die nächsten vier Jahre vereinbart haben. Wenn es zu einer Koalition kommt, dann werden wir überall in Deutschland diese AnkER-Zentren errichten, also gemeinsame Stellen, wo die Identität der Flüchtlinge und auch das Alter der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge unter Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten geklärt werden können. Damit schaffen wir neue Kapazitäten und Freiräume in den Jugendämtern und lassen die Hilfe denjenigen zugutekommen, die sie wirklich brauchen. So schaffen wir es, dass die zugegebenermaßen sehr teuren Jugendhilfeverfahren nicht für Menschen durchgeführt werden, die keinen Anspruch darauf haben. Dies ist eine ausgewogene und richtige Vorgehensweise. Dafür brauchen wir keine polemischen Anträge und keine tendenziösen Gesetzentwürfe der AfD.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das kriegt sie gar nicht beantragt, weil sie die Frist nicht einhält!)
Wir gehen das Thema sachlich und ohne Polemik an. Daher bitte ich um Ihre Zustimmung für unseren Ansatz.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt hat das Wort die Kollegin Gülistan Yüksel von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7193018 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 8 |
Tagesordnungspunkt | Altersfeststellung minderjähriger Flüchtlinge |