22.01.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 9 / Tagesordnungspunkt 1

Christian LindnerFDP - 55 Jahre Élysée-Vertrag

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Meine Herren Präsidenten! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Manche wollen hier Geschichtsstunden halten. Ich begrüße, dass eine Mehrheit des Parlamentes sich mit der Zukunft beschäftigen will.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Deutsche Bundestag ist ein Ort der innenpolitischen Auseinandersetzung, aber nicht heute; denn heute stehen andere Fragen im Vordergrund.

(Beifall bei der FDP)

Das, was ich nicht verstehe, Herr Kollege Gauland, ist: Sie haben sich hier beklagt, Ihre Fraktion sei in die Vorbereitung dieser Sitzung und in die Vorbereitung dieses Resolutionstextes nicht einbezogen worden.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ich habe es nur festgestellt!)

Gleichzeitig haben Sie gesagt, dass Sie dem Text selbst und dem, was sein Geist ausmacht, nicht zustimmen würden. Warum wollen Sie bei etwas Antragsteller sein, was Sie in der Sache ablehnen?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Sie haben hier einige Freundlichkeiten über die deutsch-französische Freundschaft geäußert, aber Ihre stumme Geste, mit der gesamten Fraktion der AfD auf eine Teilnahme an der Reise nach Paris zu verzichten, entlarvt, wie national Sie in Wahrheit denken.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor 55 Jahren wurde der Élysée-Vertrag geschlossen, und er war Gegenstand der Außenpolitik. Wenn man diesen Vertragstext heute liest, so stellt man fest, dass in seinem Zentrum die Außenminister stehen. Es wäre heute eine völlig abwegige Vorstellung, dass die deutsch-französische Freundschaft eine Sache der Außenminister wäre – das ist keine Spitze –; vielmehr sind bilaterale Beziehungen zwischen allen Institutionen, Behörden und staatlichen Ebenen heute Realität. Die Besonderheit des Élysée-Vertrages ist, dass er heute, nach 55 Jahren, keine Besonderheit mehr ist. Deshalb ist es richtig, jetzt den nächsten Schritt gemeinsam zu gehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Partnerschaft ist eine rechtliche und vielleicht auch eine politische Entscheidung; Freundschaft muss aus der Mitte der Gesellschaften wachsen. Die Kollegin Nahles und der Kollege Kauder haben über die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Initiativen – über den Schüleraustausch, über Städtepartnerschaften – gesprochen. Aber auch in der Alltagskultur ist über die vergangenen Jahrzehnte eine Freundschaft und Nähe gewachsen.

Gerade vor einigen Tagen verstarb die französische Sängerin France Gall, die in den 1960er-Jahren in deutscher Sprache gesungen und Karriere gemacht hat. Auch der Winnetou der populären Karl-May-Verfilmungen in den 1960er-Jahren war ein Franzose.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Verehrte Anwesende, meine Damen und Herren, die Erneuerung der Europäischen Union wird die Aufgabe der kommenden Dekade sein. Der bilaterale Gedanke des Élysée-Vertrages steht dieser Erneuerung des europäischen Einigungsprojekts insgesamt nicht entgegen, sondern es stimmt gerade das Gegenteil: Frankreich und Deutschland können und müssen Impulsgeber für die Erneuerung der Europäischen Union sein, müssen Motor einer Vertiefung sein, die Mitte des vergangenen Jahrzehnts ins Stocken geraten ist. Aber Impuls- und Ideengeber zu sein, heißt nicht, ein Direktorium zu bilden, das anderen etwas vorgibt, und es heißt auch nicht, ein Closed Shop zu werden, der andere ausschließt. Die Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft sollte als Einladung an andere begriffen werden, diesem Beispiel zu folgen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der französische Präsident Macron hat die Rolle des Taktgebers in dieser Reformdebatte übernommen. Er ist ein Politiker der Mitte, der einen sehr umfassenden Reformvorschlag für die Europäische Union vorgestellt hat. Darauf wird Deutschland mit Kreativität antworten müssen. Nicht jeden Gedanken wird man sich zu eigen machen können. Europa ist ein Kontinent der Vielfalt. Aber auf den Kern seines Denkens müssen wir antworten.

Mehr gemeinsames Handeln in der Sicherheitspolitik, der Verteidigungspolitik und bei der Kontrolle unserer Außengrenzen ist überfällig. Wenn es um europäische Aufgaben geht, dann wohl um diese. Ich will für meine Fraktion sagen: Wir hätten uns noch mehr gemeinsame deutsch-französische Initiativen vorstellen können, als im vorliegenden Resolutionstext verankert sind.

(Beifall bei der FDP)

Der Klimaschutz ist eine Menschheitsaufgabe. Wir müssen erkennen, dass nationale Antworten darauf zu wenig sind. Mehr noch: Nationale Alleingänge in der Energiepolitik schaffen oft mehr Probleme in Europa, als sie Lösungsbeiträge leisten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Wir stehen deshalb in der Verantwortung, der Welt einen Weg zu weisen, wie ökologische Nachhaltigkeit und Wohlstand verbunden werden können. Die Idee eines CO 2 -Preises, die im Resolutionstext verankert ist, weist einen marktwirtschaftlichen Weg, der all dem überlegen ist, was wir in Deutschland an Quoten, Verboten und Subventionen in den letzten Jahren erprobt haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Vorbereitung des Resolutionstextes hat eines gezeigt: Die Konfliktlinie verläuft nicht zwischen Deutschland und Frankreich. Die Konfliktlinie verläuft auch nicht zwischen „pro Europa“ und „gegen Europa“, nimmt man einmal die Ränder des politischen Spektrums aus. Die Auseinandersetzung findet vielmehr in Deutschland und in Frankreich auch innerhalb des demokratischen Zentrums statt. Es ist nämlich die konzeptionelle Auseinandersetzung zwischen denen, die auf mehr sozialen Ausgleich, Vergemeinschaftung und im Zweifel auf Transfer setzen, und jenen, die auf Wachstumsimpulse setzen, die Wettbewerbsfähigkeit stärken wollen und an die Autorität von Regeln glauben. Die deutsche Position der Vergangenheit war nicht – wir werden sehen, ob sie es weiter bleibt – Ausdruck von Hartherzigkeit oder mangelnder Großzügigkeit, im Gegenteil. Die Grundüberzeugung war – unsere ist es unverändert –: Fiskalische Eigenverantwortung ist Ausdruck demokratischer Souveränität und der ökonomischen Klugheit. Deshalb sollte dieser Weg weiter beschritten werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Wenn es um Wachstumsimpulse durch Investitionen in disruptive Technologien geht, wie sie der französische Präsident gefordert hat und wie sie sinnvoll sind, bei der künstlichen Intelligenz genauso wie bei den geforderten gemeinsamen Initiativen in der Batterietechnologie für die Elektromobilität, dann sollte ordnungspolitisch sichergestellt sein, dass das Geld in privatwirtschaftliche Investitionen und nicht allein in Staatshaushalte fließt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auf beiden Seiten des Rheines gibt es solche, die jede Gelegenheit für eine Schlagzeile nutzen

(Lachen bei der AfD)

und dafür bereit sind, das europäische Einigungsprojekt zu einem Problem zu erklären. Die Wahrheit ist aber: Es gibt kein Problem, das gegen oder ohne Europa gelöst werden kann. Alle Probleme können wir nur in oder mit Europa lösen. Das ist die Botschaft dieser fraktionsübergreifenden Resolution des Deutschen Bundestages, über alles, was uns im Einzelnen in der Mitte des Hauses trennt, hinweggesehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Sahra Wagenknecht.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7193961
Wahlperiode 19
Sitzung 9
Tagesordnungspunkt 55 Jahre Élysée-Vertrag
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