Alexander Graf LambsdorffFDP - Außen, Europa, Menschenrechte
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Bundesregierung tritt ihr Amt an in einer Zeit, in der das, was wir die liberale Weltordnung nennen, in Gefahr ist. Diese liberale Weltordnung heißt nicht so, weil sie von Liberalen erfunden worden wäre. Sie heißt so, weil sie ein Prinzip zum Ausdruck bringt, nämlich die Bindung von Macht an Recht. Das ist die Kernidee des Liberalismus.
Wir sehen im Moment tektonische Machtverschiebungen im internationalen System: mit einem aufsteigenden China, einem revisionistischen Russland und Vereinigten Staaten von Amerika, die sich zurückziehen als Garant dieser liberalen Weltordnung, als den wir sie in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Und das ist keine akademische Betrachtung. Solche Machtverschiebungen haben in der Vergangenheit immer Kriegsgefahr, Konfliktrisiken heraufbeschworen. Und die Institutionen, in denen wir solcher Gefahr begegnet sind, in denen wir solche Interessenkonflikte bearbeitet haben, an erster Stelle die Vereinten Nationen, die werden zurzeit dramatisch geschwächt – leider muss man das so deutlich sagen – durch das Verhalten der amerikanischen Administration, die sich aus einigen Organisationen der Vereinten Nationen zurückzieht. Ich denke an die UNESCO, ich denke an den Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, ich denke an das Pariser Klimaabkommen.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, bei denen sich die Amerikaner anders als in der Vergangenheit aufstellen, und das führt zu großen Risiken.
Was bedeutet das jetzt für Deutschland?
(Zuruf von der AfD: Nachmachen!)
Deutschland ist zu groß, um sich wegducken zu können; aber Deutschland ist gleichzeitig auch zu klein, um unseren Werten und Interessen alleine Geltung verschaffen zu können. Deswegen ist es unser zentrales nationales Interesse, diese liberale Weltordnung zu verteidigen. Nur so können wir Werten und Interessen Deutschlands Geltung verschaffen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Was heißt das konkret? Konkret heißt das, dass, wenn wir eine widerrechtliche Annexion sehen wie bei der Krim oder eine Intervention wie in der Ukraine, natürlich Sanktionen verhängt werden müssen gegen Russland. Lieber Armin-Paul Hampel, das Abrüstungsangebot von Wladimir Putin habe ich gehört. Aber ich antworte mit Lenin: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Geschenkt!)
Sobald wir da etwas Tatsächliches sehen, können wir mit den Russen gerne über Abrüstung reden. Ich hätte es zum Beispiel schön gefunden, sie hätten die Verpflichtungen aus dem Wiener Dokument bei ihrem Riesenmanöver Sapad neulich eingehalten und OSZE-Beobachter eingeladen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])
Stattdessen haben sie ein unbeobachtetes Manöver veranstaltet. Meine Damen und Herren, wir brauchen Kontrolle. Nur so kann Vertrauen wieder entstehen.
Zur Türkei. Natürlich ist der Einmarsch in Afrin völkerrechtswidrig. Aber was folgt daraus für die deutsche Außenpolitik? Deutschland hat engste Verbindungen in die Kurdengebiete, nach Erbil, in die Südosttürkei. Warum versuchen wir nicht, eine aktive Vermittlerrolle einzunehmen? Wir dürfen eines nicht vergessen: Der kurdisch-türkische Konflikt spielt sich in vielen Städten und Gemeinden unseres Landes ab. Das heißt, wir haben ein nationales Interesse daran, diesen Konflikt zu befrieden.
Was bedeutet das für unsere Rolle in den Vereinten Nationen? Deutschland ist, ehrlich gesagt, in den Vereinten Nationen ein zweit-, ein drittklassiger Staat. Aber wir könnten doch viel mehr machen, konzeptionell, finanziell, personell, und den Ausfall der Amerikaner an der einen oder anderen Stelle gemeinsam mit den anderen Europäern kompensieren. In der UNESCO fehlen 150 Millionen Euro für zwei Jahre. Wenn man das gemeinsam in Europa macht, kann man das schon stemmen. Beim Bevölkerungsfonds, der sich um die Müttergesundheit kümmert, um Frauen, um die weibliche Selbstbestimmung, gerade was die Familienplanung angeht – und wir haben ein großes Interesse daran, dass das gefördert wird –, da fehlen nur 30 Millionen. Das können wir doch kompensieren. Da können wir reingehen. Wir könnten ganz konkrete Maßnahmen ergreifen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Was Sie, Herr Maas, zur Europäischen Union gesagt haben, fand ich ein bisschen dünn. Wir müssen uns schon fragen: Was folgt aus dem Brexit? Was folgt aus den Vorschlägen von Macron? Unsere Antwort als Freie Demokraten ist ganz klar: Wir wollen Europa stärken. Wir freuen uns, dass es gelungen ist, PESCO auf den Weg zu bringen, die europäische Verteidigungsunion. Wir wollen Europol stärken und auch die Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung verbessern.
Mein letzter Punkt. Lieber Herr Maas, Sie übernehmen ein Haus, das nicht genug Beachtung erfährt. Ich habe heute mit Erstaunen gehört, dass sich die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung bei unseren Soldaten bedankt hat und bei unseren Entwicklungshelfern. Das tun wir als Freie Demokraten auch. Ich finde aber, es ist an der Zeit, dass man sich auch einmal bei den deutschen Beamtinnen und Beamten in Erbil oder in Peking oder in Bamako oder in Dhaka bedankt, die sich für die Rohingya einsetzen, für deutsche Wirtschaftsinteressen, für die Stabilität des Sahel. Das sind keine Traumposten. All diese Menschen führen kein Luxusleben. Da geht es um Kultursachbearbeiter, um Konsularbeamtinnen, um technische Hausmeister, um Wirtschaftsattachés. Es geht um die Wahrnehmung deutscher Interessen auf internationaler Ebene.
Und jetzt geht es definitiv um Ihre Redezeit.
Wir danken ausdrücklich den Bediensteten des Auswärtigen Amtes für ihre Arbeit auf der ganzen Welt.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Graf Lambsdorff. – Nächste Rednerin: Heike Hänsel für Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7211406 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 22 |
Tagesordnungspunkt | Außen, Europa, Menschenrechte |