23.03.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 24 / Tagesordnungspunkt 3

Marco BuschmannFDP - Innen, Bau und Heimat

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, auf Sie kommt es eigentlich an; denn Sie und Ihr Haus stehen im Zentrum der gesellschaftlichen Großkonflikte unserer Gegenwart. Davon möchte ich drei hier ansprechen.

Der erste betrifft die Frage, wie wir die innovativen Datendienstleistungen der Digitalisierung mit dem Schutz der Privatsphäre verbinden. Dieses Thema ist nicht neu; aber es hat in den letzten Tagen eine völlig neue Qualität erhalten. Mit dem Facebook-Skandal ist eines klar geworden: Wenn Millionen von Datensätzen missbräuchlich genutzt werden, um Wahlen zu manipulieren, dann geht es um mehr als den Schutz der Privatsphäre. Es geht um die res publica. Das ist eine öffentliche Angelegenheit, weil es um die Integrität der liberalen Demokratie geht. Dass Sie das offenbar nicht interessiert – das zeigen Sie, indem Sie mir den Rücken zuwenden – und dass der für Datenpolitik und Datenschutz zuständige Fachminister kein einziges Wort dazu gesagt hat, ist das stärkste Argument dafür, dass wir endlich ein Digitalministerium brauchen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Manuel Höferlin [FDP]: Desinteressse an dem Parlament! Desinteressiert an dem Thema! Bezeichnend!)

Der zweite Großkonflikt betrifft das Thema Einwanderung. Wenn man sie falsch macht, kann sie die liberalen Gesellschaften des Westens spalten, innerlich und untereinander. Deshalb ist es natürlich richtig, insbesondere in die humanitär bedingte Zuwanderung mehr Ordnung zu bringen. Mehr Ordnung schafft man übrigens nicht, indem man die Flüchtlingskrise zu einem Geschenk für die eigene Partei erklärt, lieber Herr Gauland.

(Beifall bei der FDP)

Für mehr Ordnung sorgt man vielmehr mit klaren Regeln und indem man das Recht anwendet. Ich muss sagen: Dort, wo die FDP Regierungsverantwortung trägt, in Nordrhein-Westfalen, werden Gefährder konsequenter abgeschoben als in jedem anderen Bundesland, konsequenter übrigens auch als in Bayern.

(Beifall bei der FDP)

Was mir bei der Einwanderungsfrage allerdings zu kurz kommt, ist ein offensiverer Umgang mit dem Thema. Frau Högl, Sie haben natürlich recht: Als Innovationsstandort brauchen wir Zuwanderung. Wir sind eine alternde Gesellschaft.

(Zuruf von der AfD: Wir brauchen Kinder! – Gegenruf des Abg. Manuel Höferlin [FDP]: Dann machen Sie welche!)

Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung. Aber dann darf man doch nicht nur davon reden, die besten Talente der Welt zu uns einzuladen, dann muss man doch auch für Normenklarheit sorgen. Das, was Sie Einwanderungsgesetz nennen, ist doch nur eine Zusammenfassung des Bisherigen. Kein Punktesystem, keine Vereinfachung, kein Mehr an Transparenz – das ist zu wenig, um die besten Talente nach Deutschland einzuladen.

(Beifall bei der FDP – Stephan Thomae [FDP]: Um nicht zu sagen: nichts!)

Transparenz ist übrigens nicht nur eine Frage unseres Interesses an den besten Talenten der Welt; es ist auch humanitär besser. Denn wenn wir aufgrund eines komplizierten Rechts den Menschen auf der Welt, die glauben, sie hätten hier eine Chance auf dem Arbeitsmarkt – ohne dass sie eine haben –, diese falsche Hoffnung nicht nehmen, begeben sie sich in die Hände von Schleppern und Kriminellen. Deshalb bedeutet Normenklarheit auch, Menschenleben zu retten. Da stehen Sie in der Pflicht.

(Beifall bei der FDP)

Herr Seehofer, das dritte Thema, das auch Sie angesprochen haben, ist der Umgang mit dem islamistischen Fundamentalismus. Ich stehe nicht hier, um Sie zu belehren; das wäre unangemessen. Aber ich möchte Sie, insbesondere nach den ersten Tagen Ihrer Amtszeit, auf den Maßstab hinweisen, den einer der erfolgreichsten Kämpfer gegen den islamistischen Terrorismus Ihnen ins Stammbuch schreiben würde; ich meine unseren liberalen ALDE-Parteifreund Bart Somers. Bart Somers ist zum besten Bürgermeister der Welt gewählt worden,

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)

unter anderem, weil er das Übel des islamistischen Fundamentalismus in seiner Stadt Mechelen praktisch ausgerottet hat. Bart Somers hat über diesen Erfolg ein Buch geschrieben, in dem er uns drei Hinweise gegeben hat, worauf dieser Erfolg basiert.

Erstens. Der liberale Verfassungsstaat basiert auf den Freiheitsrechten. Wer im Konflikt als Erstes die Freiheitsrechte einschränkt, statt sie zu verteidigen, macht den liberalen Verfassungsstaat unglaubwürdig.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Er stärkt ihn nicht, er schwächt ihn. Er sorgt für Wasser auf die Mühlen seiner Gegner. Von der Verteidigung der Freiheitsrechte liest man in Ihrem Koalitionsvertrag nichts. Sie erhalten sogar die verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung aufrecht. Da kann ich nur sagen: Wir sehen uns vor dem Bundesverfassungsgericht wieder, Herr Minister.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manuel Höferlin [FDP]: Erneut! Schon wieder zu dem Thema!)

Zweitens. Recht, das gilt, muss durchgesetzt werden – völlig klar. Da helfen keine Paragrafen, da hilft nur mehr Personal – völlig klar. Aber dass Sie als erste Amtshandlung der neuen Regierung Ihre Ministerien aufgebläht haben und dafür über 200 Planstellen im Bereich des Zoll und der inneren Sicherheit gestrichen haben, ist ein fatales Signal. Das ist doch in sich widersprüchlich.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie reden von Grenzkontrollen und nehmen dem Zoll das Personal. Sie reden von innerer Sicherheit und nehmen den Zuständigen das Personal. Das ist doch das falsche Signal.

Drittens – das ist, meine ich, der absolut wichtigste Punkt –: Der liberale Verfassungsstaat ist dem Fundamentalismus, gerade dem islamistischen, deshalb überlegen, weil er allen Menschen eine Heimat bietet, die sich an seine Regeln halten, und zwar unabhängig davon, an welchen Gott sie glauben oder ob sie überhaupt an einen Gott glauben. Wie wichtig das ist, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten; das hat nämlich Bart Somers in seinem Buch sehr ausführlich beschrieben. Der Fundamentalismus, schreibt Somers,

… zählt auf diejenigen Kräfte im Westen, die ebenso wie er glauben, dass wir einen Zusammenstoß der Kulturen erleben. Seine Hoffnung ruht auf solchen Gruppen, die nach einem harten Vorgehen rufen … und auf Menschen, die Muslime als fünfte Kolonne darstellen.

Weiter schreibt Somers:

Denn wenn wir Muslime zu Feinden erklären – subtil oder explizit –, tun wir genau das, was sie schon seit Jahren herumposaunen: Wir machen sie

– er meint die Fundamentalisten –

glaubwürdig.

Herr Seehofer, mit Ihrer pauschalen Ausgrenzung des Islam haben Sie für die beste Propaganda gesorgt, die sich der IS nur wünschen kann. Ein deutscher Innenminister hat die Aufgabe, den IS zu schwächen, und nicht, ihn zu stärken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Da sagt der Seehofer mal was Richtiges, und dann ist es auch wieder falsch! Ist ja fürchterlich!)

Deshalb bleibt in der Summe stehen: Sie sind ein Mann, groß von Statur, groß in der Ambition, groß im Hunger nach neuen Stellen, aber in das Amt eines Bundesinnenministers müssen Sie noch hineinwachsen.

(Beifall bei der FDP)

Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7213268
Wahlperiode 19
Sitzung 24
Tagesordnungspunkt Innen, Bau und Heimat
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