Saskia EskenSPD - Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der Datenschutz-Grundverordnung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „ Datenschutz“ – der Kollege Höferlin hat es gesagt – ist schon ein seltsamer Begriff. Wir wollen ja keine Daten schützen; wir schützen Menschen vor dem Missbrauch ihrer Daten. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Grundrecht informationelle Selbstbestimmung genannt, weil die Menschen eben selbst darüber bestimmen sollen, was mit ihren Daten geschieht.
In den 1980er-Jahren war der Staat der einzige Akteur, der zu viel über uns wissen wollte. Wir haben damals vor dem gläsernen Bürger gewarnt, und wir haben uns nicht so viele Gedanken über den Adresshändler gemacht, der unsere Adresse bei einem Preisausschreiben gewonnen hatte. Das waren ja auch nicht so viele.
Heute, im Zeitalter der Digitalisierung, machen wir uns übrigens immer noch Gedanken über den neugierigen Staat. Ich denke, wir tun das zu Recht; denn wenn ich mir die Gesamtschau der Überwachung anschaue, die das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat, dann stelle ich fest: Wir haben allen Grund dazu.
Im privaten Bereich gibt es aber mittlerweile viel mehr über uns zu wissen als nur die Postadresse, die irgendwo gehandelt wird. Was immer wir online erledigen, ob wir etwas suchen, etwas kaufen, ob wir Serien schauen – mit allem hinterlassen wir Spuren im Netz und machen uns damit ziemlich durchschaubar. Meinungsumfragen zeigen: 80 Prozent der deutschen Bevölkerung finden das beunruhigend; die Menschen wollen sich davor schützen können, dass ohne ihr Wissen und ohne ihr Einverständnis Daten gesammelt werden.
Weil Daten keine Grenzen kennen, wurde mit der EG-Datenschutzrichtlinie 1995 ein erster Versuch gemacht, das Datenschutzrecht in der EU zu harmonisieren. Die Richtlinie wurde aber sehr unterschiedlich umgesetzt; es entstand ein Flickenteppich nationaler Regeln, die kaum durchsetzbar waren – schon gar nicht gegenüber den globalen Playern. Die haben gesagt: Ihr mit eurem komischen Datenschutz; den verstehen wir gar nicht.
Die Datenschutz-Grundverordnung, die – anders als die Kollegin Cotar es verstanden hat – nicht am 25. Mai 2018, sondern vor zwei Jahren in Kraft getreten und jetzt wirksam geworden ist, will das ändern. Als unmittelbar geltendes Recht erlaubt sie nur wenige Sonderwege; die Ausrede vom Flickenteppich gilt also nicht mehr, und die rechtlichen Regelungen werden auch nicht durch 16 Landesdatenschutzbeauftragte wieder aufgeweicht. Dazu kommen drastisch erhöhte Bußgelder – alle haben es gehört –: 20 Millionen Euro oder bis zu 4 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Da kommt dann schon was zusammen.
Ansonsten, hört man jetzt, hat sich an den Pflichten von Privatleuten, Unternehmen und Institutionen nicht viel geändert. Wer sich bisher schon datenschutzkonform verhalten hat, hat also nichts zu befürchten. Aber wer hat das schon?
(Manuel Höferlin [FDP]: Richtig!)
Das muss man ja einräumen. Auch wir Abgeordnete waren da nicht besser. Vermutlich haben selbst die Kollegen von der FDP, die die letzten vier Jahre und auch diese zwei Jahre Übergangsfrist in anderen beruflichen Verwendungen waren, da nicht nachgezogen.
(Heiterkeit bei der SPD – Beifall des Abg. Falko Mohrs [SPD])
Ich weiß also sehr gut: Da draußen und hier drin gibt es viele
(Manuel Höferlin [FDP]: Wir waren im Bildungsurlaub, Frau Kollegin!)
– ja, genau –, die die Vorteile eines endlich durchsetzungsfähigen Datenschutzrechtes jetzt nicht im Vordergrund sehen, die ich hier aufzeige. Sie sehen den für viele undurchschaubaren Aufwand, den sie als Verein oder als Unternehmen mit ihrer Website, mit ihrem Onlineshop treiben müssen. Das kostet Mühe, das kostet Geld. Das macht vielen auch Angst. Und, ja, manche Beratungen sind ihr Geld nicht wert, sondern schüren mehr Unsicherheit, als dass sie Hilfestellung geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Auch von denen, die aus Verunsicherung politisch Kapital schlagen wollen, liege Kollegin von der AfD, wird viel Blödsinn erzählt.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])
Alle Beispiele, die Sie genannt hatten, haben mit der Datenschutz-Grundverordnung gar nichts zu tun.
Dazu kommt natürlich die Angst vor den Bußgeldern. Ich bin mir aber sicher – der Staatssekretär hat es gesagt –: Die Datenschutzaufsichtsbehörden werden die Datenschutz-Grundverordnung mit Augenmaß umsetzen. Sie haben ohnehin das Gebot der Verhältnismäßigkeit anzuwenden. Bei erkennbarem Bemühen um den Datenschutz
(Beatrix von Storch [AfD]: Reine Willkür!)
– nix Willkür – werden sie erst einmal auf einen Fehler hinweisen und sagen, wie es besser zu machen ist; denn sie haben in ihrem Aufgabenkatalog nicht nur die Aufsicht, sondern auch die Beratung stehen.
Ich sage also: Die Datenschutz-Grundverordnung ist kein Grund zur Panik. Aber sie ist ein guter Anlass zum Aufräumen. – Na ja, wer räumt schon gerne auf? Aufräumen heißt hier, dass wir uns bewusst machen: Welche Daten besitzen wir? Welche Daten, insbesondere natürlich personenbezogene Daten, brauchen wir? Der Kollege, der davon gesprochen hat, dass das Datenschutzrecht offensichtlich fehle, sprach ja von nicht personenbezogenen Daten. Die sind von der Datenschutz-Grundverordnung gar nicht betroffen. Bitte immer schön auseinanderhalten!
(Beifall bei der SPD)
Wir müssen aufräumen mittels der Fragen: Welche personenbezogenen Daten brauchen wir, auf welche können wir verzichten, und wie gehen wir mit dem Rest um? Im Idealfall sollte dieses Aufräumen zu mehr Datenqualität führen. Weil übrigens auch das sichere Aufbewahren zu unseren Pflichten gehört, führt die Datenschutz-Grundverordnung auch zu mehr Datensicherheit. Insgesamt klingt das also für mich nach einer Win-win-Situation.
Ich räume ein Versäumnis ein. Das tue ich natürlich nicht gerne. Wir haben in den letzten zwei Jahren so wie alle anderen nicht nur bei unseren eigenen Pflichten ein bisschen geschlafen und räumen jetzt vielleicht noch ein bisschen auf. Nein, wir haben es leider auch verpasst, dieses wunderbar durchsetzungsfähige Datenschutzrecht mit einer Kampagne unter die Leute zu bringen, und zwar mit einer, die sie aktiv bei der Umsetzung unterstützt,
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
wie wir überhaupt viel zu oft Gesetze machen, ohne dafür zu werben und auch die Mittel und die Wege für die Umsetzung bereitzustellen.
Denken Sie an Ihre Redezeit.
Letzter Satz. – Ich kann nur dafür plädieren, dass wir das bei der Ausstattung der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit im Zuge der Haushaltsberatungen 2019 in Ordnung bringen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und unser Versäumnis damit ein Stück weit wiedergutmachen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Esken. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke: Anke Domscheit-Berg.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7243263 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der Datenschutz-Grundverordnung |