07.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 36 / Tagesordnungspunkt 8

Michael Roth - Bundeswehreinsatz im Mittelmeer (EUNAVFOR MED)

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Guten Tag, liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Mittelmeer ist immer noch eine der gefährlichsten Migrationsrouten der Welt. Im vergangenen Jahr kamen nach Schätzung der Internationalen Organisation für Migration mindestens 3 000 Menschen auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ums Leben. Jeder einzelne Todesfall ist einer zu viel, und jeder einzelne Todesfall ist eine furchtbare Tragödie für uns alle.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Genau deshalb haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Sommer 2015 die maritime Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia im zentralen und südlichen Mittelmeer ins Leben gerufen. Das Einsatzgebiet liegt südlich von Sizilien vor der Küste Libyens und Tunesiens. Das entspricht ungefähr der Größe der Bundesrepublik Deutschland.

Seitdem haben die Soldatinnen und Soldaten viel erreicht. Es geht insbesondere um drei Aufgaben im Rahmen dieses Auftrages. Erstens: Sie sollen die kriminellen Schleusernetzwerke im Mittelmeer bekämpfen. Zweitens: Sie sollen das Waffenembargo der Vereinten Nationen gegen Libyen auf hoher See durchsetzen. Drittens – das ist sehr umstritten, auch hier im Bundestag –: Sie sollen die libysche Küstenwache ausbilden, damit diese ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen vermag.

Jede dieser drei Aufgaben soll dabei helfen, Menschenleben zu retten und die verbrecherischen Strukturen zu zerschlagen, die hinter dem zynischen Menschenhandel stehen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michel Brandt [DIE LINKE]: Zynisch ist das Agieren der libyschen Küstenwache!)

Das kann aber nur gelingen, wenn die Operation Sophia in eine umfassende Strategie zum Umgang mit Flucht und Migration aus Afrika eingebettet ist.

Herr Roth, sind Sie bereit zu einer Zwischenfrage oder -bemerkung von Dr. Neu?

Ja.

Bitte.

Herr Staatsminister Roth, es ist ja nun sehr offensichtlich, dass die Küstenwache die Funktion hat, die Flüchtlinge wieder nach Libyen zu bringen. Nun ist die Situation in den Lagern in Libyen – um es milde zu sagen – ganz schwierig für die Menschen. Es sind Lager, in denen Menschen vergewaltigt werden, gefoltert werden, getötet werden und versklavt werden. Ich werde gleich in meiner Rede noch mal darauf eingehen.

Was wird eigentlich seitens der Europäischen Union gemacht, um diese Zustände zu beheben? Es gab einen kurzen verbalen Vorstoß des französischen Präsidenten Macron. Danach hat man nichts mehr gehört. Es sind Zustände, die völlig inakzeptabel sind, gerade für eine wertebasierte Europäische Union. Was wird gemacht, um diese Zustände zu unterbinden?

(Beifall bei der LINKEN)

Lieber Herr Kollege Neu, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, noch mal etwas deutlicher als Sie zu formulieren: Die Verhältnisse in den sogenannten Detention Centers, in den Haftanstalten, in denen Geflüchtete untergebracht werden, sind barbarisch, menschenunwürdig und inakzeptabel.

(Zuruf des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE])

In dieser Bewertung stimmen wir alle überein. Die Kolleginnen und Kollegen unserer Botschaft haben sich vor Ort einen eigenen Eindruck zu schaffen versucht. Genau deshalb sind wir bestrebt, die Lage der Geflüchteten in Libyen zu verbessern.

Beim Küstenschutz geht es vor allem darum, dass Libyen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommt. Wir achten bei der Ausbildung insbesondere darauf, dass die humanitären völkerrechtlichen Verpflichtungen geachtet und respektiert werden. Ich bin mit Ihnen derselben Auffassung: Auch hier haben wir erhebliche Defizite abzuarbeiten.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was machen Sie?)

Wir haben 2017 ein entsprechendes Monitoringsystem eingeführt, mit dem die Aspekte „menschenrechtliche Umsetzung“ und „völkerrechtliche Akzeptanz“ beim Küstenschutz Libyens umgesetzt werden müssen. Genau das steht im Mittelpunkt der Ausbildung. Deshalb werbe ich so engagiert auch für diese dritte Säule des Mandates, um dessen Verlängerung ich Sie heute im Namen der Bundesregierung bitte.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen den Menschen in Libyen erkennbar helfen. Wir beteiligen uns unter anderem an der Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen aus Libyen. Wir unterstützen die freiwillige Rückkehr von Menschen ohne Aufnahmeperspektive in ihre Herkunftsländer.

Über die Lage in den sogenannten Detention Centers habe ich schon gesprochen. Damit nähern wir uns dem Kern der Probleme in Libyen. Wir haben es – jetzt bin ich mal der Diplomat – nur sehr begrenzt mit funktionierender Staatlichkeit zu tun. Es muss uns also darum gehen, überhaupt ein Mindestmaß an funktionierender Verwaltung und Organisation zu erreichen. Davon ist ­Libyen derzeit noch sehr weit entfernt. Wenn wir dort konkret helfen wollen, dann ist das kein Prozess, der Monate, sondern dann ist das ein Prozess, der Jahre währen wird.

Dieser Strategie fühlen wir uns in entsprechendem Maße verpflichtet; denn ohne funktionierende Staatlichkeit kann es auch keine demokratisch kontrollierten Sicherheitskräfte und kann es auch nicht überall die Geltung der Menschenrechte geben. Darauf werden wir achten, und darauf achten wir auch.

Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Neu, dass Sie die jüngsten Aktivitäten des französischen Staatspräsidenten gelobt haben. Ich will dabei noch mal das besondere Engagement der Vereinten Nationen hervorheben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an der EUNAVFOR MED Operation Sophia beteiligen sich insgesamt 26 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Mit der Ausnahme von Dänemark sind alle EU-Mitgliedstaaten an Bord. Das zeigt: Der Einsatz im Mittelmeer ist europäische Teamarbeit. Das gilt nicht nur für die Operation insgesamt, sondern auch für die Besetzung der einzelnen Schiffe. Auf den Schiffen der deutschen Marine kommen immer wieder auch Kräfte aus Partnernationen zum Einsatz, die selbst kein eigenes Schiff haben: Kräfte aus Litauen, Finnland, Österreich und nicht zuletzt aus der Slowakei auf der Fregatte „Sachsen“. Die gelungene Eingliederung der Einheiten aus Partnerländern steht beispielhaft für die vertiefte europäische Zusammenarbeit bei Sicherheit und Verteidigung. Gemeinsam können wir mehr erreichen als alleine, und nur der gemeinsame Einsatz von europäischen Fähigkeiten führt zum Erfolg.

Ich möchte einige Erfolge beispielhaft erwähnen:

Erstens. Seit Beginn der Operation im Juni 2015 konnten insgesamt knapp 500 Schleuserboote aufgebracht und 139 der Schleuserei Verdächtige an die italienische Polizei übergeben werden.

Zweitens. Indem die Mission das Waffenembargo der Vereinten Nationen gegenüber Libyen auf hoher See durchsetzt, stärkt die Operation Sophia die libysche Einheitsregierung und trägt zur Stabilisierung des Landes bei.

Drittens. Die Operation Sophia hat seit Oktober 2016 mehr als 200 Angehörige der libyschen Küstenwache ausgebildet, sowohl auf hoher See als auch auf europäischen Boden.

Weil Sie, Herr Neu, das eben kritisch angesprochen haben, möchte ich unser Vorgehen noch mal ein bisschen erläutern. Genauso wie Sie und viele andere Kolleginnen und Kollegen sehe auch ich massive Defizite. Genau deshalb haben wir diesen Monitoringprozess eingeleitet. Wir wollen die Menschenrechtsfragen und das Völkerrecht zu einem zentralen Bestandteil der Ausbildung machen. Die EU-Operation hat einen entsprechenden Mechanismus eingeführt, um die Ausbildungsfortschritte in diesem Bereich systematisch zu erhöhen. Das hat dazu beigetragen – das bestätigen mir auch viele Kolleginnen und Kollegen –, Missstände aufzudecken, Fehlverhalten zu benennen und die Ausbildung insgesamt zu verbessern. Zum Beispiel gibt es nun mehr Sprachschulung, um auch die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen – auch darüber haben wir in der Fragestunde öfter gestritten – zu verbessern.

Ich will die Operation Sophia nicht überbewerten. Sie ist wichtig; aber weitere Schritte müssen im Rahmen der umfassenden EU-Unterstützung erfolgen, damit Libyen künftig selbst seinen Verpflichtungen zur Seenotrettung unter Einhaltung internationaler Standards nachkommen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die Seenotrettung nicht die Kernaufgabe der Operation ist, zählt am Ende vor allem eines: In den vergangenen drei Jahren haben die Soldatinnen und Soldaten auf den Schiffen der Operation Sophia insgesamt mehr als 48 000 Menschen – Frauen, Männer, Kinder – vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet, davon mehr als 22 500 mithilfe der Schiffe der deutschen Marine.

Ich möchte deshalb ausdrücklich allen Männern und Frauen auf den Schiffen EUNAVFOR MED Dank und Anerkennung aussprechen. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Soldatinnen und Soldaten, sondern auch für die anderen Retter im Mittelmeer, ob auf einem Schiff der italienischen Küstenwache, auf dem Schiff einer Nichtregierungsorganisation oder einem Handelsschiff.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn die Soldatinnen und Soldaten von ihrem Einsatz im Mittelmeer zurückkehren, berichten sie häufig von der besonders berührenden Erfahrung der Seenotrettung und blicken mit Stolz auf das, was sie auch auf unseren Auftrag hin geleistet haben, um Menschenleben zu retten. So wurde es mir auch von der Besatzung des Tenders „Werra“ berichtet, dem Patenschiff der Stadt Eschwege in meinem nordhessischen Wahlkreis, das ebenfalls im Mittelmeer im Einsatz war. Genau vor dem Hintergrund dieser ermutigenden Erfahrung und vor dem Hintergrund dessen, was alles noch zu tun ist, bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um Verlängerung dieses Mandates.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Michael Roth. – Nächster Redner: Jan Nolte für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7243284
Wahlperiode 19
Sitzung 36
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz im Mittelmeer (EUNAVFOR MED)
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