Stefan RuppertFDP - Gesetz zu dem Vertrag mit dem Zentralrat der Juden
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist Zeit, ein wenig innezuhalten und sich zu fragen, wie man Antisemitismus bekämpft. Es ist wahrscheinlich wohlfeil, immer auf eine Gruppe zu zeigen und zu sagen: Antisemitismus geht vor allem von links oder von rechts oder vom Islamismus aus. – Am schwierigsten und am glaubwürdigsten wird es aber, wenn man sich selbst hinterfragt. Und als Vertreter einer Partei der Mitte sage ich: Er geht auch von der Mitte der Gesellschaft aus. – Deswegen ist es für uns alle die Aufgabe, ihn nicht auf einer Seite abzubuchen, sondern den Schmerz zu spüren, den uns diese Äußerungen allen zufügen, und das zu bearbeiten.
Meine Partei hat nach 1945 natürlich antisemitische Äußerungen erlebt. Wir haben uns damit auseinandergesetzt. Wir haben Nazis gehabt, die in die FDP eingetreten sind – wie in andere Parteien übrigens auch. Wir haben das bearbeitet und aufgearbeitet. Wir haben uns davon emanzipiert. Wir haben eine Partei in die Mitte der Gesellschaft geführt, und wir sind sensibel. Damit haben Sie nicht mal angefangen. Im Gegenteil: Sie brechen auf in eine Richtung, die einseitig Antisemitismus zuordnet.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Wer aufhört, sich selbst Fragen zu stellen, sich zu hinterfragen: „Wo war ich an dem Tag? Was habe ich gemacht?“, der soll nicht andere anklagen und auf andere mit dem Finger zeigen, sondern jeder arbeite bitte auf seiner Baustelle. Ihre ist sicherlich nicht die kleinste, ganz im Gegenteil.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist sinnvoll, diesen Vertrag abzuschließen. Bei all dem, was wir auch immer bedauernd sagen müssen, weil wir merken, dass Menschen in unserem Land wieder Angst haben, nur weil sie einer bestimmten Glaubensrichtung angehören, ist es sinnvoll, auch mal darüber zu reden, was für wunderbares jüdisches Leben es in Deutschland gibt, wie plural es ist.
Da gibt es die ELES, eine Stiftung für Stipendiaten, die besonders begabt sind. Es gibt liberale Rabbinerseminare, orthodoxe Rabbinerseminare, es gibt gesellschaftliche Initiativen, da bildet sich eine neue jüdische Denkfabrik – morgen mit einer hochinteressanten Konferenz –, da sind Menschen mitten in dieser Gesellschaft. Sie gestalten sie mit und helfen, dass aus der freiheitlich-demokratischen Grundordnung noch mehr wird; sie leben Pluralismus, und dafür sage ich den Jüdinnen und Juden in Deutschland an dieser Stelle ganz herzlichen Dank – genauso wie für die Arbeit des Zentralrats der Juden in Deutschland.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jüdisches Leben kann aus der Sicht von uns Deutschen, die wir die deutsche Geschichte und ihre größte Katastrophe kennen, nie aus der Normalperspektive betrachtet werden, und trotzdem wünsche ich mir, dass wir irgendwann in einer Gesellschaft leben, in der wir diese Vielfalt noch stärker wahrnehmen und in der sie uns noch stärker erfreuen kann, weil die Probleme des Antisemitismus etwas kleiner werden. Es wäre leider eine Illusion, zu glauben, dass wir sie jemals ganz beseitigt haben. Nein, diese Fragen – auch an uns selbst – werden immer bleiben.
Herr Kollege Ruppert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Baumann?
Gerne, ja.
Vielen Dank für die Möglichkeit der Zwischenfrage. – Herr Kollege Ruppert, Sie haben Antisemitismus aktuell wieder mit der AfD in Zusammenhang gebracht,
(Johannes Kahrs [SPD]: Sehr richtig!)
aber selber eingestanden, dass die FDP teilweise von Nazis mit aufgebaut worden ist, sie also echte Nazis in der Partei hatte.
(Johannes Kahrs [SPD]: Und Sie sind ein rechtsradikaler Verein!)
Wissen Sie, dass derjenige, der Mitglied der AfD werden will, eine Erklärung abgeben muss, dass er niemals DVU, NPD oder irgendeine Partei, die was mit Nazismus oder Antisemitismus zu tun hat, unterstützt hat, und ansonsten nicht in die Partei eintreten darf
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Höcke?)
und dass derjenige, der das falsch angibt, hinterher aus der Partei wieder rausfliegt? Wir sind die einzige Partei, die mit Sicherheit keine solchen organisierten Nazis hat.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß nicht, wie viele ehemalige NPD-Mitglieder in der CDU sind. Sie selber wissen es ja auch nicht, weil Sie es gar nicht überprüft haben. Wie viele KPD-Mitglieder und DKP-Mitglieder sind in der SPD?
Herr Kollege Dr. Baumann.
Sie wissen es nicht, und die Grünen wissen es auch nicht.
Herr Ruppert, wissen Sie, dass es sich so verhält,
(Johannes Kahrs [SPD]: Sie sind selber rechtsradikal! Da sollte man vorsichtig sein!)
dass wir die einzige Partei sind, die ganz klarmacht: „Wer jemals in einer extremistischen Organisation war, kann bei uns nicht Mitglied sein“? Wir sind die Einzigen. Bei uns gibt es keine Leute aus antisemitischen Parteien.
(Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: Sie sind doch selber rechtsradikal! – Weitere Zurufe: Flegel! – Getroffene Hunde bellen!)
Herr Kollege Baumann, ich glaube, Sie haben eben sehr eindrucksvoll dokumentiert, was der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist. Sie haben die tiefe innere Gewissheit, dass Sie in Ihren eigenen Reihen überhaupt kein Problem haben. Das ist eine, offen gesagt, schon fast realitätsverweigernde Illusion. Jeder hat in seinen Reihen dieses Problem, und ich glaube, ich muss Ihnen nicht das „Mahnmal der Schande“ und den „Fliegenschiss der deutschen Geschichte“ vorhalten.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das hat mit Antisemitismus nichts zu tun!)
Ich kann Ihnen Ihre totale Realitätsverweigerung, die an dem Beitrag zu erkennen ist, den Sie hier eben eine Minute lang gehalten haben: „Es gibt das Problem bei uns nicht, wir müssen uns damit nicht auseinandersetzen, wir sind rein in unseren Reihen“, einfach nicht durchgehen lassen. Wer so von sich spricht, ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, Herr Baumann.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage zur Beantwortung noch einige Sätze mehr. Ich war schon in der FDP, als es Anfang dieses Jahrtausends Äußerungen gab, die mir nicht gefallen haben. Ich war schon im Deutschen Bundestag, als einmal Menschen in diesem Saal nicht aufgestanden sind; es gab hier nämlich sekundären Antisemitismus. Für mich sind beispielsweise Leute wie Frau Pau, die nach mir redet, glaubwürdig, die die Lösung dieses Problems selber aktiv bearbeiten, und nicht Leute wie Sie, die dieses Problem einfach negieren und sich der Realität verweigern.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als nächste Rednerin hat das Wort die Vizepräsidentin Frau Kollegin Petra Pau.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7276673 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 52 |
Tagesordnungspunkt | Gesetz zu dem Vertrag mit dem Zentralrat der Juden |