Jürgen PohlAfD - Gesetzlicher Mindestlohn
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Werte Gäste! Die vorliegenden Anträge zum Mindestlohn gehen mal wieder an den eigentlichen Problemen vorbei. Lassen Sie mich zunächst feststellen: Der derzeitige Mindestlohn ist ein Armutslohn und keine Erfolgsgeschichte, wie Kollege Rützel hier glauben machen will.
(Beifall bei der AfD – Bernd Rützel [SPD]: Doch! Das ist unsere Erfolgsgeschichte!)
Ich glaube, da dürften Die Linke und meine Partei einer Meinung sein.
Aus diesem Armutslohn folgt für die meisten Arbeitnehmer die Armutsrente. Daran ändert auch der Antrag der Linken nichts, und das ist das Problem.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht!)
– Ich erkläre Ihnen das in Ruhe. – Schauen Sie einmal in den Osten unseres Landes. Wer Arbeit hat, verdient zu wenig. 25 Jahre nach der deutschen Einheit ist besonders in den unteren Einkommensgruppen festzustellen, dass das Einkommensgefälle von West nach Ost durchschnittlich 25 Prozent beträgt, in der Spitze bis zu 31 Prozent,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Durchschnittlich 21 Prozent, nicht 25 Prozent!)
und das bei Kosten für die Lebenshaltung, die ungefähr gleich sind. Schauen Sie einmal nach Jena oder Erfurt! Weil die Einkommen so niedrig sind, gibt es im Osten so viele Hartz-IV-Aufstocker; das heißt, ohne die staatlichen Zuschüsse können die Arbeitnehmer ihre Familie nicht ernähren. In solchen Verhältnissen sind Kinder ein zusätzliches Risiko; diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Folge ist massive Kinderarmut im Osten.
Die Statistik zeigt: Wer einmal in Hartz IV ist, kommt da nicht wieder raus.
(Alexander Krauß [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Unsinn! Schauen Sie sich die Statistik an, dann sehen Sie, dass Hartz IV gewirkt hat!)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, bitte nicht, lassen Sie mich mal ausführen. Die können mich nachher gerne anrufen, wenn es zur Sache beiträgt; ich stehe im Telefonbuch. Und wenn es nicht zur Sache beiträgt, können sie trotzdem anrufen.
Ich komme zum Thema zurück. Die Statistik zeigt: Wer einmal in Hartz IV ist, kommt da nicht wieder raus. Die Hälfte der Kinder lebt seit vier Jahren oder länger in Hartz-IV-Armut, und das mit gravierenden Folgen. Die Bertelsmann-Stiftung sagt: Diese Kinder sind häufiger krank, diese Kinder haben im Bildungssystem deutlich schlechtere Chancen als Kinder wohlhabender Familien. Und – jetzt kommt’s – wer seine Kinder alleine erzieht, ist noch schlimmer dran. Fast 50 Prozent aller Alleinerziehenden sind arm, meistens Frauen. – Unsere alleinerziehenden Frauen arbeiten häufig in Berufen mit meist erbärmlichen Niedriglöhnen; sie sind grundsätzlich Aufstocker. Wenn sie einen Job haben, dann sind sie Mini-Jobber oder arbeiten in Teilzeit. Helfen Sie, Genossen von der Linken, diesen Frauen mit Ihren Anträgen? Nein.
Wir wissen: Jeder zweite Neurentner wird in Zukunft unterhalb der Armutsgrenze liegen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist falsch!)
Über die Hälfte der rentennahen Jahrgänge wird im Alter ihren Lebensstandard nicht halten können. Bereits heute erhöht sich die Anzahl der Rentner exorbitant, die im Ruhestand arbeiten müssen.
(Alexander Krauß [CDU/CSU]: Kommen Sie bei Gelegenheit mal aufs Thema zu sprechen!)
Die Anzahl der geringfügig Beschäftigten über 60 Jahre stieg von 2003 bis 2018 um 66 Prozent. Immer mehr Rentnern bleibt ein Ruhestand in Würde versagt.
(Alexander Krauß [CDU/CSU]: Was ist denn Ihr Konzept?)
Ihre Lebensleistung wird durch die Gesetze der Sozialdemokraten mit Füßen getreten.
(Beifall bei der AfD – Marianne Schieder [SPD]: Wo ist Ihr Konzept? Und wer bezahlt das?)
Liebe Genossen, ich komme zurück zu Ihrem Antrag zur Steigerung des Mindestlohns. Dieser Antrag vergisst, dass die einfache Anhebung des Mindestlohnes
(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)
in dieser sozialen Frage nicht die entscheidende Frage ist. Die Einführung des Mindestlohns wurde allein durch die Agenda 2010 notwendig, Genossen von der SPD. Der Mindestlohn kam, weil die SPD sich ihr Versagen nicht eingestehen wollte. Der Mindestlohn ist nichts weiter als eine billige Kosmetik für eine Wirtschaftspolitik, die die arbeitende Bevölkerung verachtet. Wenn heute einfach an der Erhöhungsschraube gedreht wird, um die grundsätzlichen Fehler des Systems, nämlich des Hartz-IV-Systems, und der verfehlten Wirtschaftspolitik aufzuheben, dann bringt uns das nicht weiter.
Wenn Sie das nicht verstehen, gebe ich Ihnen ein Beispiel: Ende der 90er-Jahre gab es bei VW ein Jobprogramm, das „5 000 mal 5 000“ hieß: 5 000 Arbeitsplätze für Ungelernte in der Kfz-Automobilindustrie zu einem Lohn von 5 000 D-Mark brutto, also 2 500 Euro brutto. Nun erklären Sie mir mal, wo in West- oder Ostdeutschland nach Agenda 2010 und nach Einführung des Mindestlohns ein Einstiegsgehalt von 2 500 Euro brutto für eine ungelernte Fachkraft gezahlt wird? Ich sage es Ihnen: nirgendwo.
(Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Kfz-Handwerk ist ja auch gelernt!)
Mit der massiven Ausweitung von Minijobs, Teilzeit, befristeter Arbeit und vor allem Leiharbeit ist der Lohn in den unteren Einkommensschichten auf einen erbarmungswürdigen Mindestlohn gesunken. Allein die Anhebung dieses Mindestlohns bei weiterhin hohen Teilzeit-, Befristungs- und Leiharbeitsquoten hilft in der Sache nicht weiter; das wissen Sie.
(Beifall bei der AfD – Alexander Krauß [CDU/CSU]: Was ist denn Ihr Konzept? Kommen Sie doch mal zum Thema! Viel Zeit haben Sie nicht mehr! Fangen Sie endlich mal an!)
– Zum Konzept komme ich noch. Lassen Sie mal. Sie feixen und johlen hier wie im Kindergarten und sind derart abgehoben, dass Sie gar nicht mehr mitkriegen, was da draußen passiert.
(Beifall bei der AfD)
Lassen Sie mich doch mal ausreden.
Herr Kollege, Frau Kollegin Schimke möchte eine Zwischenfrage stellen.
Nein, es bleibt dabei, danke schön. – So ist das.
(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Dürfen wir Sie anrufen?)
– Ich stehe im Telefonbuch.
Noch mal: Allein die Anhebung des Mindestlohns bringt uns in der Sache nicht weiter. Wir müssen an die Teilzeit, die befristeten Jobs, an Leiharbeit herangehen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das eine schließt das andere nicht aus!)
Wir dürfen nicht über Mindestlohn reden, sondern müssen über Wohlstandslohn reden. Ich sage Ihnen: Gerechte Löhne fallen nicht vom Himmel. Gerechte Löhne müssen erkämpft werden.
(Marianne Schieder [SPD]: Ach ja!)
Bis Mitte der 90er-Jahre wurde der verteilungsneutrale Spielraum ausgeschöpft. Seither ist das kaum noch gelungen. Seit gut 20 Jahren bleiben die Löhne hinter der Produktivitätsentwicklung zurück; darüber müssen wir reden. Wir müssen darüber reden, dass in Deutschland nach dem Sozio-oekonomischen Panel die Reallöhne für 40 Prozent der Bevölkerung gesunken sind. Die Mindestlohndebatte ist die falsche Debatte. Der Grundfehler der Agenda 2010 muss endlich behoben werden. Die Agenda 2010 hat eine Verhandlungsposition für die abhängig Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt geschaffen und sie dabei massiv geschädigt. Wer vor der Wahl steht: „Verkauf dein Vermögen und nimm Hartz IV oder nimm den miesen Job an“, der wird bereit sein, Arbeit zu niedrigsten Löhnen zu akzeptieren. Das ist das Problem, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der AfD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, die AfD will, dass der Mindestlohn so niedrig bleibt!)
Wir müssen die Verhandlungspositionen der abhängig Beschäftigten wieder stärken. Das heißt, wir müssen die Gewerkschaften stärken. Wir müssen die Arbeitnehmer ermuntern, sich gewerkschaftlich zu organisieren, etwa in „ALARM!“. Die Aufgabe der Vertragspartner auf dem Arbeitsmarkt ist, ordentliche und auskömmliche Löhne zu vereinbaren. Vor dem unseligen Wirken des SPD-Kanzlers Schröder hat das auch funktioniert. Schaut man sich die Wahlergebnisse der SPD und den Wählerwillen an, dann stellt man fest: Die Wähler draußen haben verstanden, dass eine Lösung mit der SPD in dieser Frage wohl nicht mehr zu machen ist.
(Beifall bei der AfD)
Wir als AfD, als neue Volkspartei,
(Lachen bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
als Partei der kleinen Leute, der Arbeitnehmer, der Arbeiter, der Angestellten und der mittelständischen Unternehmer, haben die Lohnfrage als soziale Frage erkannt. Wir werden sie im Sinne unserer Wählerschaft vertreten, gegen demütigende Armut und für einen Wohlstandslohn, der Eigenständigkeit und gutes Leben der Bürger garantiert.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt der neoliberale Teil der AfD-Fraktion dazu?)
– Ich sehe, dass ich Reaktionen bei Ihnen ausgelöst habe.
Danke schön.
(Beifall bei der AfD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt ein Wunsch nach einer Kurzintervention vor. Ich lasse solche Kurzinterventionen heute Nachmittag zu unter der Maßgabe, dass der Betreffende bis zum Ende der Tagesordnung gegen 17.45 Uhr bleibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Unter dieser Maßgabe erteile ich das Wort für eine Kurzintervention dem Kollegen Weiler von der CDU/CSU-Fraktion.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7296724 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 69 |
Tagesordnungspunkt | Gesetzlicher Mindestlohn |