Carl-Julius CronenbergFDP - Gesetzlicher Mindestlohn
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn mir jemand vor fünf Jahren prophezeit hätte, dass ich hier einmal als Gralshüter des deutschen Mindestlohngesetzes auftreten würde, hätte ich ihn, glaube ich, für komplett verrückt erklärt. So ist das: Die einen machen ihren Frieden mit dem Neuen. Die anderen wollen gegen ihr eigenes Gesetz in den Krieg ziehen. Finanzminister Scholz hat einen Mindestlohn von 12 Euro als angemessen bezeichnet.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni Breymaier [SPD])
Arbeitsminister Heil kündigt laut „FAZ“ vom 1. November die Entmachtung der Mindestlohnkommission an. Lieber Kollege Bernd Rützel, bitte sprechen Sie nicht nur zu uns, sondern auch zu Ihren eigenen Ministern. Sie haben vollkommen recht: Man kann auch einmal auf etwas stolz sein, was gelungen ist, statt das zu bekämpfen, was man selbst beschlossen hat.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])
Nun habe ich – Gott sei Dank – keinen Beratungsauftrag für die SPD. Aber eines möchte ich sehr deutlich klarstellen: Die Struktur der Zusammensetzung der Mindestlohnkommission ist Voraussetzung und Garant für die Stabilität auf dem Arbeitsmarkt; Matthias Zimmer hat das hervorgehoben. Wer aus politischen Motiven die Axt an die Unabhängigkeit der Kommission legt, der gefährdet Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist gerade zwei Wochen her, dass wir 100 Jahre Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft gefeiert haben. Wir wissen, dass diesem Modell sozialer Frieden, auskömmliche Löhne und viele Jahre mit hoher Beschäftigung zu verdanken sind. Eine Anhebung des Mindestlohnes auf 12 Euro pro Stunde, wie es Ihren Anträgen zu entnehmen ist, ist ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie. Was wollen Sie dem Gesellen im Fleischerhandwerk sagen, wenn jemand, der keine Ausbildung gemacht hat, plötzlich dasselbe verdient? Ich finde das ungerecht.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie könnten den Lohn für den Gesellen anheben!)
Im Sinne des Lohnabstandgebots gibt es nur eine faire Lösung: Alle Löhne, Hilfsarbeiter-, Gesellen- und Meisterlöhne, werden entsprechend angehoben. Dann wird die Wurst wohl teurer. Inflation wäre die Folge, und das ist eher Käse. Wir sehen: Wer in die Tarifautonomie eingreift, schadet Arbeitgebern, Beschäftigten und auch Verbrauchern.
(Beifall bei der FDP – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sie sind ein guter Gralshüter, ein sehr guter Gralshüter!)
Meine Damen und Herren, der Mindestlohn ist kein Instrument zur Armutsbekämpfung; Matthias Zimmer hat auch das schon erwähnt. Das sieht man schon daran, dass wir einen Stundenlohn als Mindestlohn festgelegt haben und kein Monatseinkommen. Das geht auch gar nicht. Einkommen hängt von vielen Faktoren ab, von den gearbeiteten Stunden allen voran. Der Mindestlohn ist eine Lohnuntergrenze und damit ein wettbewerbspolitisches Instrument. Er lässt Wettbewerb zu und schafft lediglich Mindeststandards.
Nun sprechen Sie in Ihren Anträgen den Missbrauch und die Umgehung des Mindestlohns an. Zweifellos gibt es Probleme, aber eines steht fest: In mehr als 96 Prozent der überprüften Fälle wurde der Mindestlohn oder mehr ordnungsgemäß gezahlt und eben kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Von flächendeckenden Verstößen kann keine Rede sein. Auch wird gar nicht wegen niedriger Löhne ermittelt, sondern wegen der fehlerhaften Dokumentation. Die umfangreichen Aufzeichnungspflichten belasten noch heute viele kleine und mittlere Unternehmen in großem Maße.
(Beifall bei der FDP)
Daher warnen wir davor, Aufzeichnungspflichten weiter zu verschärfen. Das trifft alle, besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, und schafft Unsicherheit und zusätzliche Bürokratie. Die Bekämpfung von Missbrauch darf nicht zulasten der Ehrlichen gehen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP)
Eine Umgehung des Mindestlohns ist statistisch gar nicht so einfach zu messen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schreibt etwa, dass es bei der Datenerhebung zu Messfehlern kommt, weil Monatsbruttolohn und wöchentliche Arbeitszeit getrennt abgefragt werden. Der Stundenlohn muss also separat berechnet werden. Es gibt Schnittstellen, und damit gibt es Fehler. Das ist der gleiche Mist wie beim Diesel. Ich sage: Erst richtig messen, dann meckern.
(Beifall bei der FDP)
Die in den vorliegenden Anträgen geforderten Maßnahmen stellen einen schweren Eingriff in das Mindestlohngesetz dar und stören den funktionierenden Arbeitsmarkt empfindlich. Statt populistische Forderungen zu erheben, sollten Sie lieber die Evaluation in zwei Jahren abwarten. Wir wissen auch noch nicht, was in einer Rezession passieren würde. Deswegen plädieren wir Freie Demokraten für die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission. Vertrauen wir den Tarifpartnern, und lassen wir sie einfach ihre Arbeit machen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Kollegin Susanne Ferschl hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7296728 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 69 |
Tagesordnungspunkt | Gesetzlicher Mindestlohn |