31.01.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 77 / Tagesordnungspunkt 4

Bijan Djir-SaraiFDP - Russlandpolitik

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An diesem Wochenende nähern wir uns mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Scheitern des INF-Vertrages, weil Russland seit Jahren den Vertrag bricht. An diesem Wochenende blicken wir zurück auf fast fünf Jahre Krieg in der Ostukraine, weil die russische Regierung beschlossen hat, mit prorussischen Milizen einen echten Krieg auf europäischem Boden zu führen. An diesem Wochenende blicken wir zudem auf drei Jahre russischen Militäreinsatz in Syrien, an der Seite des Assad-Regimes und der iranischen Milizen, zurück. Wir haben in den vergangenen Jahren Einsätze russischer Agenten in EU-Staaten erlebt. Wir sind Opfer von massiven russischen Cyberangriffen geworden, weil sie Teil der russischen Außenpolitik sind. Kurzum: Russland tritt seinen Nachbarn gegenüber äußerst aggressiv auf. Es wäre falsch, diese Realitäten zu ignorieren.

(Beifall bei der FDP – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wer hat damit angefangen?)

Ansonsten hat sich in der Welt auch einiges verändert. Wer heute die Probleme im Nahen und Mittleren Osten lösen will, der ruft nicht mehr in erster Linie in Washington an, sondern ist gezwungen, in Moskau anzurufen. Das ist politische Realität. Das hat auch etwas damit zu tun, dass die jetzige Administration der USA sich immer mehr aus der Diplomatie zurückzieht. In diesen Zeiten kommt es besonders darauf an, dass Europa einig und mit einer Stimme auftritt. Russland hat eigene Sicherheitsinteressen, und Europa muss noch lernen, seine eigenen Interessen zu vertreten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Was passiert, wenn die Bundesregierung und Europa ihre Interessen nicht vertreten, verdeutlicht das mögliche Scheitern des INF-Vertrages. Es ist nicht so, dass uns die aktuelle Administration erst jetzt darauf aufmerksam gemacht hat, dass dieser Vertrag von Russland einseitig verletzt wird. Seit Jahren weist die US-Administration darauf hin – übrigens hat die letzte Administration schon darauf hingewiesen –, dass hier etwas passiert. Leider Gottes ist seitens der Bundesregierung nichts passiert. Das ist systematisch ignoriert worden. Jetzt, fünf vor zwölf, wacht die Bundesregierung auf und ist voller Aktivismus. Hier hätte man früher handeln können und handeln müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel?

Selbstverständlich.

Herr Kollege Djir-Sarai, Sie haben ja recht: Es ist zu wenig getan worden. Wir haben aber in den vergangenen Wochen und Monaten in diesem Hause immer wieder aus allen Fraktionen gehört, dass es, was den INF-Vertrag anbelangt, um einen größeren Rahmen als nur Europa geht und dass man China, Iran und andere Länder mit in den Fokus nehmen muss.

Es klang heute bei den Sozialdemokraten und ebenfalls – wenn ich ihn richtig verstanden habe – bei Herrn Röttgen an, dass es im europäischen Interesse und insbesondere im deutschen Interesse sein muss, dass es in Europa keine nuklearen Mittelstreckenwaffen mehr gibt. Ginge Ihre Fraktion auch so weit, zu sagen – wir haben gestern den Außenminister gefragt, der übrigens anderer Meinung war als Sie von der SPD-Fraktion –, dass wir uns, auch wenn die Amerikaner sich dort nicht bewegen, bemühen müssen, mit den Russen und den westeuropäischen Ländern einen Vertrag hinzubekommen, der Europa weiterhin von nuklearen Mittelstreckenwaffen frei hält?

Herr Kollege Hampel, ich bin Ihnen für diese Frage außerordentlich dankbar. – Selbstverständlich – das wissen Sie; diese Debatte hatten wir um Auswärtigen Ausschuss – handelt sich um einen bilateralen Vertrag, und selbstverständlich hat sich die Welt inzwischen verändert. Ich habe unseren Außenminister sowohl im Auswärtigen Ausschuss als auch in seinem „Spiegel“-Interview so verstanden, dass Deutschland gerade den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat dafür nutzen wird, um einen umfassenden Vertrag, möglicherweise auch einen globalen Vertrag, wie Sie es gesagt haben, zustande zu bekommen.

Selbstverständlich hat sich die Welt verändert. Wir haben inzwischen auch andere politische Akteure. Wir reden inzwischen nicht nur von Russland, sondern müssen auch darüber reden: Was ist eigentlich die chinesische Rolle, was ist mit dem Iran oder anderen Staaten? Das heißt, wir werden am Ende des Tages einen Vertrag brauchen, bei dem diese Akteure auch dabei sind.

Der INF-Vertrag war ein Garant für die Sicherheitsarchitektur in Europa. Ich glaube, wir wären von seinem Scheitern besonders betroffen, weil wir weiterhin eine funktionierende Sicherheitsarchitektur in Europa brauchen. Deswegen – das habe ich auch vorhin gesagt – ist es außerordentlich wichtig, dass Deutschland sich hier stark engagiert und vor allem Europa hier vorangeht.

Wir hätten hier früher handeln müssen. Der Vorwurf war bekannt; schon die Obama-Administration hat darauf hingewiesen, dass es fünf vor zwölf ist, dass wir da etwas tun müssen. Das ist leider Gottes in den letzten Jahren ignoriert worden, und das fällt uns leider jetzt auf die Füße. Ich hoffe, es ist nicht zu spät; ich hoffe, dass wir diesen Vertrag noch retten können. Es ist besser, einen solchen Vertrag zu haben, als gar keinen Vertrag zu haben.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme zurück zum Ausgangspunkt. Es geht darum, ein Scheitern des Vertrages zu verhindern. Ich habe es bei der Beantwortung der Frage schon gesagt: Wir werden die europäische Sicherheitsarchitektur, Herr Kollege Hampel, neu denken müssen, mit allen Konsequenzen. Das zeigt: Der kritische Dialog mit Russland ist sehr wichtig. Ziel muss dabei vor allem die Rückkehr des Landes zum Völkerrecht sein. Regelbasierte Politik und gegenseitiges Vertrauen müssen wieder auf der Tagesordnung stehen.

(Beifall bei der FDP)

Für uns Freie Demokraten steht aber gleichzeitig außer Frage: Sollte Russland nicht für einen konstruktiven Dialog zur Verfügung stehen, darf es auch kein Entgegenkommen bei den Sanktionen geben. Im Gegenteil: Freiheit und Menschenrechte müssen vehement verteidigt werden.

Meine Damen und Herren, die EU und Russland sind nicht nur geografische Nachbarn; sie sind auch historisch, wirtschaftlich und kulturell eng verbunden. Der zivilgesellschaftliche Austausch mit Russland muss trotz aller Differenzen weiter gestärkt werden.

Außerdem dürfen wir am Ende einer solchen Debatte einen Fakt – bei jeglicher Kritik an Russland – nicht ignorieren: Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland; ohne Russland ist eine nachhaltige Sicherheitsarchitektur in Europa undenkbar.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Frauke Petry.

(Beifall des Abg. Mario Mieruch [fraktionslos])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7322378
Wahlperiode 19
Sitzung 77
Tagesordnungspunkt Russlandpolitik
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