Antje LeziusCDU/CSU - Gesetz zu Übergangsregelungen nach dem Brexit
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kleinwächter, dass Ihnen und Ihrer Partei das Wohl der betroffenen Bürger und Bürgerinnen sowohl in Deutschland als auch in der EU nicht wichtig ist,
(Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
haben Sie mit Ihrer Rede gerade noch mal gezeigt.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ach, hören Sie doch auf! – Stephan Brandner [AfD]: Und Sie und die Kanzlerin haben es verursacht!)
Ich hoffe, die Bürger und Bürgerinnen erkennen das und wählen dementsprechend am 26. Mai 2019.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Möglichkeit, in nahezu jedes Land unseres Kontinents zu ziehen, dort zu lernen, wo der Ausbildungs- und Studiengang angeboten wird, für den man sich am meisten interessiert, dort zu arbeiten, wo die Kompetenzen am meisten gebraucht werden, dort zu leben, wo das Herz seinen Partner oder seine Partnerin findet, und bei alldem so behandelt zu werden wie die Staatsangehörigen des Aufnahmelandes – das alles ermöglichen der freie Personenverkehr und die Aufenthaltsfreiheit, die europäische Freizügigkeit. Dies ist eine der großen Errungenschaften der Europäischen Union.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Die die Briten nicht mehr wollen!)
Zu einer wirklichen Freiheit wird diese Freizügigkeit aber erst dann, wenn wir uns sicher fühlen. Sicherheit beinhaltet nicht nur den Schutz vor Gewalt, sondern auch die Gewissheit, eine Ausbildung zu Ende zu bringen, im Krankheitsfall versorgt zu sein und im Alter nicht mit leeren Händen dazustehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU])
Die EU-Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit bieten diese Verlässlichkeit. Sie sind die Rechtsgrundlage für die Koordinierung von Leistungen bei Krankheit und Pflege,
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Und sie gelten bald nicht mehr für die Briten! Die wollten das so!)
bei Mutter- und Vaterschaft, bei Invalidität und Alter, von Leistungen an Hinterbliebene, von Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, im Sterbefall – das Sterbegeld – sowie bei Arbeitslosigkeit, von Vorruhestands- und Familienleistungen. Warum diese lange Aufzählung? Um deutlich zu machen, wie umfassend die Koordinierung innerhalb der Europäischen Union für die Freiheit von uns Bürgerinnen und Bürgern ist.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was passiert derzeit in Großbritannien? Elf Parteimitglieder haben mittlerweile Labour und die Konservativen verlassen. Eine große Ratingagentur droht mit der Abstufung der Kreditwürdigkeit. Große Supermärkte und Fast-Food-Ketten warnen in einem offenen Brandbrief an alle Abgeordneten im Unterhaus vor einer signifikanten Störung der Lebensmittelversorgung. Selbst für diejenigen, für die ein geeintes Europa weder Herzensanliegen noch Wohlstandsgarant war, sollten die negativen Folgen eines Brexits immer offensichtlicher werden.
Trotzdem müssen wir davon ausgehen, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union austreten wird.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja!)
Im Falle eines harten Brexits, also eines Ausscheidens Großbritanniens ohne Austrittsabkommen, entfallen die EU-Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ohne dass ein neues Abkommen für Ersatz sorgt.
Was wäre die Konsequenz? Das Wiederaufleben des Abkommens zwischen der Bundesrepublik und dem Vereinigten Königreich über Soziale Sicherheit von 1960. Damals war Großbritannien noch kein Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, und Verträge mussten bilateral geschlossen werden. Aber dieses Abkommen von 1960 kann nicht unser Maßstab sein. Rentenzeiten, die im Ausland erworben wurden, die berufsständische Versorgung, die Pflegeversicherung, die Arbeitslosenversicherung – ich möchte nur einige Bereiche aufzählen, die keine Berücksichtigung finden würden, in denen unser heutiges europäisches Recht über das bilaterale Abkommen hinausgeht.
Das langfristige Ziel der Bundesregierung ist ein neues, umfassendes Abkommen. Dieses lässt sich jedoch erst verhandeln und beschließen, wenn Großbritannien aus der Europäischen Union ausgetreten ist und – ich formuliere es einmal ganz lapidar – endlich weiß, was es will.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ist es!)
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Übergangsregelungen, die den Bestands- und Vertrauensschutz für die im besonderen Maße vom Brexit betroffenen Bürgerinnen und Bürger gewährleisten.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie schaffen rechtliches Chaos!)
Ansprüche von Personen, die in der Sozial- und Rentenversicherung bereits relevante Anrechnungszeiten vorzuweisen haben, werden dadurch auch nach dem Austritt Großbritanniens berücksichtigt. Außerdem sollen Personen, die in der deutschen Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung versichert waren, nicht ihren Versicherungsstatus aufgrund des Brexits verlieren. Auszubildende, die BAföG-berechtigt sind, erhalten bis zum Abschluss des laufenden Ausbildungsabschnitts weiter ihre Leistungen. Bei der Einbürgerung wird die doppelte Staatsbürgerschaft vorübergehend akzeptiert, sodass längere Bearbeitungszeiten nicht zulasten der Einbürgerungsbewerber gehen.
Damit regeln wir nicht alles und ermöglichen den Brexit-Befürwortern auch keine Rosinenpickerei. Aber wir regeln das Nötigste, vor allem in den Bereichen, in denen bereits Ansprüche erworben worden sind.
Sehr geehrte Damen und Herren, was wäre die Alternative? Ein Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in den Bestand von Regeln und Gesetzen, finanzielle Einbußen im Alter, Probleme beim Versicherungsschutz, bei vielen jungen Menschen sicherlich der Abbruch der Ausbildung oder des Studiums. Hier schafft der vorliegende Gesetzentwurf Rechtsklarheit, wendet Nachteile von unseren Bürgern ab und schließt Versorgungslücken. Es sind richtige und zielgenaue Regelungen.
Neben der Tragik, die mit diesem Gesetzentwurf verbunden ist, bringt er für viele Kolleginnen und Kollegen auch eine Kuriosität mit sich: Wir bitten hier um die Zustimmung zu einem Gesetz, das hoffentlich nie in Kraft treten muss.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Lezius. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Carl-Julius Cronenberg, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7328963 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 83 |
Tagesordnungspunkt | Gesetz zu Übergangsregelungen nach dem Brexit |