Michael Roth - Ein Europa der Zusammenarbeit souveräner Nationen
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Möglichkeit, heute mit Ihnen ein paar Gedanken über den Aachener Vertrag zu teilen.
Der Aachener Vertrag ist unsere Antwort auf Sie: auf Nationalisten und Populisten in der Europäischen Union. Wir wollen anhand des Aachener Vertrages deutlich machen, dass der Abbau von Grenzen, dass mehr Zusammenarbeit, mehr Integration in Europa einen konkreten Mehrwert im Alltag der Bürgerinnen und Bürger erbringen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Es ist traurig, dass Sie das immer noch nicht verstanden haben.
(Zurufe von der AfD)
Das zeigt mir auch, dass Sie Lichtjahre von den Interessen der Bürgerinnen und Bürger entfernt sind. Wenn Sie an den Bürgerinnen und Bürgern nah dran wären, dann würden Sie mal mit Menschen in der sogenannten Grenzregion reden. Wenn Sie mal mit Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern sprechen würden, mit Auszubildenden oder auch mit Mittelständlerinnen und Mittelständlern, dann würden Sie klare Antworten erhalten, die deutlich machen, warum dieser Aachener Vertrag so mutmachend ist für ganz Europa.
(Zuruf von der AfD: Wirklich?)
Es geht um die gemeinsame Anerkennung von Berufsabschlüssen und Schulabschlüssen. Es geht darum, dass wir in der Grenzregion gemeinsame Gewerbezonen schaffen. Es geht darum, dass wir Vereine, zivilgesellschaftliches Engagement durch einen neuen Bürgerfonds stärken und dass wir Mut machen, dass es sich lohnt, Grenzen zu überwinden, gemeinsam Bewährungsproben in Angriff zu nehmen.
Nun könnte man Ihren Antrag und Ihre Preisgabe des vereinten Europas vielleicht als dumm und töricht bezeichnen. Aber es ist viel mehr als das. Es ist eine Infragestellung dessen, was wir aus der tragischen Geschichte Europas und aus der tragischen Geschichte Deutschlands und Frankreichs gelernt haben. Sie spielen wieder auf der Klaviatur der Ressentiments.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie arbeiten mit Vorurteilen. Sie arbeiten mit Ängsten. Sie wollen uns einreden, dass Französinnen und Franzosen nicht unsere engsten Freundinnen und Freunde in Europa sind, sondern dass es potenzielle Gegner sind, die nur ihre eigenen nationalen Interessen in den Vordergrund stellen. Wer so etwas behauptet, der zerstört die Grundlage eines friedlichen und eines solidarischen Europas.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)
Ich höre immer wieder, dass der Aachener Vertrag die deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa zu stark betont. Das Gegenteil ist der Fall: Deutschland und Frankreich wollen mit ihrer engen Zusammenarbeit auch den Skeptikern, auch den Verängstigten deutlich machen, dass es sich lohnt, enger zu kooperieren. Deshalb ist dieses ganze Geschwafel, wir gäben irgendetwas – nationale Souveränität, Zuständigkeiten – von Berlin, von den Regionen, von den Ländern, von den Kommunen nach Brüssel ab, völliger Irrsinn.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Wir verlieren nichts. Wir gewinnen Handlungsfähigkeit zurück, über die in einer globalisierten Welt der Nationalstaat alter Prägung schon längst nicht mehr verfügt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist eine Gewinnerdebatte; es ist keine Verlustdebatte. Deswegen: Reden Sie das den Menschen nicht ein! Wir können das Klima nicht schützen, wir können dieses Europa nicht sozialer und gerechter machen, wir können uns nicht wehren gegen globale Bewährungsproben, wenn wir nicht enger zusammenstehen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und wenn wir nicht auch immer wieder lernen, uns in den anderen, in den Partner hineinzuversetzen.
Europa wird natürlich nicht alleine von Deutschland und Frankreich getragen – mitnichten. Aber wir machen immer wieder im Konkreten, auch in diesen Tagen und Wochen, deutlich, warum es sich lohnt, an einem Strang zu ziehen. Deutschland und Frankreich arbeiten derzeit sehr intensiv an einem Grundwerte-Check. Wir müssen anerkennen, dass die bisherigen Regelungen nicht ausreichen, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU zu verteidigen. Wir wollen deshalb mit neuen Mechanismen daran mitwirken, dass deutlich wird: Die Europäische Union ist nicht in erster Linie nur ein Binnenmarkt, sondern sie ist in erster Linie eine Wertegemeinschaft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz, respektvoller Umgang – das ist es, was uns im Kern ausmacht. Wir brauchen hier mehr Verbindlichkeit und Verlässlichkeit.
Ich würde mich freuen, wenn es auch hier im Deutschen Bundestag einen Konsens gäbe, dass eine Politik der Abschottung, eine Politik, die neue Mauern zu ziehen beabsichtigt, nicht die Unterstützung des Deutschen Bundestags und der Bundesrepublik Deutschland hat. Hier brauchen wir ein klares Signal.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich würde mich freuen, wenn wir da einen Konsens erzielen könnten.
Wir arbeiten derzeit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sehr eng zusammen. Wann hat es das schon mal gegeben, dass Deutschland und Frankreich – zwei Staaten – gemeinsam den Vorsitz im Sicherheitsrat ausüben und das klare Signal setzen: „Wir wollen die globalen Bewährungsproben gemeinsam in Angriff nehmen“? Auch das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit nicht auf Abwehr ausgerichtet ist in einer immer heterogener gewordenen Europäischen Union. Nein, sie macht deutlich, dass es nur etwas bringt, wenn Deutschland und Frankreich zusammenarbeiten und wir auch mit anderen Partnern in der Europäischen Union Kompromisse schmieden können.
Wir reden immer sehr gerne über „Europe United“. „ Europe United“ ist aber nicht nur dann gut, wenn es genau den Beschlüssen des CDU-Bundesparteitages oder des SPD-Bundesparteitages entspricht. „ Europe United“ bedeutet immer auch, Kompromisse auf den Weg zu bringen. Und da können wir aus der deutsch-französischen Zusammenarbeit viel lernen; das ist wichtig. Denn die deutsch-französische Zusammenarbeit ist ja nicht deshalb so stark und erfolgreich, weil wir immer von Anfang an einer Meinung waren. Nein, wir waren deshalb gut und überzeugend, weil es uns am Ende immer gelungen ist, aus ganz unterschiedlichen Richtungen zusammenzukommen und einen Kompromiss zu schmieden, der so attraktiv war, dass er Europa nicht gespalten, sondern Europa geeint hat. Das müssen wir fortsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es geht natürlich auch um das soziale Europa. Genau das steht im Koalitionsvertrag, der diese Bundesregierung bindet. Europa braucht überall Mindestlohnregelungen. Europa braucht überall eine soziale Grundsicherung.
(Dr. Harald Weyel [AfD]: Euro-Sozialismus!)
Man darf sich den Prinzipien der sozialen Grundsicherung nicht verschließen. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir alles harmonisieren; aber wir brauchen Mindeststandards, auch in der Steuerpolitik. Hier sind Deutschland und Frankreich sehr eng beieinander.
Ich möchte mich zum Schluss bei den Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken, die auch mit dem Parlamentsabkommen deutlich machen, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit schon lange nicht mehr alleine eine Aufgabe und Verpflichtung für Regierungen ist. Sie ist eine selbstverständliche Aufgabe von Abgeordneten, von Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Was mich so hoffnungsvoll stimmt, trotz der ganzen Schwierigkeiten: Es gibt inzwischen viele Menschen, auch aus der Zivilgesellschaft, die uns Mut machen,
(Marianne Schieder [SPD]: Ja!)
die uns unterstützen, die uns kritisieren. Denn sie wissen: Europa war, ist und bleibt unsere Lebensversicherung in den Zeiten der Krise – aber nur dann, wenn Deutschland und Frankreich freundschaftlich und solidarisch zusammenarbeiten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Norbert Kleinwächter, AfD, ist der nächste Redner.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7335467 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 87 |
Tagesordnungspunkt | Ein Europa der Zusammenarbeit souveräner Nationen |