15.03.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 87 / Zusatzpunkt 12

Michael Georg LinkFDP - Ein Europa der Zusammenarbeit souveräner Nationen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie so oft lebt die AfD in ihrer ganz eigenen Welt. Der Antrag, den wir heute debattieren, spiegelt genau das wider. Der Titel könnte lauten: Sechs Wege, Frieden und Wohlstand in Europa abzuschaffen. Insofern lohnt es sich, diesen Antrag zu lesen. Man könnte denken, das Datum ist falsch gewählt und liegt etwa 100 Jahre daneben. Wir haben 2019, nicht 1919.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Christian Petry [SPD])

Es ist gut, dass wir die Lehren aus der Geschichte gezogen haben.

Wie so oft – das machen Sie gerne – wird der große Staatsmann Charles de Gaulle von Ihnen als vorgebliche Gallionsfigur einer rückwärtsdenkenden Anti-EU-Bewegung vereinnahmt,

(Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

obwohl de Gaulle genau das, wofür die Antragsteller stehen, überwinden wollte: das Verharren in althergebrachten gegenseitigen Feindbildern, die Enthemmung zunächst des Denkens und Sprechens und später auch des Handelns, einen sich über andere erhebenden aggressiven Nationalismus.

Aber nutzen wir doch diese Debatte dafür, um de Gaulle – nein, nicht ins rechte – ins richtige Licht zu rücken. Er wusste: Beim Zusammenwachsen Europas muss man einen langen Atem haben. Für de Gaulle war schon 1964 klar, dass man durchaus hoffen könnte – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –,

daß einmal der Tag kommt, an dem die Völker unseres Alten Kontinents ein einziges bilden werden

(Dr. Harald Weyel [AfD]: Inklusive Algerien!)

und es dann vielleicht eine Regierung Europas geben kann.

Ein einziges europäisches Volk, eine Regierung Europas – meine Damen und Herren, so und nicht anders dachte, sprach und handelte Charles de Gaulle.

(Beifall bei der FDP)

Er war ein Vordenker der europäischen Zusammenarbeit, jemand, der wusste, dass Europa über die Zeit eng zusammenwachsen wird und dass es so etwas wie die heile Welt des Nationalstaats nie gegeben hat, jemand, der gerade nicht in die Zeit der Nachbar- und Bruderkriege zurückwollte, wo sich Nationalstaaten misstrauisch belauerten und Millionen Menschen dafür mit dem Leben bezahlten.

Ihr Antrag ist leider voll von Verschwörungstheorien und Schreckensszenarien. Statt Charles de Gaulle scheinen Sie sich einen anderen Franzosen zum Vorbild genommen zu haben: Das hört sich alles nach Nostradamus und Prophezeiungen vom Weltuntergang an.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will deshalb viel mehr über zukunftsgewandte Initiativen reden. Sprechen wir über Politik von Deutschen und Franzosen von heute. Im Januar haben die deutsche und französische Regierung den Vertrag von Aachen unterzeichnet; Staatsminister Roth hat gerade dazu gesprochen. Nächste Woche verabschieden wir hier im Bundestag – ein ganz wichtiger Tag für uns – das deutsch-französische Parlamentsabkommen. Und in gut zehn Tagen wird in Paris zum ersten Mal die neue Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung zusammentreten. In diesem einzigartigen Forum – ich jedenfalls kenne keinen anderen Fall, in dem zwei Parlamente ein solches gemeinsames Forum geschaffen haben – werden wir über konkrete Probleme und Sorgen der Menschen in Deutschland, Frankreich und Europa sprechen, und wir werden echte Politiklösungen erarbeiten. Das ist jedenfalls unser Anspruch.

(Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn wir aber wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger wirklich von der deutsch-französischen Zusammenarbeit profitieren, dann müssen die Parlamente dabei eine größere Rolle spielen, als ihnen jetzt in diesen durchaus stiefmütterlichen Passagen im Aachener Vertrag zukommt, in dem sie nämlich nur als Randnotiz erwähnt werden. Hier sollten wir, Kolleginnen und Kollegen, als Bundestag, der den Aachener Vertrag schließlich im April ratifizieren soll, unsere Mitwirkungsrechte nochmals nachjustieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Daher die klare Botschaft an die Bundesregierung: Die im Aachener Vertrag begründete Vorhabenliste muss in den Parlamenten und insbesondere in der neuen Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung behandelt und weiterentwickelt werden – hier, nicht in geheimen Kabinetten im Kanzleramt und im Élysée-Palast.

Wenn Parlamente und Regierungen auf Augenhöhe zusammenarbeiten, dann können wir echte Verbesserungen für Deutschland, Frankreich und die ganze Europäische Union erarbeiten. Das wird noch viel gegenseitige Lernbereitschaft erfordern, aber ich bin sicher, dass der stets neugierig gebliebene, nie rückwärtsgewandte de Gaulle bei diesem Prozess des Zusammenwachsens heute in der allerersten Reihe mitarbeiten würde.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Andrej Hunko, Die Linke, ist der nächste Redner.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7335472
Wahlperiode 19
Sitzung 87
Tagesordnungspunkt Ein Europa der Zusammenarbeit souveräner Nationen
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