Jürgen PohlAfD - Bürokratieabbau bei der Mindestlohndokumentation
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen! Die FDP stellt einen ihrer typischen Anträge, diesmal auf Änderung der Mindestlohndokumentation. Wie üblich, hören wir da die neoliberalen Floskeln „Flexibilisierung“, „Deregulierung, „Entbürokratisierung“.
(Thomas L. Kemmerich [FDP]: Wir reden über Bürokratieabbau, Herr Pohl!)
Es sind immer die gleichen Schlagworte, die Sie verwenden, wenn es darum geht, die Interessen der Arbeitnehmer auszuhöhlen. Sie waren gegen die Einführung des Mindestlohns, Sie konnten ihn nicht verhindern; jetzt reden Sie von Entbürokratisierung. Sagen Sie doch gleich, dass Sie diesen Antrag als Korrektiv nutzen wollen, um durch die Hintertür am Mindestlohn zu arbeiten.
Ich frage Sie: Wissen Sie denn eigentlich, wer von einer De-facto-Abschaffung der Dokumentationspflichten beim Mindestlohn profitiert? Ich kann es Ihnen sagen: Es sind die großen Konzerne, insbesondere beim Bau, in der Hotellerie und im Versandgewerbe. Nur diese Großkonzerne sind in der Lage, durch ihre Marktmacht den Preis- und letztendlich den Lohndruck zum Beispiel an die Paketdienste und die dort prekär Beschäftigten weiterzugeben. Diese Versandkonzerne bieten kostenlose Lieferung und Abholung ihrer Handelswaren an. Und Sie als vermeintliche Wirtschaftspartei wissen doch: So etwas wie „kostenlos“ existiert nicht.
(Thomas L. Kemmerich [FDP]: Es geht um die Dokumentationspflichten! Thema verfehlt, setzen, sechs!
Die Kosten tragen nur andere: einerseits die Paket- und Kurierdienste und andererseits diejenigen, die dort oft unter erbärmlichen Bedingungen arbeiten.
(Thomas L. Kemmerich [FDP]: Das hat doch mit unserem Antrag überhaupt nichts zu tun!)
Es stimmt: Die Paketdienste finden das nicht lustig. Herr Kollege Kemmerich, Sie haben dazu ja etwas gesagt. Denen macht es keinen Spaß, unter diesem Druck zu arbeiten.
(Thomas L. Kemmerich [FDP]: Haben Sie den Antrag überhaupt mal gelesen?)
– Wir kommen darauf.
(Thomas L. Kemmerich [FDP]: Lesen hilft!)
Schauen wir uns Ihren Antrag mal im Detail an: Es ist richtig, dass bei 8 Prozent der Arbeitgeberprüfungen ein Verstoß gegen die Dokumentationspflichten festgestellt wurde. Nun haben wir uns einfach mal den Zweiten Bericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns genommen und gelesen – Sie wahrscheinlich nicht –: Erstens gab es laut Bericht einen deutlichen Rückgang der Kontrollen parallel zur Einführung des Mindestlohns. Zweitens wurden in 20 Prozent der Fälle Ermittlungsverfahren eingeleitet, die zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht abgeschlossen waren – Herr Zimmer hat auf diese Problematik hingewiesen – und damit gar nicht in Ihre Statistik einfließen. Drittens kommen weitere 8 Prozent an Mindestlohnverstößen in Branchen hinzu, in denen ein Branchenmindestlohn existierte, wodurch die Verstöße formal nicht unter das Mindestlohngesetz fallen. Das macht in der Summe circa 36 Prozent Verstöße bezogen auf die Kontrollen – nicht 8 Prozent, wie Sie sagen. Ich weise auch noch einmal darauf hin, dass es einen massiven Rückgang bei der Kontrolldichte gegeben hat. Das heißt, Ihre 8 Prozent müssen wirklich hinterfragt werden. Da frage ich Sie: Wenn bei relativ geringer Kontrolldichte mehr als ein Drittel der Arbeitgeber gegen die Dokumentationspflichten verstoßen hat, wie hoch ist dann die Dunkelziffer?
Am 8. Februar dieses Jahres hat das Hauptzollamt Köln in einer bundesweiten Aktion eine ungeheuerliche Zahl von Mindestlohnverstößen festgestellt: Bei 540 überprüften Personen gab es 220 Hinweise auf Mindestlohnverstöße. Dies sind 40 Prozent und nicht, wie Sie vortragen, 8 Prozent. Es besteht also Handlungsbedarf, und das keinesfalls bei der Verwässerung der Dokumentationspflichten.
Sie mögen recht haben, dass kleine und mittelständische Unternehmen im Bereich der Mindestlohnbürokratie und im Vergaberecht Probleme haben und dass dort der Druck zu hoch ist. Da müssen wir ran, da müssen wir die rechtlichen Regelungen ändern, aber keinesfalls die Dokumentationspflichten.
(Beifall bei der AfD – Manfred Todtenhausen [FDP]: Sagt das mal den Leuten draußen!)
Meine Damen und Herren, seit Jahrzehnten, spätestens seit dem Lambsdorff-Papier Anfang der 80er-Jahre, steht die FDP für die Entlastung der Großunternehmen und für die Belastung der arbeitenden Menschen und des kleinen Mittelstandes.
(Nicola Beer [FDP]: Träumen Sie weiter!)
Ich kann nur sagen: Gott sei Dank haben die Leute draußen im Land das irgendwann erkannt und genug davon gehabt.
Mit Ihrem Vorschlag, meine Damen und Herren von den Neoliberalen, verfestigen Sie die Wildwestzustände bei den Paketzustellern und in anderen Branchen, und das lehnen wir vollumfänglich ab.
(Beifall bei der AfD)
Wir als AfD, als neue Volkspartei, wollen den fairen Ausgleich zwischen den kleinen und mittelständischen Unternehmen und ihren Mitarbeitern und keine Übervorteilung, weder der einen noch der anderen Seite. Es gilt, in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Es gilt, die abhängig Beschäftigten nicht weiter zu schröpfen. Schauen Sie: 1974 hat eine Kassiererin im Einzelhandel gute 2 000 D-Mark verdient und ihr Manager circa das 15‑Fache. Heute verdient ein Manager im Vergleich mit einer Kassiererin das 130‑Fache.
Nach den letzten OECD-Berichten ist ein Großteil der deutschen Bevölkerung von Armut bedroht. Unter diesem Aspekt ist es nicht zielführend, die Schlupflöcher zu vergrößern, um den Arbeitgebern die Möglichkeit zu geben, weniger als den Mindestlohn zu zahlen. Es ist nicht zielführend, am Mindestlohn herumzudoktern. Wir müssen ein größeres Ziel anstreben: Nicht die Festigung des Mindestlohnes muss im Mittelpunkt stehen, sondern die Schaffung eines Wohlstandslohns.
(Beifall bei der AfD)
Meine Damen und Herren, es ist notwendig, in der Wirtschaft und innerhalb der Gesellschaft eine Diskussion zu eröffnen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein Arbeitnehmer von seiner Arbeit leben, eine Familie gründen und diese Familie auch ernähren kann. Das muss unser Ziel sein.
(Beifall bei der AfD)
Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes war neben der neoliberalen Politik der FDP die Grundlage dafür, dass große Teile der deutschen Arbeitnehmer jetzt mit dem Mindestlohn kämpfen und Aufstocker sind, also bereits heute nebenher Hartz IV, Sozialhilfe, beziehen. Meine Damen und Herren, es wird uns die Gewissheit einen, dass diese Mindestlohnbezieher im Alter unter finanziellen Aspekten nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen werden. War es in Zeiten des Wirtschaftswunders unter Ludwig Erhard normal und richtig, dass ein deutscher Arbeitnehmer für seine Familie ein Haus und Heim errichtete, so ist es heute traurige Normalität, dass viele Arbeitnehmer nach dem Arbeitstag als Aufstocker zum Jobcenter gehen oder nach 67 Jahren eine Rente erhalten, die im Bereich der Grundsicherung liegt.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit 67, nicht „nach 67 Jahren“!)
– Mit 67. Völlig korrekt, Herr Kollege Zimmer. – Es kann keinem Arbeitnehmer erklärt werden, warum er nach 45 Arbeitsjahren eine Altersrente unter dem Sozialhilfesatz bezieht, während ein Manager der Automobilindustrie 4 250 Euro Rente nicht monatlich, sondern täglich bezieht.
Jetzt fragen Sie mich oder mögen vielleicht denken: Was hat das mit den Dokumentationspflichten zu tun?
(Manfred Todtenhausen [FDP]: Ja, bei Ihrer ganzen Rede fragen wir uns das!)
Ich sage es Ihnen: Um sich gegen diese Armut zu wehren, ist es notwendig, dass wir valide Kontrollmechanismen haben. Die AfD, die neue Volkspartei, weist insofern den Antrag als reinen Klientelantrag à la Mövenpick zurück.
Danke schön.
(Beifall bei der AfD)
Nächster Redner ist der Kollege Bernd Rützel, SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7341558 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 92 |
Tagesordnungspunkt | Bürokratieabbau bei der Mindestlohndokumentation |