04.04.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 92 / Tagesordnungspunkt 6

Bettina Hagedorn - Soziale Absicherung europaweit

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Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein Europa, das schützt – das ist eine Überschrift, die wir uns – Kollege Hahn hat schon darauf hingewiesen – in der Großen Koalition gerne zu eigen machen. Dies wird durch unseren Koalitionsvertrag bestärkt, in dem wir uns im ersten Kapitel, also an prominenter Stelle, mit Europa befassen. Das gab es noch nie zuvor so in einem Koalitionsvertrag in der Bundesrepublik Deutschland. Dort bekennen wir uns zu diesem starken Europa mit ehrgeizigen Reformzielen. Diese Bundesregierung ist jetzt seit gut einem Jahr im Amt, und wir haben vor, noch eine Weile im Amt zu bleiben.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange denn noch?)

Darum kann ich Ihnen versichern, dass wir gewillt sind, diesen Koalitionsvertrag und auch die Punkte im ersten Kapitel glaubwürdig und konsequent Schritt für Schritt umzusetzen.

Lieber Kollege Dr. Strengmann-Kuhn, Sie haben vorhin von Sonntagsreden gesprochen. Mit Verlaub, das wird dieser Bundesregierung mit ihrer Europapolitik nun wirklich nicht gerecht.

(Beifall des Abg. Metin Hakverdi [SPD] – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn ein Koalitionsvertrag ist ein Vertrag und keine Sonntagsrede.

(Beifall der Abg. Angelika Glöckner [SPD])

Wir arbeiten seit zwölf Monaten gemeinsam in enger Abstimmung zwischen Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Scholz und – das ist ganz wichtig – im permanenten Dialog mit unseren französischen Freunden daran, die Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften und damit auch die Finanzkraft für ein soziales und solidarisches Europa durch die nötigen Reformen zu stärken. Wir befinden uns damit auch auf der Basis des Beschlusses zur europäischen Säule sozialer Rechte vom 17. November 2017. Dies ist für uns eine Art Kompass.

Ich möchte für all diejenigen, die das nicht mehr so im Kopf haben, aus dem Koalitionsvertrag zitieren:

Soziale Grundrechte, insbesondere das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort in der EU, wollen wir in einem Sozialpakt stärken. Wir wollen faire Rahmenbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine bessere Koordinierung der Arbeitsmarktpolitik.

Weiter heißt es – auch Zitat –:

Wir wollen einen Rahmen für Mindestlohnregelungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten entwickeln.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch mal!)

– Einen Rahmen, wohlgemerkt.

Wer konsequent gegen Lohndumping und soziale Ungleichheiten in wirtschaftlich schwächeren Ländern in Europa kämpft, sichert auch den Sozialstaat und die soziale Marktwirtschaft in Deutschland.

(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klingt gut! Machen! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schöne Prosa!)

Wir haben uns in intensiven Verhandlungen mit Präsident Macron und Minister Le Maire schon im Juni 2018 in Meseberg – das war nur wenige Monate, nachdem diese Regierung ins Amt kam – verbindlich auf wichtige Schritte verständigt, zum Beispiel auf einen Fahrplan für einen eigenen Euro-Zonenhaushalt. Wir haben uns auf Pläne zur weiteren Stabilisierung des europäischen Bankensektors, der Bankenunion verständigt. Wir haben Vorschläge zur Fortentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, gemacht.

Es gab in Meseberg auch einen Prüfauftrag für eine Arbeitslosenrückversicherung als EU-Fonds. Das war ein Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz, der in der Bundesregierung bislang zwar noch nicht einhellig geteilt wird – das ist richtig – und der auch nicht – wie die anderen Dinge – im Dezember auf dem Euro-Gipfel verabredet worden ist, der aber auch nicht in der Versenkung verschwunden ist. Wie gesagt, wir wollen ja noch ein bisschen länger miteinander regieren. Auch wenn die Grünen jetzt in Punkt 8 ihres Antrags diesen Vorschlag quasi abgeschrieben haben, bleibt das Urheberrecht beim Finanzminister.

Ich möchte Folgendes festhalten – das hatte ich nicht vor, aber jetzt muss ich es sagen, Frau Kollegin Leikert, weil hier wieder fälschlicherweise gesagt wurde, dass eine Arbeitslosenrückversicherung angeblich ein Weg in die Transferunion ist –:

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das ist so!)

Klar ist, dass es kein Transfersystem ist, sondern ein Rückversicherungssystem mit klaren Regeln als Basis.

(Zuruf des Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU])

Klar ist auch, dass es keine Umverteilung – zuhören, Herr Amthor! – zulasten deutscher Steuer- oder Beitragszahler ist. Klar ist, dass ein Anspruch auf ein Darlehen nur diejenigen Länder haben, die selbst in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.

Kollegin Hagedorn.

Es soll einen Anreiz bilden, dass in den Ländern, in denen es noch keine eigene nationale Arbeitslosenversicherung gibt, diese in nationaler Souveränität aufgebaut wird. Damit ist es ein System, das den Respekt vor nationalen Werten gewährleistet.

Kollegin Hagedorn, ich habe die Uhr angehalten, aber ich muss auch die Chance haben, Ihnen die Frage zu stellen, ob Sie eine Frage oder Bemerkung von den Grünen zulassen.

Von wem? Ich habe es akustisch nicht verstanden.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Von den Grünen!)

– Von den Grünen, ja.

Vielen Dank für die Gelegenheit, die Zwischenfrage zu stellen. – Frau Staatssekretärin, da Sie uns ermutigen, einfach darauf zu vertrauen, dass diese Regierung noch lange arbeiten will und die Punkte schon abgearbeitet werden, möchte ich jetzt auf das zu sprechen kommen, was Sie gerade zu einer europäischen Arbeitslosenversicherung gesagt haben. Uns ist sehr wohl bekannt, dass Finanzminister Scholz und die Sozialdemokraten Sympathien für diese Idee haben, aber mir ist bisher nicht bekannt oder bestätigt worden, dass dieses Vorhaben auch konsequent im Rahmen Ihrer Regierung weiterverfolgt wird. Wenn Sie das hier jetzt so vortragen, möchte ich fragen: Ist es so, dass die Idee einer Arbeitslosenrückversicherung, wie wir sie im Antrag skizziert haben, durch Ihr Regierungshandeln in dieser Legislaturperiode weiter vorangetrieben wird? Können Sie das für die Große Koalition sagen?

Liebe Kollegin Hajduk, ich habe das, glaube ich, eigentlich schon beantwortet, aber ich will es gerne noch einmal betonen. Ich habe gesagt, dass das in Meseberg vorgebracht worden ist und dort gemeinsam in der Großen Koalition ein Prüfauftrag gestellt wurde. Ich habe auch gesagt, dass dieser Vorschlag im Moment nicht Gegenstand von Regierungshandeln ist, er aber trotzdem nicht in der Schublade verschwunden ist.

Ich will Ihnen auch erklären, warum ich das so gesagt habe, Kollegin Hajduk. Letzten Endes befinden wir uns in vielen Bereichen auf europäischer Ebene immer noch mitten in Verhandlungen. Ich habe ja schon einige Stichworte genannt: die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion, der ESM, die Bankenunion, auch der Aufbau eines Euro-Zonenbudgets. Das alles sind Dinge, die wir uns gemeinsam mit Frankreich vorgenommen haben und die natürlich nicht über Nacht vervollkommnet werden.

Ich will darauf hinweisen – das habe ich gestern im Haushaltsausschuss schon getan –, dass Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2020 die EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird. Das ist nach der Europawahl. Das ist nach der Amtsübernahme einer neuen Kommission. Dann wird es in Europa darauf ankommen, diese Dinge gemeinsam zusammenzuführen. Wir werden uns dann auf Augenhöhe mit allen anderen 26 Partnern auf ein Gesamtpaket verständigen müssen.

Ob das dann da eine Rolle spielt oder nicht – ich würde mir das wünschen, die Kollegen von der Union vielleicht nicht –, weiß ich nicht. Aber wir müssen am Ende zu guten Lösungen für Europa kommen. Dazu mag das ein Baustein sein. Denn – dieser Satz sei mir noch gestattet – ich glaube, es ist für jeden erkennbar gewesen, dass Emmanuel Macron in seinem Artikel, den er im März veröffentlicht hat, das Soziale eindeutig stärker betont als in der Rede in der Sorbonne. Insofern weckt das bei uns die Hoffnung, dass da mehr geht, als man am Anfang vermutet hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Staatssekretärin, ich habe jetzt die Situation, dass Sie es geschafft haben, noch zwei weitere Wortmeldungen zu generieren. Gleichzeitig bin ich gehalten, dafür zu sorgen, dass sich die Redebeiträge hier nicht verdoppeln oder verdreifachen. Es haben sich gemeldet: der Abgeordnete Hebner aus der AfD-Fraktion und die Abgeordnete Brantner aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wenn Sie die Wortmeldungen überhaupt zulassen, dann würde ich dafür plädieren, dass sich beide jeweils maximal auf eine Minute beschränken. Wenn die Antwort, wenn es irgendwie geht, dann auch in einer Minute möglich ist, wäre das wunderbar. Dann können Sie zum sicherlich auch absehbaren Ende Ihres Beitrages kommen, und wir kommen in der Debatte voran.

Ich glaube, dass ich jetzt die Mehrheit des Parlamentes auf meiner Seite habe, wenn ich sage: Mit Blick auf den langen Debattentag

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und da ich die Frage von Frau Hajduk beantwortet habe, haben vielleicht alle Kollegen dafür Verständnis, wenn ich jetzt einfach fortfahre. Ich habe auch nur noch gut eine halbe Minute Redezeit. In dieser möchte ich meinen Gedanken zu Ende führen.

Ich hatte ja gerade dargestellt, was eine Arbeitslosenrückversicherung ist. Nur die Länder, die eine Arbeitslosenversicherung haben und in diese Rückversicherung eingezahlt haben, haben überhaupt die Chance, etwas herauszubekommen. Das soll dazu beitragen bzw. einen Anreiz bieten, dass Länder, die keine Arbeitslosenversicherung haben, diese aufbauen. Eines ist auch richtig: Es ist kein Geschenk, sondern ein Darlehen.

Eine abschließende Bemerkung sei mir noch gestattet. Die Große Koalition – es war allerdings eine frühere – hat in einer großen Krise 2008/2009 gute Erfahrungen damit gemacht, dass wir das Geld hatten, um das Kurzarbeitergeld zu implementieren, übrigens unter einem Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz. Das hat uns, der Großen Koalition, und Deutschland damals geholfen, gut durch die Krise zu kommen, und das sollten wir doch auch unseren europäischen Nachbarn gönnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Pascal Kober für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7341629
Wahlperiode 19
Sitzung 92
Tagesordnungspunkt Soziale Absicherung europaweit
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