Esther DilcherSPD - Änderung des Grundgesetzes - Kinderrechte
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mein Manuskript ist schon wieder völlig durcheinandergekommen.
(Stephan Brandner [AfD]: Dann sortieren Sie es! Eins, zwei, drei, vier!)
– Das sortiere ich jetzt. Ich sage Ihnen auch, wie, Herr Brandner. Warten Sie es einmal ab, vielleicht lernen Sie dann etwas.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Darauf warten wir schon seit Jahren!)
Kinderrechte sind Menschenrechte, sind Grundrechte. Das ist unser sozialdemokratisches Verständnis. Das ist unsere Herleitung. So finden wir sie unserer Auffassung nach noch nicht in der Verfassung. Kinderrechte sind uns aber besonders wichtig. Daher haben wir die 1989 verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention auch in der Bundesrepublik verabschiedet. Ja, es ist zutreffend: Dieses Übereinkommen ist bis heute noch nicht vollständig umgesetzt. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag verpflichtet – auch wenn sich das beim Kollegen Frei nicht so anhörte –, die Kinderrechte im Grundgesetz weiter zu verankern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie werden jetzt sagen: Dann stimmen Sie doch unserem Gesetzentwurf zu. – Ja, welchem Gesetzentwurf? Dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen oder dem der Linken?
(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Wir können ja zu dritt einen machen!)
– Sie haben auch keinen gemeinsamen gemacht. – Die Antwort wissen Sie bereits. Deswegen denke ich genau wie Sie, es ist eine rein rhetorische Frage, um uns den Eindruck zu vermitteln, wir würden unsere Hausaufgaben nicht machen. Das ist aber mitnichten so.
Der Kollege Frei hat es bereits erwähnt: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe arbeitet seit letztem Jahr. Der Vorschlag ist in der Abstimmung. Daher werden wir den Gesetzentwurf der Linken und den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen heute ablehnen und das von der Koalition in Gang gesetzte Verfahren abschließen.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute wird doch gar nicht abgestimmt!)
Wir freuen uns aber schon auf Ihr Signal, dass Sie dann diesem Gesetzentwurf hoffentlich zustimmen und wir die Grundgesetzänderung mit der erforderlichen Mehrheit durchsetzen werden.
Es geht in der UN-Kinderrechtskonvention darum, Kinder zu schützen, zu beteiligen und ihnen eine ungestörte Entwicklung, Bildung und Ausbildung zu ermöglichen. Frage ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wie erreichen wir dieses Ziel? Bis jetzt werden Kinder im Artikel 6 unseres Grundgesetzes erwähnt. Sie sind dort jedoch nur sogenannte Objekte; es heißt nämlich:
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.
In diesem Zusammenhang sind sie also nicht Subjekt mit der Möglichkeit, selbst zu handeln.
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie sprechen Kindern die Subjektfähigkeit ab? – Grigorios Aggelidis [FDP]: Wo haben Sie denn studiert?)
– In diesem Zusammenhang ist das durchaus richtig. Sie dürfen das nicht aus dem Zusammenhang reißen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 16. Januar 2002 festgestellt, dass die Gewährleistung des Elternrechts in erster Linie dem Schutz des Kindes diene. In diesem Zusammenhang haben die Eltern das Recht über die Kinder. Grammatikalisch gesehen sind das nun einmal Subjekt und Objekt. Also wäre das Ziel, Kinder zu schützen, damit zumindest erreicht. Oder nicht? Teilweise ja. Kinder selbst sind als solche keine Grundrechtsträger im Sinne von Artikel 6 des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus, das Kind sei ein Wesen mit eigener Menschenwürde – die Kollegin Mariana Harder-Kühnel hat es gesagt – und einem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Rahmen von Artikel 1 und Artikel 2. Aber die Kinder können ihre Rechte als Kinder selbst nicht einfordern oder durch eine Interessenvertretung ihre Rechte wahrnehmen lassen. Das müssen wir unbedingt ändern. Durch diese Rechtsprechung kommt noch lange nicht zum Ausdruck, dass im UN-Übereinkommen ein Vorrang des Kindeswohls verankert ist. Das setzt nämlich voraus, dass Kinder gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft sind. In Politik, Verwaltung und Rechtsprechung wird das Kindeswohl aber leider immer noch nicht umfassend berücksichtigt. Einen Teil dieser Diskussion hierzu hat die Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen des „Zukunft 2020“-Projekts unter dem Titel zusammengefasst: „Machen wir’s den Kindern Recht?!“
Gerne erklären wir alle: Kinder sind doch unsere Zukunft. – Das tut gut, und das kommt an. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Wie steht es mit den Kinderrechten im Alltag? Was ist mit Kindern, die vernachlässigt und misshandelt werden? In Deutschland leben circa 82 Millionen Einwohner, davon rund 15 Millionen Kinder und davon wiederum 4,6 Millionen Kinder unter sechs Jahren. Nach Schätzungen von UNICEF werden etwa 5 bis 10 Prozent aller Kinder unter sechs Jahren in Deutschland von ihren Eltern vernachlässigt. Das sind also zwischen 230 000 und 460 000 Kinder im Jahr. Und wie viele Kinder kommen noch dazu, die sich darüber hinaus durch unsere Gesellschaft vernachlässigt fühlen müssen, weil ihnen kein gleichberechtigter Zugang zu Bildung, Ausbildung und gesicherter Lebensperspektive gewährt wird? Fragen wir uns also: Nimmt die Zahl dieser – in Anführungszeichen – „Opfer“ ab, wenn wir Kinderrechte im Grundgesetz verankern? Unsere Verfassung ist hauptsächlich der Werterahmen für unser Zusammenleben in der Bundesrepublik. Danach müssen sich alles staatliche Handeln und auch das Handeln jeder und jedes Einzelnen richten.
Wir dürfen bei dieser Debatte keinesfalls aus den Augen lassen und müssen unsere Rechts- und Sozialpolitik darauf ausrichten, dass gerade in den sogenannten einfachgesetzlichen Regelungen, die zur Anwendung und Umsetzung dienen, diese Werte mit erhöhter Aufmerksamkeit bedacht werden, damit die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz nicht nur eine leere Worthülse bleibt, sondern praktische Handlungsleitfäden für Politik, Verwaltung und Rechtsprechung geschaffen werden, die die Lebenssituation von Kindern konkret und praktisch endlich mit der Wertschätzung ausstattet, die sich hinter der allgemeinen Floskel „Kinder sind unsere Zukunft“ verbirgt.
2015 hat das Bundesfamilienministerium eine unabhängige Monitoringstelle zur UN-Kinderrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte eingerichtet. Diese Stelle beobachtet unabhängig, wie Kinderrechte umgesetzt werden, und setzt sich für Kinderrechte ein.
Ich finde es trotzdem wichtig und mit mir natürlich auch die SPD-Fraktion, dass wir als Ausdruck dieser besonderen Wertschätzung die Kinderrechte im Grundgesetz verankern werden. Unsere sozialdemokratische Familienministerin Franziska Giffey
(Stephan Brandner [AfD]: Frau Dr. Giffey!)
stellt seit 2018 jährlich 51 Millionen Euro für die neu errichtete Bundesstiftung Frühe Hilfen zur Verfügung. Dieses Netzwerk leistet einen wichtigen Beitrag zur vorbeugenden Unterstützung von Familien.
Durch die Verfassungsänderung wird sich auch unser Bewusstsein ändern. Wir werden daher das eine tun, nämlich das Grundgesetz ändern, ohne das andere zu lassen, nämlich weiterhin unser Handeln in Gesetzgebung, Politik, Verwaltung und Rechtsprechung auf die Verbesserung von Kinderrechten ausrichten.
Frau Kollegin Dilcher, Sie können weitersprechen, dann aber auf Kosten der Kollegen.
Machen wir es also unseren Kinder recht.
(Beifall bei der SPD)
Das Wort hat der Kollege Dr. Marco Buschmann für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7361470 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 104 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Grundgesetzes - Kinderrechte |