28.11.2019 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 131 / Tagesordnungspunkt I.14

Christine Lambrecht - Justiz und Verbraucherschutz

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorab möchte ich mich bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern des Haushaltsausschusses sehr herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit in den Beratungen bedanken. Das war wirklich eine sehr angenehme Erfahrung. Man geht als neue Ministerin das erste Mal in eine Bereinigungssitzung, und ich muss sagen: Es hat nicht wehgetan.

(Heiterkeit)

Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ist ein kleiner Haushalt, ja, aber unsere Arbeit ist dafür umso wichtiger. Das habe ich vor einigen Wochen wieder einmal erlebt, als ich mit Schülerinnen und Schülern des Jüdischen Gymnasiums hier in Berlin diskutiert habe. Ich kann Ihnen sagen: Es geht unter die Haut, wenn junge Menschen erzählen, dass sie staatliche Schulen verlassen, weil sie dort gemobbt, weil sie drangsaliert,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Von wem denn?)

weil sie schikaniert werden und deswegen das Jüdische Gymnasium quasi als Zufluchtsort empfinden.

Meine Damen und Herren, für mich ist es unfassbar, und ich schäme mich, dass junge Menschen diese Erfahrung machen, dass Jüdinnen und Juden in diesem Land sich überlegen, ob sie hier noch leben können, leben wollen oder ob sie das Land nicht besser verlassen sollen. Das beschämt mich.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der AfD)

Aber ich will es bei dieser Scham nicht belassen. Wir müssen ein deutliches Signal gegen Antisemitismus setzen. Deswegen habe ich zahlreiche Gespräche geführt, unter anderem gestern noch mal mit Herrn Dr. Schuster, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ich werde Ihnen eine Gesetzesänderung vorschlagen, nämlich zu § 46 Absatz 2 StGB. Ich werde vorschlagen, dass antisemitische Motive in Zukunft ausdrücklich als strafschärfend benannt werden. Meine Damen und Herren, das ist ein richtiges und wichtiges Signal gegen Antisemitismus.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Fabian Jacobi [AfD]: Billiger Aktionismus!)

Wir wollen – das ist vorhin angesprochen worden – es nicht bei Bekundungen belassen, dass wir keine Hasskommentare im Internet, Drohmails gegen Politikerinnen und Politiker und Todeslisten akzeptieren. Wir wollen nicht bei der Erklärung stehen bleiben, wie gefährlich es für unseren Rechtsstaat ist, dass diese Entwicklung sich ausbreitet. Deswegen haben wir, Herr von Notz, vor vier Wochen, am 30. Oktober, ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen und vorgestellt. Das ist von der Bundesregierung auch beschlossen worden. Ich sage Ihnen zu, dass spätestens Ende des Jahres auch ein entsprechendes Gesetz vorliegen wird. Es sind dann acht Wochen vergangen. Ich glaube, das zeigt, mit welcher Intensität wir hier entschlossen vorgehen wollen.

Wir werden so vorgehen, indem wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verschärfen. Die Plattformen werden in Zukunft verpflichtet sein, Hass und Hetze, zum Beispiel Morddrohungen und Volksverhetzungen, zu melden. Es reicht dann eben nicht mehr, nur zu löschen und zu sperren, sondern es muss auch an das BKA gemeldet werden, damit eben die Strafverfolgung schnellstmöglich erfolgen kann.

Meine Damen und Herren, wir werden dafür sorgen, dass Beleidigungen, die im Internet öffentlich begangen werden und damit eine unglaubliche Entwicklung lostreten, weil nämlich mancher meint, er müsse noch Widerlicheres von sich geben und das Ganze noch mehr verschärfen, eine besondere Berücksichtigung erfahren.

Und ich will, dass endlich Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker von uns das Signal bekommen, dass sie genau den gleichen Schutz wie Bundes- und Landespolitiker verdienen. Deswegen werden wir sie auch in den Schutz gemäß § 188 StGB aufnehmen. Meine Damen und Herren, das ist ganz wichtig. Diejenigen, die sich Tag für Tag für unser Gemeinwesen, für unsere Gesellschaft einsetzen, haben auch den entsprechenden Schutz verdient.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für all diejenigen, die diese Bedrohungen, diese Beleidigungen erleben müssen und es nicht mehr akzeptieren wollen, dass ihre Adressen im Internet herumgereicht werden und somit weitere Schreckensszenarien für sie entstehen, werden wir die Sperrung von Adressen leichter möglich machen als bisher; dafür werden wir sorgen. Es kann doch nicht sein, dass Privatadressen von engagierten Menschen in verschiedenen Gruppen herumgehen, aus denen heraus dann versucht wird, Menschen, die sich für unsere Gesellschaft einsetzen, einzuschüchtern oder mundtot zu machen. Deswegen muss es leichter möglich sein, eine solche Adresssperrung vorzunehmen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Genauso gehört dazu, dass Waffen nicht in die Hände von Extremisten gelangen. Deswegen wird es eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz geben, bevor jemand eine Waffe in die Hand bekommt. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, all diese Strafverschärfungen, all diese Veränderungen sind wichtig, ja sie sind notwendig. Genauso wichtig ist aber, dass wir die, die Hass und Hetze erfahren, stark machen.

(Fabian Jacobi [AfD]: Danke, danke!)

Deswegen freut es mich sehr, dass es gelungen ist,

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Da sind wir ja gespannt! – Fabian Jacobi [AfD]: Ich freue mich schon darauf!)

das Projekt HateAid, das Opfern von Hass und Hetze eine psychologische und gegebenenfalls juristische Beratung anbietet, im nächsten Jahr mit 350 000 Euro zu unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist wichtig, hier Farbe zu bekennen. Aber es muss sich auch etwas in den Köpfen ändern. Deshalb freue ich mich, dass es ebenfalls gelungen ist, eine Förderung für das Anne-Frank-Zentrum zu erreichen.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Hier setzen sich zum Beispiel Kinder und Jugendliche mit der Geschichte auseinander. Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und sich für Demokratie und Freiheit zu engagieren. Das ist wichtiger denn je. Herzliches Dankeschön!

(Beifall bei der SPD)

Wir stärken die Kriminalprävention. Das Deutsche Forum für Kriminalprävention leistet hervorragende Arbeit, bei der es zum Beispiel darum geht, in Schulen verstärkt gegen Hass, Mobbing, Gewalt und gegen Extremismus vorzugehen. Deswegen freut es mich, dass wir diese Mittel um 400 000 Euro erhöhen konnten.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Dieses Geld für Prävention ist gut investiertes Geld.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, ich bin auch für den Verbraucherschutz zuständig, und in dieser Funktion habe ich letzte Woche in Darmstadt ein interessantes Projekt besucht, das Bundesprojekt „Verbraucher stärken im Quartier“. Es bringt den Verbraucherschutz dorthin, wo Menschen ihn brauchen. Wir überwinden damit Schwellenängste und bieten Verbraucherinnen und Verbrauchern vor Ort ganz konkrete Hilfe an. Da geht es um unüberlegte Vertragsabschlüsse im Internet, an der Haustür oder am Telefon, um überlange Vertragslaufzeiten – das sind die meisten Fälle.

Meine Damen und Herren, mit diesem Projekt leisten wir wichtige Arbeit, aber wir könnten noch wichtigere Arbeit leisten, wenn wir endlich dazu kämen, auch den von mir vorgelegten Gesetzentwurf für faire Verbraucherverträge zu beschließen

(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den gibt es noch gar nicht! Der liegt noch gar nicht vor! Der fehlt noch!)

und zu beraten. Deswegen appelliere ich an alle, die da momentan noch nachdenken müssen: Lassen Sie uns das endlich anpacken! Es ist wichtig, dass Verbraucher vor überlangen Laufzeiten oder auch vor Überrumpelungen am Telefon geschützt werden. Das müssen wir endlich anpacken.

(Beifall bei der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz zwei Themen ansprechen; denn diese Themen sind sehr wichtig, und ich will noch einmal besonders auf ihre Bedeutung aufmerksam machen.

Vor 25 Jahren wurde Artikel 3 Absatz 2 ins Grundgesetz eingeführt. Es geht darum, dass der Staat verpflichtet ist, auf die Gleichstellung von Mann und Frau hinzuwirken.

(Fabian Jacobi [AfD]: Nein, falsch!)

– Darum geht es. – Deswegen haben wir feste Quoten für die Aufsichtsräte eingeführt.

(Fabian Jacobi [AfD]: Verfassungswidrig!)

Und was ist passiert? Am Anfang wurde gesagt: Die können wir gar nicht erfüllen; denn so viele qualifizierte Frauen gibt es nicht.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist Ihnen doch egal!)

Wir waren schon immer skeptisch. Und tatsächlich: Was ist passiert? Die Quote ist eingeführt worden,

(Fabian Jacobi [AfD]: Blanker, billiger Lobbyismus!)

und es gibt ausreichend qualifizierte Frauen. Die entsprechende Quote konnte auch eingehalten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Fabian Jacobi [AfD]: Privilegienwirtschaft!)

Aber was ist da passiert, wo wir keine Quote eingeführt haben, wo nur Zielgrößen eingeführt wurden?

(Fabian Jacobi [AfD]: Da herrscht noch Rechtsstaat, da, wo Sie noch nicht gewirkt haben!)

Die Unternehmen müssen eine Zielgröße angeben und sagen, wie sie das in Zukunft weiterführen wollen. 70 Prozent dieser Unternehmen geben als Zielgröße null an. Null!

(Ulli Nissen [SPD]: Pfui! – Fabian Jacobi [AfD]: Wow!)

Sie wollen also gar nicht, dass sich etwas verändert.

(Beifall des Abg. Fabian Jacobi [AfD])

Meine Damen und Herren, bei dieser Frage sehe ich uns gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes im Handlungszwang.

(Beifall bei der SPD – Fabian Jacobi [AfD]: Nieder mit dem Staatssexismus!)

Es waren dicke Bretter, die für die Einführung von Artikel 3 Absatz 2 gebohrt wurden. Da brauchte man einen langen Atem. So ähnlich kommt mir das jetzt beim Thema „Kinderrechte ins Grundgesetz“ vor. Darüber diskutieren wir seit über 30 Jahren. Die Kinderrechtskonvention liegt vor.

Meine Damen und Herren, ich habe einen Entwurf vorgelegt, der, wie ich finde, sehr ausgewogen ist. Er macht klar, dass Kinder eigene Rechte haben, dass deren Rechte verankert werden müssen, dass sie einen Anspruch auf unseren Schutz und unsere Förderung haben, weil sie eben keine kleinen Erwachsenen sind, sondern besondere Berücksichtigung erfahren müssen.

(Fabian Jacobi [AfD]: Ja, ja, die Lufthoheit über den Kinderbetten! Das kennen wir!)

Ich habe in diesem Entwurf deutlich gemacht, dass es uns auf keinen Fall darauf ankommt, in das Eltern-Kind-Verhältnis einzugreifen.

(Fabian Jacobi [AfD]: Nein! Niemals nicht! Sehr glaubwürdig!)

Wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Wir könnten das jetzt umsetzen, jetzt, nach 30 Jahren.

(Stephan Brandner [AfD]: Probieren Sie es doch aus! – Fabian Jacobi [AfD]: Nein, bitte nicht!)

Deswegen bitte ich Sie alle im Interesse der Kinder – sie haben es verdient; die Zeit ist reif –: Lassen Sie uns in dieser Frage schnellstmöglich zu einer Verankerung im Grundgesetz kommen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Bedauerlicherweise muss die SPD-Fraktion jetzt mit drei Minuten weniger Redezeit auskommen, weil die Ministerin die vereinbarte Zeit um drei Minuten überschritten hat. Ich werde das entsprechend des Hinweises des Parlamentarischen Geschäftsführers auf die verbleibenden Redner der SPD gleich verteilen.

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Stefan Ruppert, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

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Electoral Period 19
Session 131
Agenda Item Justiz und Verbraucherschutz
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