Hubertus Heil - Arbeit und Soziales
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zum Kollegen von der AfD, der gerade gesprochen hat: Ich fand es sehr bemerkenswert, dass Sie zum Rentenkonzept Ihrer Partei nicht viel gesagt haben.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie auch? Die haben ja keins! Immer noch nicht!)
Es hätte nicht viel Redezeit gekostet. Sie schwanken ja zwischen den Vorstellungen eines Herrn Meuthen, der die gesetzliche Rentenversicherung zugunsten marktradikaler Elemente abschaffen will, und den kruden völkischen Ideen eines Herrn Höcke.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Mischsystem! Aber das verstehen Sie nicht!)
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie sind nicht nur ein Risiko für unsere freiheitliche und offene Gesellschaft, Sie sind nicht nur eine Schande für dieses Parlament, Sie sind auch ein soziales Risiko für Deutschland. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können Sie nicht wählen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Es geht in den nächsten Jahren in Zeiten rasanten Wandels tatsächlich darum, dass wir das Sicherheitsversprechen unseres Sozialstaates erneuern. Daher muss man sich ernsthaft mit dem Thema Rentenpolitik beschäftigen. Ich bin mir nicht einmal sicher, Herr Witt, ob Sie überhaupt wissen, was das Rentenniveau ist, wenn Sie so reden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Das Kernversprechen unseres Sozialstaates ist, dass sich Menschen nach einem Leben voller Arbeit auf die Alterssicherungssysteme unseres Landes verlassen können.
(Uwe Witt [AfD]: Aber die haben Sie doch kaputtgemacht!)
Ich sage Ihnen eines: Wir haben mit der Erneuerung dieses Sicherheitsversprechens begonnen, indem wir beispielsweise mit dem Rentenpakt in der Großen Koalition dafür gesorgt haben, das Rentenniveau in den nächsten Jahren zu sichern, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Rentnerinnen und Rentner zwischen Lohn- und Gehaltsentwicklung und der Entwicklung der Renten nicht entkoppelt werden.
Wir haben das getan, indem wir die Kindererziehungszeiten stärker berücksichtigt haben und die Mütterrente gemeinsam gestärkt haben. Und wir werden das auch mit der Grundrente tun.
Ja, das war ein hartes Ringen in der Koalition, weil wir von sehr unterschiedlichen Grundsatzideen gekommen sind. Aber ich bin dankbar, dass das gemeinsam gelungen ist, dass wir eine gute Lösung zustande bekommen haben; denn die Demokratie lebt nicht von Extremisten, sondern von Demokraten, die in der Lage sind, Interessen auszugleichen. Der Kompromiss ist keine Schande in der Demokratie.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP])
Die Einführung der Grundrente ist ein Meilenstein der Sozialpolitik in diesem Lande, weil wir dafür sorgen, dass wir eine Sache korrigieren, die nicht die Politik verursacht hat, sondern die sich in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt hat, dass nämlich immer mehr Menschen aufgrund von sehr niedrigen Löhnen am Ende des Tages trotz eines Lebens voller Arbeit nicht mehr haben als die Grundsicherung oder knapp darüber. Das wird zu Recht als ungerecht empfunden. Indem wir die Grundrente in Deutschland endlich einführen, sorgen wir vor allen Dingen dafür, dass die Frauen, die das betrifft, eine Chance haben, am Ende des Tages den Lohn für ein Leben voller Arbeit zu bekommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir werden als Koalition gemeinsam auch die Selbstständigen in das System der Alterssicherung einbeziehen. Das ist keine leichte Aufgabe. Es ist aber notwendig in Zeiten dramatischer Veränderung, auch den sozialen Schutz für die Selbstständigen in diesem Land zu organisieren.
(Jörn König [AfD]: Das ist Zwang!)
Ich rede jetzt nicht von denjenigen, die gut verdienen und in irgendwelchen Kammern abgesichert sind, sondern ich rede von den vielen inzwischen sehr prekären Selbstständigen, die im Rahmen von Plattformökonomie arbeiten. Sie haben den sozialen Schutz genauso verdient wie andere Menschen.
(Beifall bei der SPD – Uwe Witt [AfD]: Sie schaffen die Voraussetzungen für Altersarmut! – Weiterer Zuruf von der AfD: Jahrzehnte haben Sie nichts getan! Null!)
Im Mittelpunkt stehen für uns, meine Damen und Herren, die Menschen,
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie sind dafür verantwortlich!
die in den nächsten Jahren hart arbeiten, die dieses Land voranbringen, die jeden Morgen aufstehen, die, ob als Selbstständiger oder als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer, dieses Land voranbringen.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Die OECD bescheinigt Ihnen das! Nichts haben Sie getan! Deutschland hat das schlechteste Rentensystem, weil Sie nichts können! Da kann man nichts erwarten!)
Wir werden dafür sorgen, dass zum Beispiel die fleißigen Pflegekräfte in diesem Land, die gebraucht werden, die mehr Anerkennung und bessere Löhne verdient haben,
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Bla, bla, bla!)
mit dem Gesetz für bessere Löhne in der Pflege im nächsten Jahr tatsächlich eine bessere Lohn- und Gehaltsentwicklung bekommen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir als Koalition schützen die Menschen, die jeden Tag Pakete schleppen, weil wir alle miteinander immer mehr im Internet bestellen. Sie haben sozialen Schutz und keine Ausbeutung verdient. Das haben wir mit dem Paketboten-Schutz-Gesetz auf den Weg gebracht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir entlasten Menschen und Familien mit normalem Einkommen,
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, das sehen wir ja!)
Stichwort „Unterhaltsrückgriff bei der Pflege“. Ich bin sehr hoffnungsfroh, dass der Bundesrat heute dem Angehörigen-Entlastungsgesetz zustimmen wird. Das ist eine Entlastung der arbeitenden Mitte in Deutschland, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir sorgen für Chancen für langzeitarbeitslose Menschen, die ganz lange draußen waren. Ich habe ja keine Vorstellung davon, Herr Witt, wo Sie leben, aber ich sage Ihnen: Das, was wir mit dem sozialen Arbeitsmarkt machen, hat mit ABM nichts zu tun, sondern es hat mit ordentlicher Arbeit, mit Beschäftigung zu tun,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
weil Arbeit für Menschen mehr ist als Broterwerb. Das bringt Menschen in Arbeit; gucken Sie sich das mal an.
Ich sage Ihnen auch, dass wir
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Warum schreien Sie eigentlich so?)
einen sorgfältigen Blick auf den Arbeitsmarkt haben müssen. Wir haben eine sehr differenzierte Entwicklung.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Schrei, Schrei!)
Wir haben den höchsten Stand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung seit der deutschen Einheit.
(Uwe Witt [AfD]: Zu Recht!)
Wir haben die zweitniedrigste Erwerbslosenquote in der Europäischen Union. Das ist erst mal ein Erfolg und zeigt, dass man auf dieses Land stolz sein kann. Das haben die Menschen in diesem Land erarbeitet.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Politik hat sich auch daran beteiligt.
Aber wir müssen einen wachen Blick haben; denn so erfreulich diese Entwicklung ist, so sehr haben wir in einzelnen Branchen und Regionen Entwicklungen, die uns mit Sorge umtreiben müssen. Das betrifft vor allen Dingen Bereiche des verarbeitenden Gewerbes, der Industrie, auch der Automobilindustrie, die an der Weltwirtschaft hängen. Sie leiden darunter, dass die Nachfrage aus China zurückgeht, die unter handelspolitischen Risiken – Stichwort „Trump“ und „Brexit“ – zu leiden haben.
Es ist auch der Beginn des Strukturwandels, der Digitalisierung, der höheren Produktivität und des Weges zu neuen Antrieben zum Beispiel in der Automobilindustrie. Da haben wir in diesem Herbst Nachrichten gelesen, die uns mit Sorge umtreiben. Ich nenne Brose, Conti und Audi als Beispiele.
Das hat für einzelne Regionen – trotz des guten Arbeitsmarktes – Folgen. Das gilt zum Beispiel für das Saarland, das zusätzlich zur Kohle- und Stahlindustrie sehr viel Zulieferindustrie im Bereich des Verbrennungsmotors hat. Es hat auch Folgen für Baden-Württemberg als Automobilstandort, für Niedersachsen, für größere Teile Bayerns, für Mittelhessen, für Thüringen. Insofern sage ich Ihnen: Wir dürfen uns nicht auf der guten Lage am Arbeitsmarkt ausruhen. Die Arbeit wird uns in Deutschland wahrscheinlich auch in Zukunft nicht ausgehen, aber es wird in vielerlei Hinsicht andere Arbeit sein. Die Aufgabe, die wir als Koalition zu bewältigen haben, ist, jetzt dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Kurzfristig heißt das, dass wir neben dem Qualifizierungschancengesetz, das wir als Koalition auf den Weg gebracht haben, weitere Anstrengungen brauchen, um in diesen Zeiten rasanten Wandels Brücken zu bauen.
Ich habe einen Brief von meiner Amtskollegin, der Wirtschafts- und Arbeitsministerin von Baden-Württemberg, erhalten. Er wurde nicht nur von der IG Metall unterschrieben, sondern auch von der Wirtschaft in Baden-Württemberg. Sie fordern uns als Koalition auf, dafür zu sorgen, dass wir im Zweifelsfall, wenn es notwendig ist, auch veränderte Regeln zur Kurzarbeit parat haben, um Brücken am Arbeitsmarkt zu bauen. Ich sage Ihnen: Wir haben in Deutschland mit diesen Instrumenten in schwierigen Zeiten, 2008/09, gemeinsam gute Erfahrungen gemacht. Es war mein Amtsvorgänger Olaf Scholz, der damals als Arbeitsminister mit den veränderten Regeln zur Kurzarbeit 1,5 Millionen Arbeitsplätze gerettet hat.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])
Ich sage Ihnen: Wenn die Lage in einzelnen Branchen und Regionen sich zuspitzen sollte, haben wir die Rücklage bei der Bundesagentur für Arbeit und auch die entsprechenden Instrumente parat, um dafür zu sorgen, Brücken am Arbeitsmarkt zu bauen. Es gibt nur eine Sache, die wir diesmal anders machen müssen als 2008/09: Wir müssen, wenn Kurzarbeit notwendig ist, das, wo immer es geht, mit Qualifizierung verbinden, weil der Strukturwandel dazukommt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will also sagen: Es geht um drei Dinge. Es geht darum, das Kernversprechen des Sozialstaates zu erneuern, damit Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, sich auf das System der Alterssicherung verlassen können. Es geht darum, dass wir die arbeitende Mitte in diesem Land ermutigen und entlasten. Und es geht auch darum, dass wir die Arbeit von morgen sichern, meine Damen und Herren. Auf diesem Weg ist diese Koalition. Wir haben gemeinsam viel vor, nicht nur an Nikolaus, sondern auch darüber hinaus.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Johannes Vogel, FDP, ist der nächste Redner.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7404626 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 132 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit und Soziales |