Katrin BuddeSPD - Mahnmal für Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „ Die letzte Adresse“ ist der Name einer russischen Stiftung, aber auch der Name eines Projektes, das an Opfer der sowjetischen politischen Repressionen erinnert, an die Orte, an denen Menschen gelebt, gearbeitet und geliebt haben, von denen sie aber verschleppt wurden und an die sie nie wieder zurückgekehrt sind, 1918 bis 1991. Ähnlich wie unsere Stolpersteine in Deutschland an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, erinnert „Die letzte Adresse“ mit Tafeln an Häusern an die Menschen, die ihr Leben durch die sowjetisch-kommunistische Diktatur verloren haben. Die Initiative ist von unserer Bundesstiftung „Aufarbeitung“ mit einem Preis geehrt worden. Inzwischen gibt es 800 Tafeln in fünf Ländern, in Russland, Tschechien, in der Ukraine, in der Republik Moldau und in Georgien.
Es könnte sie auch in Deutschland geben. Denn der stalinistische Terror, die Diktatur, begann im Osten Deutschlands unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Vater meiner Schwiegermutter wurde abgeholt und kam nie wieder zurück. Trotz der Warnungen seiner Eisenbahnerkollegen flüchtete er nicht über die Zonengrenze; denn, so seine letzten Worte an Frau und Kinder: „Ich hab ja nichts getan.“
Der jüdische Mann der Schwester meiner Oma, der das KZ überlebte und zu dem seine Frau auch in nationalsozialistischen Zeiten gehalten hatte, wurde kurz nach seiner Befreiung aus dem Lager aus der Wohnung geholt und von den Russen erschossen.
Der Stalinismus, der schon Jahrzehnte in den Staaten der Sowjetunion gewütet hatte, griff unmittelbar auf die sowjetische Besatzungszone über. Aber zur Wahrheit gehört eben auch: Es gab genauso unmittelbar einheimische willfährige Helferinnen und Helfer.
In Estland erinnern Bienen an die vielen Opfer der kommunistischen Diktatur, die nicht in ihre Bienenstöcke, in ihre Heimat, zu ihren Familien zurückkehren konnten – ein beeindruckendes Mahnmal für die Opfer in Estland. Das Museum in Tallinn spannt den Bogen über alle kommunistischen Diktaturen auf der Welt. Und auch, wenn man wie ich die Dimensionen kennt, erschreckt man sich, wenn man die Schautafeln zu den Diktaturen auf der ganzen Welt sieht, wenn man die unglaubliche Zahl derer sieht, die einer Ideologie zum Opfer gefallen sind.
Das letzte Jahrhundert war das Jahrhundert der Ideologien; jedenfalls war es das Jahrhundert, in dem sie den Weg in Staatsrealitäten fanden. Dass eine Gesellschaftsform wie der Sozialismus damals überhaupt diskutiert worden ist – die Idee des Sozialismus war die Vorstufe des Kommunismus, so habe ich es in der Schule immer gelernt – und auf so fruchtbaren Boden fiel, hatte auch etwas mit der Realität der Zeit damals zu tun. Die Ausbeutung von Menschen, das Elend, die Fernhaltung von Bildung, das Fehlen von Freiheiten und Wahlrechten, das Fehlen von Demokratie, Standes- und Ständedünkel, zum Teil noch Leibeigenschaft und Unterdrückung überall auf der Welt: Das war gelebte und erfahrene Normalität von Millionen von Menschen. Und es ist eine Katastrophe, dass solche Namen wie Lenin, Stalin, Castro, Mao Tse-tung, Ho Chi Minh, Kim Il-sung, Ceauşescu, Ulbricht und Honecker
(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Pol Pot!)
damit verbunden sind, dass im letzten Jahrhundert immer aus den realsozialistischen Staaten Diktaturen geworden sind. Was der Kollege neben mir eben sagte, ist richtig: Den Kommunismus gab es nicht. – Das ist eine Utopie. Wir können im Grunde nur froh sein. Mir hat der real existierende Sozialismus in der Form, in der wir ihn erlebt haben, gereicht.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der AfD und der FDP)
Die Diktatur und die Demokratie, das sind die beiden großen politischen Entwürfe des 20. Jahrhunderts. Die Menschen haben sie sich zum Teil erstritten. Sie haben gesehen, wie sie pervertierten, sie haben gegen sie gekämpft, sie haben sie untergehen gesehen, sie haben sie ertragen und gestürzt. Und es gab auch Zeiten, in denen diese Ideen noch ganz anders missbraucht wurden, wie zum Beispiel in den Zeiten des Nationalsozialismus, der nun gar nichts mit den theoretischen Ideen zu tun hatte.
Leider sind damals viele auf Begriffe wie „Sozialistische Arbeiterpartei“ reingefallen. Arbeiten wir gemeinsam daran, dass heute nicht wieder Menschen auf Begriffe reinfallen, die anders gemeint sind, aber genauso verwendet werden, und einer anderen Ideologie folgen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
In vielen Ländern, in denen es kommunistische Diktaturen und einen sogenannten real existierenden Sozialismus als Arbeiter- und Bauerndiktatur gab, haben sich am Ende des letzten Jahrhunderts die Demokratien durchgesetzt. Gut so! Aber die unterschiedlich langen Zeiten der Diktaturen haben unzählige unschuldige Opfer gefordert, und es ist an der Zeit – nein, so viel Ehrlichkeit gehört dazu; es hat wirklich viel zu lange gedauert: es ist höchste Zeit –, dass wir diese Opfer auch in Deutschland mit einem Mahnmal würdigen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben in Deutschland eine gute Aufarbeitungslandschaft: Wir haben Erinnerungs- und Gedenkstätten, wir haben die Unterlagen der Staatssicherheit gesichert, wir haben sie zugänglich gemacht, wir arbeiten sie auf, wir haben die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die hervorragende Arbeit leistet, wir haben politische Bildung, wir haben die Landesbeauftragten, wir unterstützten Vereine und Verbände, die sich mit dem Thema „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ beschäftigen und leidenschaftliche Arbeit leisten, wir haben gute Gesetze zur Rehabilitierung. All das ist viel, viel besser als die Aufarbeitung nach der Zeit des Nationalsozialismus.
Warum dieses Mahnmal bisher gescheitert ist, kann ich persönlich hier nur aus den alten Beschlüssen und Aktenlagen erlesen. Sie wissen: Im Bundestag bin ich die Neue. Was Sie aber vielleicht auch schon gemerkt haben, ist, dass ich dieses Thema und die korrespondierenden Themen mit Leidenschaft vertrete und dass ich unbedingt will, dass das zu einem Erfolg geführt wird. Dank der guten Mitstreiterinnen und Mitstreiter werden wir nun auch dieses Thema einem richtig guten, notwendigen und längst überfälligen Ende zuführen.
Zur Illusion, dass es ohne Machbarkeitsstudie geht: Zu einer Entscheidung über den Standort und einer Antwort auf die Fragen, wie das Denkmal aussehen wird und wer alles mitreden will, kommt es in den Ländern wie im Bund niemals ohne Auseinandersetzung. Deshalb: Lassen Sie uns die Machbarkeitsstudie beauftragen, und wenn man sich am Ende mit allen Beteiligten geeinigt hat, dann macht es auch Sinn, das Mahnmal zu bauen. Ich glaube, die Auseinandersetzung ohne eine Machbarkeitsstudie wäre zu groß.
(Beifall bei der SPD)
Für mich ist wichtig, dass dieses Mahnmal für die Opfer ist, die in den Gefängnissen gesessen haben, die gestorben sind, die offenes Leid erlebt haben, aber eben auch für die, die im ganz normalen Alltag Opfer wurden: für die Schülerinnen und Schüler, die kein Abitur machen durften, für die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen, mit denen subtil Familien zerstört worden sind, für Menschen, deren Kinder gegen deren Willen zur Adoption freigegeben worden sind, für die Zwangsausgesiedelten, für Menschen, die nicht studieren durften, für Künstlerinnen und Künstler, also für all die normalen Alltagsrepressionen ausgesetzten Menschen in einer Diktatur.
Deshalb: Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten, dass es in dieser Legislatur nicht nur eine Machbarkeitsstudie, sondern auch den Beginn des Baus des Denkmals gibt! Da können wir uns alle versammeln. Ich glaube, das ist ein guter zusätzlicher Punkt im Rahmen der Aufarbeitung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Vielen Dank, Katrin Budde. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Linda Teuteberg.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7407518 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 135 |
Tagesordnungspunkt | Mahnmal für Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft |