Martin RosemannSPD - Beratungsqualität in Jobcentern
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die gute Nachricht am Anfang: Wir haben die strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland überwunden und die Massenarbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft. – Ich glaube, das kann man in so einer Debatte schon einmal festhalten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU und des Abg. Pascal Kober [FDP])
Aber wir stehen jetzt vor neuen Herausforderungen. Professor Enzo Weber vom IAB hat es in einem Interview mit „Spiegel Online“ wie folgt formuliert – ich zitiere –:
Die Hartz-Reformen waren geeignet, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, aber sie haben zum Teil … eine nachhaltige Entwicklung des Arbeitsmarkts behindert. Auf die wird es aber … entscheidend ankommen.
Und weiter vorne heißt es:
In der Tat sind die Bedingungen – und die Herausforderungen – des deutschen Arbeitsmarkts heute vollkommen andere als vor eineinhalb Jahrzehnten.
Meine Damen und Herren, die neuen Herausforderungen heißen „Digitalisierung“, „technologischer und struktureller Wandel“ und „demografische Veränderungen“. Die geburtenstarken Jahrgänge werden in den nächsten Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Wir werden jedes Jahr knapp 400 000 Arbeitskräfte verlieren, und wir werden es mit älteren Belegschaften zu tun haben.
(Martin Reichardt [AfD]: Schön, dass Sie das auch schon merken bei der SPD!)
Enzo Weber – um ihn noch einmal zu zitieren – rät:
Wir müssen in der Breite zu höherwertiger Beschäftigung kommen: viel mehr Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierung der Arbeitnehmer … und eine entsprechende Lohnentwicklung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, genau das ist unser Weg. Das ist der Weg der SPD. Wir haben unser Sozialstaatskonzept auf dem Bundesparteitag entsprechend beschlossen.
(Beifall bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Was nicht Gesetz ist, Martin!)
Wir stellen in diesem Konzept die Arbeit in den Mittelpunkt. Wir wollen gute Arbeit, anständig bezahlt und mit sozialer Sicherheit für alle. Klar ist: Auch im Wandel wird uns die Arbeit nicht ausgehen. Wir brauchen alle, und wir haben im Wandel die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass alle eine Perspektive haben.
(Beifall bei der SPD)
Wir setzen auf das Recht auf Arbeit. Das beginnt damit, Arbeitslosigkeit zu verhindern, bevor sie entsteht. Im Mittelpunkt steht Weiterbildung, damit die Beschäftigten von heute auch die Arbeit von morgen machen können.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das jetzt mit der verfestigten Arbeitslosigkeit zu tun?)
Dabei brauchen wir den Sozialstaat als Partner, der individuell unterstützt, zielgenau und unbürokratisch und am besten, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.
(Martin Reichardt [AfD]: Bei der SPD liegt das Kind doch schon lange im Brunnen!)
Es geht um einen Kulturwandel, und zwar in der Sozialversicherung genauso wie in der Grundsicherung. Wir haben es in der Grundsicherung, im SGB II, zunehmend mit komplexen und verfestigten Problemlagen zu tun. Auch hier gilt, dass der Sozialstaat als Partner erlebbar sein muss. Das heißt für uns: Keiner wird hin- und hergeschickt. Es muss Schluss damit sein, dass sich keiner zuständig fühlt; das muss beendet werden. Wir brauchen Hilfen aus einer Hand.
(Beifall bei der SPD)
Das heißt, niemand ist Bittsteller. Wir haben es zu tun mit Bürgerinnen und Bürgern mit eigenen Rechten.
Das heißt, wir brauchen ein Bündnis auf Augenhöhe.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass die SPD nicht zu dem Antrag redet!)
Deshalb wollen wir eine Teilhabevereinbarung mit konkreten Schritten, verständlich und klar, gemeinsam vereinbart. Und das heißt, der Einzelne steht im Mittelpunkt. Unterstützung muss individuell und passgenau da sein. Hinzu kommt: Wir müssen Weiterbildung stärken, und wir müssen soziale Teilhabe ermöglichen. Es ist allemal besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit.
(Beifall bei der SPD – Pascal Kober [FDP]: Da zitiert er Guido Westerwelle!)
Meine Damen und Herren, wir sind erste Schritte bereits gegangen. Mit den ABC-Netzwerken haben wir die ganzheitliche, umfassende Betreuung gestärkt. Wir haben die Nachbetreuung eingeführt. Wir haben die Weiterbildungsprämie eingeführt, und wir haben einen sozialen Arbeitsmarkt eingeführt, der vielen Menschen neue Perspektiven gibt, mit einem begleitenden Coaching, das den Einzelnen und die Einzelne unterstützt. Und wir haben die finanziellen Rahmenbedingungen für die Jobcenter verbessert und Eingliederungs- und Verwaltungstitel in dieser Legislaturperiode deutlich erhöht.
Diesen Weg wollen wir weitergehen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen bestärkt uns darin. Vor allem sagt es uns, dass wir den Einzelfall in sehr viel stärkerem Maße in den Mittelpunkt stellen müssen.
(Beifall bei der SPD)
Dabei ist klar: Es gibt weiterhin Mitwirkungspflichten; aber Hilfe und Unterstützung sind immer wichtiger als Sanktionen.
Meine Damen und Herren, es geht aber um mehr als nur darum, dieses Urteil jetzt umzusetzen und ein verändertes Sanktionsrecht zu schaffen.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, und deswegen liegt dieser Antrag hier! Dazu können Sie mal was sagen!)
Es geht darum, den beschriebenen Kulturwandel im Gesetz zu verankern.
Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich darauf verlassen können, dass der Sozialstaat für sie da ist, wenn sie Hilfe und Unterstützung brauchen, und zwar einfach, verlässlich, verständlich, transparent, respektvoll und partnerschaftlich. Er muss einfach ein Sozialstaat sein, der das Leben leichter macht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das gilt im Übrigen für uns alle.
Was mich an der Debatte hier stört, ist, wenn ein Gegensatz zwischen denjenigen, die den Sozialstaat brauchen, und denjenigen, die ihn finanzieren, aufgemacht wird, weil wir das doch alle gleichermaßen sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch wir alle finanzieren den Sozialstaat und können auch auf ihn angewiesen sein. Wer weiß denn schon, wie sein Leben weitergeht und wann er auf die Hilfe und Unterstützung der Solidargemeinschaft angewiesen ist?
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Heribert Prantl hat in der „Süddeutschen Zeitung“ über den Beschluss Nummer 3 des SPD-Bundesparteitags geschrieben – ich zitiere –:
Er ist überschrieben „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“, ist 21 Seiten lang und wohl eines der gehaltvollsten Papiere, die in der SPD seit dem Godesberger Programm von 1959 beschlossen worden sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Martin Reichardt [AfD]: Ach du meine Güte! Die SPD hat doch schon lange nichts Gehaltvolles mehr produziert!)
Herr Kollege, bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.
Kein Wunder, dass die Grünen manches aus diesem Papier in ihren Antrag übernommen haben!
(Beifall bei der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorher geschrieben!)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Pascal Kober, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7408195 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 136 |
Tagesordnungspunkt | Beratungsqualität in Jobcentern |