Johannes SchrapsSPD - Aktionsplan der EU-Kommission
Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Da es bei der Debatte ja um das demokratische Verständnis geht, macht es keinen großen Unterschied, ob als nächster Redner ein Redner einer demokratischen Oppositionsfraktion oder einer Regierungsfraktion spricht.
Nicht nur das Grundgesetz gewährt uns und unseren Bürgerinnen und Bürgern die Meinungs- und Informationsfreiheit. Auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist das Recht auf freie Meinungsäußerung zum Glück fest verankert. Der Aktionsplan der Europäischen Kommission gegen Desinformation, um den es heute geht, dient dem Schutz genau dieser unserer Werte, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Und der Aktionsplan definiert ganz genau, was unter Desinformation zu verstehen ist. Das sind – ich zitiere wie der Kollege Hacker –
nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel des wirtschaftlichen Gewinns oder der vorsätzlichen Täuschung der Öffentlichkeit konzipiert, vorgelegt und verbreitet werden und öffentlichen Schaden anrichten können.
Es geht dabei ganz ausdrücklich – da hat die Kollegin Groden-Kranich gerade auch schon vollkommen richtig argumentiert – nicht um versehentliche Fehler in der Berichterstattung, um Satire, um Parodie oder um eindeutig gekennzeichnete politische oder parteiliche Nachrichten und Kommentare. Dieser Aktionsplan ist einzig und allein auf Desinformationsinhalte ausgerichtet, wie sie die gerade von mir zitierte Definition umfasst. Es geht – das muss ich anscheinend noch einmal ganz deutlich in die Richtung zu meiner Rechten sagen – nicht um Meinungen, nicht darum, ob man etwas gut oder schlecht oder richtig oder falsch findet, es geht einzig und allein um nachweisbare Fakten, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was Sie zu meiner Rechten mit Ihrem Antrag hier machen, das ist, den demokratischen Kompromiss, der zu unserem demokratischen System ohne jede Einschränkung dazugehört, als eine Form der Desinformation darzustellen. Wenn Sie uns als Sozialdemokraten in Ihrem Antrag vorwerfen, dass wir in Wahlkämpfen ganz bestimmte Positionen bezogen haben und diese dann in Regierungsverantwortung angeblich nicht umgesetzt hätten, dann machen Sie damit den demokratischen Kompromiss verächtlich, Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Natürlich werben wir im Wahlkampf für unsere Positionen, genau wie es alle demokratischen Fraktionen in diesem Haus richtigerweise tun – im fairen politischen Wettstreit miteinander. Aber in unserer Demokratie ist es auch vollkommen klar, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen immer mindestens zwei, manchmal sogar mehrere Partner miteinander Regierungsverantwortung übernehmen – und Kompromisse schließen, ganz klar. Und wenn wir als SPD diese Position einnehmen und der Koalitionspartner vielleicht jene Position, dann ist es in unserer Demokratie eben auch klar, dass sich weder die eine noch die andere Position zu 100 Prozent umsetzen lässt. Man trifft sich irgendwo dazwischen, an einer Stelle, wo man Dinge gemeinsam verantwortungsvoll miteinander tragen kann. Sie aber wollen den demokratischen Kompromiss verächtlich machen. Und das zeigt, wie weit Sie von unseren demokratischen Grundlagen entfernt sind, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben Demokratie einfach nicht verstanden. Und wenn Sie den politischen Kompromiss nach einer Regierungsbildung in Ihrem Antrag als ein Beispiel für Desinformation beschreiben, dann zeigt uns das ganz deutlich, dass Sie ganz offensichtlich auch den Begriff „Desinformation“ nicht verstanden haben. Ich liefere Ihnen da gerne ein paar Beispiele; denn als Berichterstatter für die Visegradstaaten und für die Länder der Östlichen Partnerschaft höre ich bei meinen Besuchen in diesen Ländern ganz besonders viele Beispiele, insbesondere für russische Fake News.
Polen zum Beispiel muss sich in letzter Zeit mit Blick auf Konzentrationslager, die das Nazireich auf polnischem Gebiet errichtet hat, und eine von Putin in Gang gesetzte Schulddiskussion einer massiven russischen Desinformationskampagne im Sinne des russischen Geschichtsrevisionismus erwehren. Auch die Ukraine leidet massiv an russischen Fake News. Aktuelles Beispiel: Vor einigen Tagen hat ein russisches Nachrichtenportal behauptet, die Ukraine sei der größte Lieferant für islamistische Extremisten in Westeuropa. Fakten dazu: keine.
Sehr gut wissenschaftlich dokumentiert sind auch die Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien oder mit dem Abschuss des Flugzeugs MH17 in der Ostukraine. Vor allem in Ländern mit einer großen russischsprachigen Diaspora stellen Fake News ein enormes Problem dar. Und wir müssen uns nur an den Fall Lisa hier bei uns erinnern, um zu wissen, dass das nicht nur unsere östlichen Nachbarländer betrifft, sondern dass Fake News und Desinformationen auch uns betreffen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die hessische AfD-Landtagsfraktion hat im November des vergangenen Jahres eine Broschüre mit dem Titel „Wie es wirklich um Deutschland steht – Fakten statt Fake News“ veröffentlicht. Sie entlarvt sich damit selbst; denn die Lektüre ist voll von komplett irreführenden Behauptungen. Ein Beispiel ist die immer wiederkehrende Behauptung, für einen menschengemachten Klimawandel gebe es keine wissenschaftlichen Grundlagen.
(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Nennen Sie doch mal eine!)
Wenn versucht wird, wissenschaftliche Erkenntnisse durch krude Glaubenssätze und bewusste Falschinformationen zu diskreditieren, dann müssen wir von Desinformation sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und von nichts anderem.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Roland Hartwig [AfD]: Das ist Unfug!)
Das ist ungefähr so, wie wenn ich behaupten würde, Sie säßen hier nicht im Plenum. Mir passt Ihre Anwesenheit nicht, und ich behaupte deshalb, dass Sie nicht hier sind, und ich verbreite das, obwohl es – in diesem Fall leider – durch Fakten widerlegt ist.
(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Es ist Ihr Recht, das zu behaupten! Egal wie falsch es ist! – Dr. Roland Hartwig [AfD]: Und die Erde ist eine Scheibe!)
Aber es gibt, wenn man so was verbreitet, immer ein paar Leute, die so was glauben.
Zu Ihrer Aufklärung – und damit komme ich zum Schluss, Herr Präsident –,
(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Das ist gut!)
empfehle ich Ihnen das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur Regulierung von Wahlwerbung im Internet aus dem letzten Juli oder auch, mit Erlaubnis des Präsidenten, das Buch von Patrick Gensing „Fakten gegen Fake News“, das auch über die Bundeszentrale für politische Bildung zu beziehen ist.
(Jens Kestner [AfD]: Oh ja! Genau!)
Da lernen Sie eine ganze Menge. Die Autoren stellen, wie ich finde, sehr gut dar, vor welchen Herausforderungen wir beim Schutz der Wahlfreiheit im digitalen Zeitalter stehen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Freie Wahlen sind ein grundlegender Bestandteil unserer Demokratie. Ich persönlich möchte nicht warten, bis wir feststellen, dass Wahlergebnisse ganz maßgeblich von Desinformationskampagnen beeinflusst wurden.
Herr Kollege, bitte jetzt!
Wir sollten deshalb klar und konkret handeln. Das macht die EU-Kommission, und das machen wir. Das ist das Mindeste, was wir tun können, um unsere Demokratie und die Rechte, die damit im Grundgesetz verbunden sind, nachhaltig zu verteidigen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Ich unterbreche kurz die Aussprache.
Wir kommen zurück zur Abstimmung über den Zusatzpunkt 21, Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer. Ich frage: Ist noch ein Kollege oder eine Kollegin im Raum oder im Hause, der oder die an der namentlichen Abstimmung noch nicht teilgenommen hat? – Jetzt aber! Husch!
(Christian Petry [SPD]: Mensch, Alois!)
Ich finde es auch für meine bayerischen Freunde beachtlich, dass man eine Stunde braucht, um überhaupt mitzubekommen, was hier los ist. – Alois, bitte, hurtig!
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber dafür gibt es die Nachfrage!)
Jetzt weiß er noch nicht einmal, wie er abstimmen soll. Kann ihm das mal jemand sagen?
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn man zu viel Zeit hat, ist das manchmal auch nicht gut!)
Ich stelle fest, dass alle Stimmkarten abgegeben sind, soweit sie innerhalb der Zeit abgegeben werden konnten. Damit ist die Abstimmung beendet. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir kommen wieder zurück zum Tagesordnungspunkt 22. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Doris Achelwilm, Fraktion Die Linke, das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 19 |
Session | 153 |
Agenda Item | Aktionsplan der EU-Kommission |