22.04.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 155 / Tagesordnungspunkt 2

Hans-Peter Friedrich - Sitzungsunterbrechung bis 16.30 Uhr

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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde

Falls jemand daran nicht teilnehmen will, bitte ich, den Saal zügig zu verlassen.

Die mündlichen Fragen auf Drucksache 19/18575 werden in der üblichen Reihenfolge aufgerufen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Michael Roth bereit.

Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Kekeritz auf:

Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Herr Kollege Kekeritz, die wirtschaftlichen Einschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie haben teilweise schwere existenzielle Folgen für Unternehmen und Beschäftigte, sowohl in Deutschland als auch entlang globaler Lieferketten, auf die sich ja Ihre Frage bezieht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Anforderungen an die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht gemäß den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten unverändert gelten. Das betrifft sowohl staatliche Pflichten zum Schutz und zur Förderung von Menschenrechten als auch die unternehmerische Verantwortung.

Stornierungen oder die Beendigung von Vertragsbeziehungen sind Gegenstand der vertraglichen Ausgestaltung zwischen den Unternehmen. Die Bundesregierung hat jedoch die klare Erwartung, dass für Unternehmen soziale Grundsätze wie die Lebensgrundlage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur in eigenen Betrieben, sondern auch in den Lieferketten erheblich sind. Für Unternehmen sollten daher Stornierungen oder der Abbruch von Geschäftsbeziehungen nur das allerletzte Mittel sein. Sie sollten mit ihren Zulieferern im Austausch bleiben, um gemeinsam Lösungen für diese schwierige finanzielle Situation zu finden. Verantwortungsvolle Unternehmen leisten zudem ihren Beitrag zur Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlang ihrer Lieferketten. In der aktuellen Lage betrifft dies natürlich vor allem den Gesundheitsschutz.

Grundlage für die Entscheidung der Bundesregierung über eine mögliche gesetzliche Regelung der menschenrechtlichen Sorgfalt für Unternehmen ist weiterhin das Ihnen bekannte Monitoring des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“. Dieses Monitoring wird derzeit durchgeführt, Ergebnisse sollen im Sommer vorliegen.

Herr Kekeritz, mögen Sie eine Nachfrage stellen?

Jawohl, ich möchte noch nachfragen. – Ich glaube schon, dass die menschenrechtlichen Prinzipien ganz oben anstehen. Aber hier geht es doch um ganz einfache vertragsrechtliche Fragen wie zum Beispiel: Muss ich als Unternehmen, das Ware bestellt hat, die hergestellt worden ist, zum Teil in den Häfen zum Abtransport bereitliegt und dann einfach nicht abgenommen wird, diese Ware bezahlen? – Kann das so sein? Inwieweit versuchen Sie jetzt tatsächlich, das rechtlich zu klären?

Es ist ja aus Ihrem Haus der Vorschlag gekommen: Die Unternehmen, die produziert haben, können ja klagen. – Sie wissen ganz genau, wie schwierig es ist, wenn eine bangladeschische Firma einen deutschen Importeur verklagt; denn sie weiß, dass sie nie wieder einen Auftrag erhalten wird. Infolgedessen ist es doch unbedingt notwendig, dass diese Firmen, die schon produziert haben – und da geht es nicht um Menschenrechte, sondern um Vertragsrecht –, auch die nötige Unterstützung von dieser Regierung bekommen.

Ich habe Ihnen, Herr Kollege, die klare Erwartungshaltung der Bundesregierung mit auf den Weg gegeben. Darüber hinaus wissen Sie auch, dass die Federführung für das sogenannte Textilbündnis beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung liegt. Die Unternehmen in diesem Textilbündnis haben eine entsprechende Gruppe gegründet, die sich mit Fragen auseinandersetzt wie den Einkaufspraktiken in der Krise, der Vermeidung von Auftragsstornierungen und der Absicherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, damit der Verantwortung in den globalen Lieferketten entsprechend Rechnung getragen werden kann.

Noch eine Frage?

Ja, noch eine. – Sie haben selber den NAP-Prozess angesprochen. Aufgrund von Corona ist jetzt diese Befragungszeit verlängert worden. Ich bin davon überzeugt, dass eigentlich kein anderes Ergebnis herauskommen kann als bisher schon. Wer bzw. welches Ministerium hat eigentlich in der Bundesregierung tatsächlich die Federführung, da einen Gesetzentwurf zu erstellen? Ich käme nie auf den Gedanken, dass das Außenministerium dafür kompetent ist. Ich hätte mehr die Vermutung gehabt, dass das Arbeitsministerium in Zusammenarbeit mit dem BMZ dafür verantwortlich sein müsste. Wer ist aus Ihrer Sicht oder aus Ihrem Kenntnisstand heraus dafür tatsächlich verantwortlich?

Ich habe den Eindruck, dass sich dafür die gesamte Bundesregierung verantwortlich fühlt. Sie haben ja auch schon das Bundesministerium für Arbeit und Soziales angesprochen, das hier eine klare Verpflichtungserklärung abgegeben hat. Wir nehmen den Prozess sehr ernst, unter anderem auch, weil er einen klaren Arbeitsauftrag aus dem Koalitionsvertrag beinhaltet, den wir natürlich eins zu eins entsprechend umsetzen.

Wenn die entsprechenden Voraussetzungen nicht gegeben sind – also 50 Prozent der Unternehmen – und die Anforderungen des Aktionsplans nicht entsprechend angemessen umgesetzt werden, dann werden wir gesetzgeberisch tätig werden. Darüber hinaus sind wir ganz besonders ambitioniert, weil es uns nicht nur um eine nationale Regelung geht, sondern wir wollen auch eine EU-weite Regelung durchsetzen. Deswegen sind wir darüber auch in Abstimmung mit unseren Partnerinnen und Partnern in der EU.

Danke sehr. – Dr. Christoph Hoffmann, FDP, stellt eine weitere Frage.

Vielen Dank. – Herr Roth, Sie haben ja auch schon gesagt, dass dramatische Situationen zum Beispiel in Afrika und in den Ländern des globalen Südens entstehen, weil die Lieferketten zusammengebrochen sind. Aber sie sind auch deshalb zusammengebrochen, weil unsere Nachfrage nicht mehr da ist. Sollten wir hier nicht von unserer Seite auch ein bisschen mutiger sein, diese Nachfrage wieder anzukurbeln? Ich denke da zum Beispiel an die Ladenflächen. Wenn wir diese auf 800 Quadratmeter beschränken, dann können große textilvertreibende Unternehmen nicht öffnen. Sollten wir da nicht etwas mutiger sein, um Millionen Tote am anderen Ende der Lieferkette zu vermeiden?

Herr Präsident! Lieber Herr Kollege, ich bin Ihnen erst einmal dankbar für Ihre Frage. Diese gibt mir noch einmal die Gelegenheit, deutlich zu machen, dass dieser schwierige Streit, den wir auch hier im Bundestag immer wieder austragen, nämlich wie man einen weitestgehenden Gesundheitsschutz in Übereinstimmung mit sozialen und ökonomischen Erwartungen bringen kann, auch auf internationaler Ebene ausgetragen wird. Auch hier geht Gesundheit natürlich vor. Aus unserer Sicht ist es aber wichtig, dass wir die sozialen Rahmenbedingungen auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen der globalen Lieferketten nachhaltig verbessern. Je besser es diesen Menschen geht, desto eher sind sie gegenüber solchen Krisen gewappnet, die wir auch für die Zukunft nicht vollumfänglich ausschließen können.

Danke sehr. – Der Kollege Seitz hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage – das ist die Frage 2 – gebeten, sodass wir zur Frage 3 der Kollegin Daniela Kluckert kommen:

Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Kollegin KIuckert, bereits in der Fragestunde am 11. März hat mein Kollege aus dem Bundesministerium für Gesundheit Herr Gebhart für die Bundesregierung auf diese Frage geantwortet. Ich verweise erst einmal auf diese Antwort, an der sich natürlich nichts geändert hat.

Ich kann aber an dieser Stelle noch einmal betonen, dass für die Bundesregierung eine verlässliche und gute Kommunikation unter der Staatengemeinschaft sehr wichtig ist und dass keine Region oder Institution zurückgelassen wird. Die Beteiligung aller Verantwortlichen, die wichtige Beiträge in globalen Gesundheitsfragen leisten können, muss gewährleistet sein.

Taiwan – darauf haben Sie noch einmal abgezielt – unternimmt große Anstrengungen in Fragen der Weltgesundheit. Als eine der großen Drehscheiben für den Luftverkehr ist es maßgeblicher Akteur bei der Bekämpfung von Pandemien. Die Bundesregierung bemüht sich gemeinsam mit anderen Staaten gegenüber der Weltgesundheitsorganisation in Genf um die Einbindung Taiwans in die Bemühungen zur Bewältigung der aktuell dramatischen Situation.

Darüber hinaus gilt – das hat Ihnen der Kollege schon mitgeteilt –: Deutschland erkennt im Rahmen seiner Ein-China-Politik die Volksrepublik China als einzigen souveränen Staat in China an. Dasselbe gilt für alle EU-Mitgliedstaaten sowie die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft. Eine Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation ist ausschließlich souveränen Staaten vorbehalten.

Frau Kollegin Kluckert.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister, die Lage ist sehr ernst. Taiwan hatte schon Ende Dezember eine E-Mail an die WHO geschrieben, in der es eindringlich vor den Gefahren eines Coronavirus gewarnt hat. Diese E-Mail ist genauso verpufft wie auch die Bewertung von Taiwans sehr erfolgreicher Coronakrisenstrategie, die dafür gesorgt hat, dass Taiwan bisher nur rund 400 Infizierte aufzuweisen hat. Sie ist genauso verpufft – das haben Sie auch gesagt – wie die drängendste Bitte Taiwans, in die WHO aufgenommen zu werden.

Taiwan ist ein demokratischer Rechtsstaat. Die Frage ist nicht: „Braucht Taiwan die WHO?“, sondern: „Brauchen wir vielleicht auch Taiwan in der WHO?“ Der Druck kommt aus China, Taiwan nicht aufzunehmen. Deswegen noch einmal meine Frage: Inwieweit verändert vielleicht die gegenwärtige Situation mit Blick auf das Coronavirus die Einschätzung Deutschlands, was bewirken würde, andere Schritte einzuleiten, die Regeln zu verändern und – ich sage es noch einmal – diese Demokratie Taiwan vermehrt in ihrem Bestreben zu unterstützen, dass sie unter anderem in die WHO aufgenommen wird?

Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Kluckert, die Position, die ich eben dargestellt habe, ist nicht nur die Position der Bundesregierung, sondern die Position der Europäischen Union insgesamt. Sie geht nicht einher mit einer Geringschätzung des herausragenden Engagements Taiwans bei der Bekämpfung dieser Pandemie.

Die Bundesregierung setzt sich darüber hinaus dafür ein, dass Taiwan überall aktiv und engagiert mitarbeiten kann, auch in den internationalen Organisationen, wo das Kriterium der souveränen Staatlichkeit nicht erfüllt sein muss. Wir sind darüber auch im Gespräch mit der WHO. Die WHO hat uns versichert, dass eine Einbeziehung Taiwans auf technischer Ebene im Kampf gegen das Coronavirus täglich gewährleistet ist. Der Informationsaustausch mit Vertreterinnen und Vertretern Taiwans ist also gesichert, gerade auch weil wir diese Expertise wertschätzen.

Herr Präsident! – Das ist sie nun anscheinend nicht, wenn E-Mails von Ende Dezember verpuffen, die auf diese beginnende Krise hinweisen. Insofern wäre tatsächlich auch mir daran gelegen, wenn wir einen veränderten Kurs einnehmen würden. Wir können ja die Regularien ändern und können auch die Meinung innerhalb der EU ändern. Wir sind ihr ja nicht ausgeliefert.

Sie hatten gerade die Wertschätzung angesprochen. Es ist auch mir sehr wichtig, dass wir auf dem internationalen Parkett einander Wertschätzung zeigen. Es ist normalerweise üblich, dass man sich für Geschenke, die man bekommt, bedankt. Taiwan hat in der letzten Woche 1 Million Schutzmasken nach Deutschland geliefert, hat sie uns geschenkt, weil wir sie sehr dringend brauchen. Das finde ich sehr großzügig. Deshalb meine Frage – ich habe davon in der Presse oder anderswo noch nichts lesen können –: Wie ganz konkret und auf welche Art und Weise hat sich Deutschland für diese Schutzmasken bei Taiwan bedankt?

Herr Präsident! Frau Kollegin Kluckert, erst einmal erleben wir derzeit eine große Welle der internationalen Solidarität. Wir haken uns unter, wir helfen uns, wir tauschen uns aus. Deutschland versucht, einen Beitrag zu leisten. Wir sind natürlich auch dankbar, wenn andere uns helfen. Das sind teilweise staatliche, teilweise nichtstaatliche Organisationen. Und natürlich beziehen wir in diesen Dank auch Taiwan ein, das uns in dem von Ihnen geschilderten Maße dabei unterstützt hat, die Situation bei der Schutzausrüstung in Deutschland nachhaltig zu verbessern.

Sie haben aber in Ihrem ersten Statement einen Punkt benannt, den ich gerne noch einmal erklären möchte. Hier geht es nicht allein um die Position der Bundesregierung, sondern ich habe auch noch einmal dargestellt, dass die herrschende Auffassung die ist, dass ein Land einer internationalen Organisation wie der WHO nur dann beitreten kann, wenn es sich um einen souveränen Staat handelt. Die Ein-China-Politik ist bislang noch von keiner Bundesregierung in der Geschichte unseres Landes infrage gestellt worden. Wir haben entsprechende bilaterale Beziehungen, diplomatische Beziehungen mit China seit 1972 und haben dieses Prinzip immer anerkannt.

Damit kommen wir zur Frage 4 des Kollegen Stephan Brandner, AfD:

Herr Staatsminister.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter, die aktuelle Lage ist für alle EU-Staaten außerordentlich schwierig. Sie erfordert besondere Maßnahmen, darunter auch solche, mit denen Regierungen eng befristet in die Grundrechte eingreifen. Darüber haben wir eben auch gesprochen. Bei allen Maßnahmen muss immer das Wohl der Bevölkerung im Vordergrund stehen. Es darf dabei einzig um das Überwinden der Pandemie gehen. Die ergriffenen Maßnahmen bedürfen einer sorgfältigen Abwägung und müssen verhältnismäßig und zeitlich befristet sein.

Die EU zeichnet sich durch ihre Werte aus. Das sind Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Alle Notfallmaßnahmen müssen mit demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar und stets gerichtlich überprüfbar sein. Sie dürfen die freie Meinungsäußerung oder die Pressefreiheit nicht einschränken.

Das ungarische Notstandsgesetz steht europaweit in der Kritik, vor allem wegen seiner unbefristeten Geltung und wegen seiner angedrohten hohen Freiheitsstrafen für die Verbreitung – ich zitiere –: „falscher oder falsch dargestellter Tatsachen“. Die Europäische Kommission, der Europarat und der Kreis der Mitgliedstaaten haben deshalb deutliche Kritik am ungarischen Notstandsgesetz geübt.

Im Übrigen hat sich neben 19 weiteren EU-Mitgliedstaaten auch Ungarn der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtsstaatlichkeit angeschlossen, die die von der EU-Kommission angekündigte Überprüfung der Notfallmaßnahmen und ihrer Anwendung unterstützt. Gerade darüber haben wir heute noch einmal im Kreis der Europaministerinnen und Europaminister im Rahmen einer Videokonferenz gesprochen und das noch einmal entsprechend bekräftigt.

Danke sehr. – Herr Kollege Brandner.

Vielen Dank. – Die Einschränkungen oder Abschaffungen welcher konkreten Freiheitsrechte oder Grundrechte in Ungarn meinte denn Herr Maas, als er sagte, sie seien nicht hinnehmbar?

Ich habe auf die beiden schwerwiegendsten Gravamina, Herr Abgeordneter, Herr Präsident, hingewiesen. Das ist zum Ersten, dass es im Gegensatz zu den anderen vorliegenden gesetzlichen Maßnahmen in den Mitgliedstaaten keinerlei zeitliche Befristung gibt. Zum Zweiten – das ist mir auch wichtig – hat es im Gegensatz zu den parlamentarischen Gepflogenheiten auch hier bei uns dort keine angemessene Einbindung der Opposition gegeben. Es hat beispielsweise einen Vorschlag der Opposition im ungarischen Parlament gegeben, die Maßnahmen auf 60 Tage zu befristen und sie dann auslaufen zu lassen bzw. sie abermals neu zu beschließen. Das hat die mit der Zweidrittelmehrheit ausgestattete Regierungspartei Fidesz im ungarischen Parlament abgelehnt.

Ein weiterer Punkt ist die Verhältnismäßigkeit. Auch hier gibt es seitens der Europäischen Kommission entsprechende Zweifel, denen wir uns angeschlossen haben.

Herr Brandner, eine zweite Nachfrage?

Ja, danke. – Wenn Sie jetzt schildern, dass in Ungarn eine Befristung seitens der Opposition gefordert war, die von den Regierungsparteien zurückgewiesen wurde, dann sage ich mal: Das ist im deutschen Parlament nicht anders gewesen. Die AfD hat ja auch knallhart eine Befristung von einem Monat und regelmäßige Überprüfung und Evaluation beantragt. In Deutschland war es dann aber nicht nur so, dass die regierenden Fraktionen das zurückgewiesen haben, sondern die restliche Opposition auch noch. Aber das sei mal dahingestellt.

Das unterscheidet uns ein bisschen von Ungarn, dass hier die Opposition – außer der AfD – auch noch mit den Regierenden stimmt.

Herr Roth, eine abschließende Frage noch: Welche Grundrechte sieht denn die Bundesregierung in Deutschland eingeschränkt oder beeinträchtigt durch Maßnahmen, die die Landesregierungen und die Bundesregierung getroffen haben?

Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, dass der Deutsche Bundestag Nachhilfe seitens der Bundesregierung benötigt, weil er diese Maßnahmen selber beschlossen hat. Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit beispielsweise ist ein schwerwiegender Eingriff in die Freiheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Ich könnte noch eine Reihe weiterer Maßnahmen hier vortragen.

Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir all unser Bemühen als Bundesregierung immer auch mit einem Ziel verbunden haben, nämlich einen größtmöglichen politischen Konsens herbeizuführen, nicht nur mit den hier im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen, sondern auch mit den Ländern. Denn es ist in Deutschland im Gegensatz zu einer Reihe von anderen europäischen Mitgliedstaaten so, dass zentrale Kompetenzen, die wir im Kampf zur Eindämmung einer Pandemie benötigen, Länderkompetenzen sind. Insofern haben wir ein enges Einvernehmen gesucht. Meines Wissens sind sowohl Grüne als auch FDP und andere Parteien in Landesregierungen vertreten.

Ich glaube, dass wir in Deutschland sagen können: Wir haben diese gesundheitliche Ausnahmesituation doch in einem größtmöglichen politischen Konsens gestemmt. Ich bin den Parteien und den Fraktionen, die daran mitgewirkt haben, sehr dankbar.

Danke sehr. – Herr Graf Lambsdorff möchte eine weitere Nachfrage stellen.

Herr Staatsminister, Sie haben eben etwas gemacht, was mich echt überrascht hat: Sie haben geradezu lobend erwähnt, dass sich Ungarn der Erklärung angeschlossen hat, mit der Ungarn zur Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Standards aufgefordert wird. Das Problem dabei ist, dass in der Erklärung Ungarn ja gar nicht genannt war, genauso wenig wie Polen, wo wir ähnliche Entwicklungen haben. Würden Sie mir nicht zustimmen, dass die Erklärung dann ein Problem hat, wenn die Staaten, um die es eigentlich geht, sich der Erklärung anschließen und sie so ad absurdum führen?

Herr Präsident! Herr Graf Lambsdorff, ich habe mitnichten irgendetwas lobend erwähnt; ich habe es schlicht und ergreifend nüchtern, faktenbasiert dargestellt. Aus der Erklärung ergeben sich natürlich besondere Verpflichtungen. Wenn ein Land wie Ungarn einer Stellungnahme beitritt, die ein klares Bekenntnis zur zwingenden Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien beinhaltet, dann ergeben sich daraus Konsequenzen für die Zukunft. Ich sehe mit großem Interesse der Kontrolle der EU-Kommission entgegen, die alle nationalen Maßnahmen – auch unsere im Übrigen – daraufhin überprüfen wird, ob sie im vollen Einklang mit EU-Recht und mit EU-Verträgen stehen. Ich habe beispielsweise in öffentlichen Statements Ungarn auch klar als Adressat der Kritik benannt.

Danke sehr. – Damit kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Andrej Hunko, Die Linke:

Herr Staatsminister.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Kollege Hunko, der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, hat in einer Erklärung am 3. April die Haltung der EU zu Sanktionen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie dargelegt. Er hat betont, dass Sanktionen die Lieferung wichtiger Ausrüstung und Materialien, die für die Bekämpfung des Coronavirus und die Begrenzung seiner weltweiten Verbreitung erforderlich sind, nicht behindern sollten. Gleichzeitig hat der Hohe Vertreter klargestellt, dass Sanktionen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union Ausnahmen aus humanitären Gründen vorsehen, die sicherstellen, dass diese Sanktionen den weltweiten Kampf gegen Covid-19 nicht behindern.

Der Hohe Vertreter hat weiterhin betont, dass Sanktionen eine unverzichtbare Rolle spielen, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Verstößen gegen das internationale Recht, der Bekämpfung der Verbreitung von Waffen, der Unterbindung des Zustroms von Waffen in Kriegsgebiete oder der Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen.

Die EU fordert andere Länder und Gebiete auf, die nötigen Klarstellungen vorzunehmen, um zu gewährleisten, dass ihre jeweiligen Sanktionen kein Hindernis für den weltweiten Kampf gegen die Pandemie darstellen. Und diese Auffassung des Hohen Vertreters teilt die Bundesregierung vollumfänglich.

Aus Sicht der Bundesregierung wird bei den bestehenden Sanktionen der Vereinten Nationen und der EU der Sorge vor nicht beabsichtigten humanitären Auswirkungen – auch bezüglich Unterstützungsmaßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 – innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens angemessen Rechnung getragen. Auch US-Wirtschaftssanktionen beinhalten nach Kenntnis der Bundesregierung Ausnahmen für medizinische und humanitäre Güter und sanktionieren keine Lieferungen in diesen Bereichen. Es ist gut, dass die US-Regierung das auch in Äußerungen klargestellt hat.

Die Bundesregierung bemüht sich gemeinsam mit ihren europäischen Partnern darum, die US-Regierung zu weiteren notwendigen Klarstellungen in Bezug auf Ausnahmeregelungen für humanitäre Transaktionen zu bewegen. Dazu zählt unter anderem ganz konkret der Vorschlag, eine Positivliste genehmigungsfreier Güter zur Bekämpfung von Covid-19 zu veröffentlichen. Ziel ist es, dass sich entsprechende Unternehmen daran auch halten.

Den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für eine weltweite Waffenruhe unterstützt die Bundesregierung ausdrücklich. In Stellungnahmen hat Außenminister Maas dies bereits mehrfach getan. Auch die von Deutschland lancierte Erklärung der Allianz für den Multilateralismus vom 16. April, der sich aktuell 24 Staaten angeschlossen haben, enthält die explizite Unterstützung der Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.

Die Bundesregierung arbeitet gemeinsam mit anderen gleichgesinnten Sicherheitsratsmitgliedern intensiv daran, dass der VN-Sicherheitsrat als Ganzes die Forderung des Generalsekretärs nach einer weltweiten Waffenruhe mitträgt. Die Bundesregierung unterstützt außerdem die Aufrufe zu Waffenstillständen der VN-Sondergesandten für die Konfliktregionen von Syrien bis Jemen. Dazu konnten wir bereits Äußerungen des Sicherheitsrates erreichen.

Vielen Dank. – Generell sollten wir eigentlich Antworten auf zwei Minuten beschränken.

Ich bitte um Nachsicht.

Die Bitte ist gewährt. – Herr Kollege, eine Nachfrage.

Ja, vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister, ich muss sagen: Damit fallen ja die Bundesregierung und auch die Europäische Union hinter die Forderung der Menschenrechtskommissarin der UNO, Michelle Bachelet, zurück. Sie fordert die Aussetzung der Sanktionen. Explizit benennt sie Venezuela, Kuba, Iran, Zimbabwe und Nordkorea.

Sie sagen jetzt, die Sanktionen sollten bestehen bleiben, aber man solle sicherstellen, dass humanitäre und medizinische Güter sozusagen im Rahmen von Ausnahmeregelungen geliefert werden können. Das fällt hinter die Forderungen zurück. Meine Frage wäre: Ist Ihnen bekannt, dass diese Ausnahmeregelungen auch vorher schon bestanden, dass sie aber in der Praxis eben oftmals nicht funktionieren, weil natürlich viele Akteure – Reeder etwa – aus Angst vor möglichen Sanktionen diese humanitäre Hilfe nicht leisten?

Herr Staatsminister.

Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Hunko, Sie haben erst einmal im Grundsatz recht, dass diese klaren Verabredungen noch nicht so richtig funktionieren in der Praxis, weil es ein Prinzip der sogenannten Over-Compliance gibt. Das heißt: Aus Sorge, wirtschaftliche Nachteile zu erfahren, nutzen Unternehmen die Möglichkeiten nicht, die die Ausnahmeregelungen ihnen eigentlich eröffnen. Deswegen dringen wir ja als Europäische Union, aber auch als Bundesregierung auf eine entsprechende Klarstellung.

Ich will deutlich machen, dass wir zwar für einen uneingeschränkten und solidarischen Kampf gegen die Ausbreitung der Pandemie sind, dass aber die Gründe, die zur Beschlussfassung von wirtschaftlichen Sanktionen geführt haben, nicht hinfällig geworden sind dadurch, dass wir jetzt diese furchtbare Pandemie haben. Insofern bleiben wir einem Ziel verpflichtet: Sanktionen werden dann abgemildert oder werden dann beendet, wenn die Voraussetzungen für den Beschluss von Sanktionen nicht mehr gegeben sind.

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Bitte schön, Herr Kollege.

Vielen Dank. – Konkret zum Beispiel Venezuela: Da hat ja die Bundesregierung im Februar letzten Jahres humanitäre Hilfe im Umfang von 5 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Ich habe im April letzten Jahres, ziemlich genau vor einem Jahr, dort den Leiter der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation und auch die Leiterin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Venezuela getroffen, die sehr stark signalisiert haben, dass sie diese Hilfe bräuchten, damit sie nach ihren Statuten arbeiten könnten. Wie sieht es damit aus? Wie viel von den 5 Millionen Euro humanitärer Hilfe ist an Venezuela gegangen?

Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Kollege Hunko, selbstverständlich steht die Bundesregierung zu ihren Verpflichtungen, überall dort, wo es notwendig ist, mit humanitärer Hilfe aktiv zu helfen und dazu beizutragen, dass sich die Menschenrechtssituation, aber vor allem auch die Versorgungssituation der Menschen nachhaltig verbessert. Ich kann auch gerne Ihre Frage noch einmal zum Anlass nehmen, zu überprüfen, inwieweit die Mittel geflossen sind, ob schon vollumfänglich oder erst in Teilbeträgen.

Wir haben auch gerade jetzt noch einmal einen Beitrag zur Stärkung der Weltgesundheitsorganisation geleistet, weil wir auch auf internationale Zusammenarbeit und auf Teamgeist setzen. Insofern haben wir weitere Mittel dafür zur Verfügung gestellt, dass die internationale Kooperation im Kampf gegen die Pandemie verbessert werden kann.

Vielen Dank, Herr Staatsminister.

Wir kommen zur Frage 6 der Abgeordneten Lisa Badum:

Herr Staatsminister.

Vielen Dank, Frau Kollegin Badum. – Herr Präsident! Die Bundesregierung ist in sehr engem Austausch mit den Regierungen der anderen EU-Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen über die wirtschaftlichen Erholungsmaßnahmen in Reaktion auf Covid-19. Heute haben wir uns darüber auch noch mal im Kreis der Ministerinnen und Minister ausgetauscht.

Die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst haben am 8. April eine gemeinsame Mitteilung zu Covid-19 veröffentlicht, die sogenannte globale Antwort der EU auf Covid-19. Die Bundesregierung hatte sich im Vorfeld dafür eingesetzt, dass darin auch der European Green Deal verankert wird, also unser Beitrag zum sozial-ökologischen Umbau und zur Stärkung des Klimaschutzes in der EU. Der Green Deal ist in der Erklärung als Orientierungsrahmen verankert, ebenso wie eine Ausrichtung der EU-Maßnahmen an der Agenda 2030 und dem Übereinkommen von Paris, und das begrüßen wir sehr.

Die deutsche Ratspräsidentschaft wird absehbar im Lichte der Krisenbewältigung stehen. Daher werden der European Green Deal und der Klimaschutz zentrale Themen für die Bundesregierung bleiben, genauso wie die Themen Innovation, sozialer Zusammenhalt, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Digitalisierung.

Vielen Dank. – Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?

Ja, danke, habe ich.

Bitte schön.

Herr Staatsminister, das freut mich sehr zu hören. Es gab ja auch eine Erklärung von verschiedenen Umweltministern der EU zum Green Recovery Plan, die auch Frau Schulze unterzeichnet hat. Ich entnehme Ihren Worten, dass sich die Bundesregierung Frau Schulzes Unterzeichnung vollumfänglich anschließt, das heißt dieses Programm unterstützt, in dem steht, es gehe um eine klimaneutrale Wirtschaft, Schutz der Biodiversität, Umbau der Agrarwirtschaft, weil diese Bereiche Potenzial für Jobs und Wachstum hätten. Das heißt, die Bundesregierung ist hier vollumfänglich an der Seite von Frau Schulze. Bitte bestätigen Sie das noch einmal.

In welchen Bereichen haben Sie schon Gespräche mit anderen Mitgliedstaaten aufgenommen, um diesen Green Recovery Plan anzuschieben?

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Badum, ich hatte Ihnen ja schon geschildert, dass wir uns heute unter anderem darüber ausgetauscht haben, wie ein solches Programm zur Wiedererlangung der wirtschaftlichen Stärke in Europa, in der Europäischen Union, und auch zur Sicherung und zum Schutz von Arbeitsplätzen aussehen sollte. Das ist kein nationales, das ist ein europäisches Thema.

Ich habe durchaus auch bei einigen wenigen Kolleginnen und Kollegen in der EU eine gewisse Sorge vernommen, weil man einen Gegensatz zwischen den Themen des notwendigen wirtschaftlichen Wiederaufbaus, der sozialen Sicherheit und des Klimaschutzes sieht. Die Bundesregierung sieht dies dezidiert nicht so; für uns geht das miteinander einher. Deswegen werden wir uns auch im Rahmen unserer Präsidentschaft darum bemühen, dass ein ambitionierter Klimaschutz mit einem notwendigen wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbauprogramm der Europäischen Union verknüpft wird, das vor allem auch in den Regionen wirkt, die am stärksten unter den Folgen der Pandemie zu leiden haben.

Vielen Dank. – Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Ja, danke. – Vielen Dank. Das war noch keine konkrete Antwort darauf, ob die Bundesregierung an der Seite von Frau Schulze steht; aber ich nehme an, dass es so ist.

Mich würde trotzdem interessieren: Für welche konkreten Branchen werden Sie sich jetzt einsetzen vor dem Hintergrund, dass Sie in Deutschland bei Maßnahmen, die sowohl Konjunktur als auch Klimaschutz anschieben könnten und die gar nichts kosten – wie etwa die Wegnahme des PV-Deckels oder auch die Einführung eines CO

Erst mal, Herr Präsident, Frau Kollegin, möchte ich sagen, dass ich in der Europäischen Union immer sehr viel Lob für unseren ambitionierten Klimaschutzplan bekommen habe,

weil wir im Gegensatz zu anderen konkrete Schritte vorgelegt haben,

die auch sehr transparent sind, die man kritisieren kann, die man aber auch in der Europäischen Union loben kann. Genau dafür setzen wir uns natürlich auch in der Europäischen Union ein.

Bei der Energiewende haben wir beispielsweise Maßstäbe gesetzt und bieten immer noch eine der Blaupausen, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Anwendung finden. Ich sehe es durchaus auch als eine Chance, den Regionen, die massiv von Arbeitslosigkeit betroffen sind, durch eine noch engere Zusammenarbeit und auch durch die Zurverfügungstellung von Expertise und Finanzmitteln bei der Energiewende zu helfen.

Klimatische Sanierung, der sozial-ökologische Umbau und die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs sind weitere wichtige Themen. Hier diskutieren wir nicht nur, sondern wir leiten konkrete Schritte ein und versuchen, die nationalen Maßnahmen in der EU aufeinander abzustimmen.

Vielen Dank. – Es gibt eine weitere Nachfrage der Kollegin Dr. Nestle. Bitte schön, Frau Kollegin.

Danke. – Herr Staatsminister, es haben ja gerade 190 Verbände, Unternehmen und Vereine einen offenen Brief an die Regierung geschrieben, mit der Bitte um ein grünes Konjunkturpaket. Sie sind unter anderem getrieben von der Sorge, dass jetzt, in Zeiten von Corona, Klimaziele, aber auch Maßnahmen für den Klimaschutz aufgeweicht und nicht entschlossen vorangetrieben werden.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7441112
Wahlperiode 19
Sitzung 155
Tagesordnungspunkt Sitzungsunterbrechung bis 16.30 Uhr
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