Sebastian HartmannSPD - Grundrechte in der Corona-Krise
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie fordert uns als Gesellschaft, aber auch als Parlament. Wir sind allerdings nicht das erste Mal mit einer solchen Pandemie globalen Ausmaßes konfrontiert. Wir sind auch schon in der Vergangenheit mit der Hongkonggrippe konfrontiert gewesen oder gar vor über 100 Jahren mit der Spanischen Grippe.
Allerdings sollten wir uns daran erinnern, dass wir jede dieser Pandemien und jede der Herausforderungen, der wir als Gesellschaft und auch als Staaten begegnet sind, überwunden haben. Wir waren dazu in der Lage, weil wir vor allen Dingen zwei Dinge in den Blick genommen haben: Wir haben auf der einen Seite Fortschritt und Wissenschaft, die uns leiten können. Wir als Parlament haben die Verantwortung, Expertenrat aufzunehmen und abzuwägen, aber nicht jedem Expertenrat zu folgen.
Das andere, das Entscheidende in diesem Moment ist: Der Erfolg, den wir nun sehen, was die Infektionszahlen angeht, die Eindämmung der Pandemie in diesem Land ist nicht das Ergebnis des alleinigen Handelns einer Regierung oder eines Ministerpräsidenten oder der Kanzlerin allein, sondern es ist ein Erfolg, den wir in diesem Land gemeinsam hinbekommen haben. Dafür gilt der Dank all denjenigen Menschen in diesem Land, den Bürgerinnen und Bürgern, die sich verantwortungsvoll und vor allen Dingen solidarisch gezeigt haben. Wir haben aufeinander achtgegeben, die Regeln der Hygiene eingehalten und so dafür gesorgt, dass sich Infektionen nicht weiter ausbreiten. Die entscheidende Frage war nicht, ob man selbst zu einer Risikogruppe gehört oder ob man selbst in der Gefahr ist, zu erkranken. Vielmehr ging es darum, auch auf den anderen, vor allem auf diejenigen in den Risikogruppen, achtzugeben. Hierfür meinen herzlichen Dank! Meine Damen und Herren, das ist das Fundament dieses Erfolgs.
(Beifall bei der SPD)
Damit sind wir bei der Gefahr. Nun wird versucht, in diesem Haus die Saat des Zweifels, des Hasses, der Hetze und der Spaltung zu streuen,
(Zuruf von der AfD: Oh!)
indem Erkenntnisse, die wir während dieser Pandemie schon erreicht haben, durch Diffamierung von Experten, durch das Teilen von Fake News oder das Stellen von absurden Anträgen und Behauptungen, die jeder Grundlage entbehren, infrage gestellt werden. Dadurch soll eben diese Saat des Zweifels gesät werden. Sie gefährdet das Vertrauen, das man in der Demokratie immer wieder neu begründen muss.
Die Sozialdemokratie ist unverdächtig, dass wir etwa Freiheitsrechte und Grundrechte einschränken wollten. Wir haben in aller Klarheit gesagt: weniger Pressekonferenzen, weniger interne Besprechungen, mehr Debatte im Parlament. Das ist die Stunde des Parlaments. Eine Debatte wie die heutige zeigt in den wohlabgewogenen Beiträgen, dass wir genau das tun. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können sich darauf verlassen: Wir gehen verantwortungsvoll mit dieser Situation um.
(Beifall bei der SPD)
Die angesprochene App kann ein Hilfsmittel sein, um über Corona zu lernen und zu erfahren. Aber für uns als Sozialdemokratie gilt: kein zentraler Ansatz, sondern ein dezentraler Ansatz, maximaler Datenschutz. Wir haben diese Debatten nicht erst im Zusammenhang mit dieser Corona-App geführt. Ich habe den Kollegen von der FDP zugehört, als sie für die Grundrechte und Freiheitsrechte geworben haben. Ich fand viele Teile ihrer Ausführungen wirklich absolut zustimmungsfähig. Das war auch der Grund, warum wir in Nordrhein-Westfalen der schwarz-gelben Regierung in den Arm gefallen sind, als sie ein Pandemiegesetz beschließen wollte, das vorsah, Zwangsrekrutierungen von medizinischem Personal bis hin zur Beschlagnahme vorzunehmen. Die FDP rutschte da unangenehm auf der Regierungsbank hin und her und sagte: Das geht zu weit.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Sie hatten recht. Deswegen haben wir das in Nordrhein-Westfalen verhindert. Jetzt ist in der weiteren Debatte klarzumachen: Das wird nicht unser Weg sein.
Ein letzter Gedanke zu dieser App.
(Zuruf von der FDP)
– Ihr habt euch für die Regierungsbeteiligung mit der Union entschieden. Das ist eure Verantwortung. – Aber ein Gedanke zur App. Wir reden über eine Corona-App, die der Gesundheitsminister schon für Mitte April angekündigt hatte, bevor überhaupt Schnittstellen zwischen Google und Apple klar waren, bevor besprochen worden war, ob man einen dezentralen oder zentralen Ansatz wählt.
Aber wir haben doch schon 2015 eine App eingeführt. Es ist die Warn-App NINA, die das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zur Verfügung stellt mit einer Vielzahl von Hinweisen, zum Beispiel wie man Regeln der Hygiene beachtet und auf den Nächsten achtgibt. Ich werbe dafür – das ist das Entscheidende in unserer Demokratie, in einem demokratischen transparenten Rechtsstaat –: Schauen wir auf die Informationen, und schauen wir darauf, was wir zur Verfügung stellen, auch auf den Rat der Experten, die sich möglicherweise widersprechen. Aber das ist doch der Moment, wo wir objektiv informieren wollen. Wir haben nicht ein einziges Mal den Anschein erweckt, dass wir mit dem Fortschritt der Erkenntnisse nicht auch Dinge, die wir als Grundlage formuliert haben, möglicherweise infrage stellen oder verändern. Demjenigen, der zu Anfang behauptet, alles zu wissen, obwohl man mit einer neuen und unbekannten Situation konfrontiert ist, darf man nicht glauben.
Deswegen: Bevor die Corona-App, in welcher Form auch immer, kommt, installieren Sie doch die Warn-App NINA, und informieren Sie sich, wie die Lage in Ihrem Landkreis, in Ihrer Stadt ist. Das ist doch schon verfügbar. Hier arbeiten Bund und Länder hervorragend zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Ausübung der Religionsfreiheit ist auch angesprochen worden. Ja, all die Einschränkungen, denen sich Parteien wie auch Kirchen und Religionsgemeinschaften in unserem Land freiwillig unterworfen haben, sind massive Eingriffe. Ich glaube, dass wir in der Folge erkennen müssen, dass ganz viel durch freiwilliges Verhalten erreicht worden ist, eben im Vertrauen auf staatliche Stellen und Parlamente, die ihrer Verantwortung nachkommen, auch der kritischen Abwägung. Das ist das, was wir Bürgerinnen und Bürger gemeinsam geschaffen haben.
Es ist davon gesprochen worden, dass Weihnachten gemeinsam gefeiert werden soll. Aber wir sind doch nicht voneinander gegangen, sondern wir haben doch gerade jetzt in diesem Moment versucht, solidarisch im Zusammenhalten zu sein, und die Kirchen haben das getan. Der Rednerin hier im Hause, die über Weihnachten sprach, möchte ich doch eher das Pfingstfest empfehlen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Sie sollte auch sehen: Solange Sie in Ihren Reihen Verfassungsfeinde dulden, die das Grundgesetz infrage stellen – ich meine die Rechten von der AfD –, so lange dürfen Sie niemanden hier im Haus irgendwie belehren, was die Geltung unserer Grundrechte und des Grundgesetzes angeht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Sebastian Hartmann. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Benjamin Strasser.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7444266 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 158 |
Tagesordnungspunkt | Grundrechte in der Corona-Krise |