Axel MüllerCDU/CSU - Demokratie, Bürgerrechte und Zivilgesellschaft
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Inkrafttreten der ersten Coronaverordnung am 16. März sind nun fast acht Wochen vergangen. Umso wichtiger ist es, dass heute in der Tat wieder einmal die Stunde des Parlaments schlägt; denn das ist zweifelsfrei der Ort, an dem man Demokratie und Bürgerrechte, die Gegenstand aller vorgelegten Anträge sind, debattieren muss.
Das gilt insbesondere auch für Einschränkungen von bürgerlichen Freiheiten, die auf dem Fundament der Grundrechte stehen. Der Wert der Freiheit, so steht es im Antrag der Grünen, wird in der Krise besonders deutlich. – Das erfährt meine uneingeschränkte persönliche Zustimmung. Umso wichtiger ist es daher aber, dass länger dauernde Freiheitsbeschränkungen einer demokratischen Legitimation durch das Parlament, gegebenenfalls auch einer besonderen gesetzlichen Begründung bedürfen. Das hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Frage „800 Quadratmeter Ladenfläche, darüber oder darunter“ ausgeführt. Denn nicht Lockerungen von Maßnahmen bedürfen einer Regelung, sondern zuallererst Einschränkungen durch Maßnahmen, insbesondere wenn sie den Grundrechtskreis betreffen. Das gilt für die Ausübung der Religionsfreiheit genauso wie für die Versammlungsfreiheit oder die Berufsfreiheit oder den Eingriff in den unter dem Eigentumsrecht stehenden Gewerbebetrieb.
Hier, wie von den Grünen allerdings verlangt, für Rechtsverordnungen auf der Grundlage von Artikel 80 Grundgesetz neben der zulässigen Leitplanke Bundesrat auch eine zusätzliche Leitplanke Bundestag einzuziehen, ist verfassungsrechtlich zwar grundsätzlich zulässig. Aber § 5 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes, wo Sie das machen wollen, ist nicht der geeignete Platz. Denn wenn es um die Schließung von Schulen oder die Einschränkung des öffentlichen Nahverkehrs bei einer Infektionslage geht, ist höchste Eile geboten.
Kollege Müller, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Keul?
Ja, gestatte ich.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Sie referieren ja über die juristischen und rechtspolitischen Bedeutungen dieser Verordnungsermächtigung. Deswegen frage ich Sie an dieser Stelle: Warum haben Sie dann nicht zugelassen, dass wir im Rechtsausschuss auch eine Anhörung zu dieser sehr rechtspolitischen Frage machen, und haben darauf bestanden, dass allein der Gesundheitsausschuss sich damit befasst?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])
Ich gebe Ihnen gerne die Antwort: weil für das Infektionsschutzgesetz der Gesundheitsausschuss zuständig ist. Und wir haben ja gesagt: Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, an den Sitzungen und einer Anhörung des Gesundheitsausschusses auch als Mitglied eines anderen Ausschusses teilzunehmen und gegebenenfalls auch Fragen zu stellen und die Sachverständigen um ihre Meinung zu bitten. Das erachten wir als ausreichend.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie wollen allerdings den Fortbestand einer entsprechenden Verordnung davon abhängig machen, dass der Bundestag in der auf den Erlass der Verordnung folgenden Sitzungswoche seine ausdrückliche Zustimmung erteilt. Gerade beim Infektionsschutzgesetz halte ich das für zu riskant. Ansonsten entfällt ja nach Ihrer Ansicht die Rechtsgrundlage.
Wie die Antragsteller sehe ich auch die Justiz in einer besonderen Verantwortung, der sie mit ihren Entscheidungen bisher absolut gerecht geworden ist. Deutschland sollte daher in der kommenden EU-Ratspräsidentschaft die Eingriffe in die Unabhängigkeit der dritten Gewalt durch EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Polen besonders im Auge behalten und direkt ansprechen. Denn: „Wir müssen“, um es mit den Worten des EU-Auslandsbeauftragten Josep Borrell zu sagen, „aufpassen, dass die Demokratie“ in diesen Ländern „nicht zum Opfer der Pandemie wird“.
Diese Krise liefert auch den Nachweis, dass die Gesellschaften, die mit autokratischen Regimen versehen sind, gleich ob sie China oder Russland heißen, die auf Intransparenz und einseitige Anweisungen setzen, unterlegen sind. Entlarvt hat sie populistisch agierende und argumentierende Politiker wie einen Boris Johnson, einen Donald Trump oder auch einen Herrn Bolsonaro als unfähig und gefährlich.
Sicher ist, dass wir die beachtlichen Erfolge, die wir bislang erzielt haben, letztendlich darauf stützen können, dass die ganz große Mehrheit der Menschen in diesem Land, in unserer liberalen Demokratie, die ergriffenen Maßnahmen nicht aufgrund von Repression, sondern innerer Überzeugung mitgetragen haben. Dafür sage ich allen Danke.
(Beifall des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])
Die Frage ist, was wir jetzt noch zusätzlich machen sollen oder müssen, um dem Gesundheitsschutz Rechnung zu tragen, ohne dadurch die erwähnten Grundrechte über das erforderliche Maß einzuschränken; denn nur dann tragen wir dem über allem stehenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung.
Einige der Vorschläge, die in den Anträgen von Grünen, Linken und FDP enthalten sind, möchte ich herausgreifen, aber auch zugleich aufzeigen, warum wir als CDU/CSU diesen Anträgen nicht folgen können. Teilweise haben sich die Punkte auch erledigt. Das gilt beispielsweise für die geforderte Aufhebung von Gottesdienst- und Versammlungsverboten. Das ist erledigt. – Da will jemand fragen.
Sie gestatten also eine Frage oder Bemerkung?
Selbstverständlich.
Dann ist das jetzt so. Das ist aber die letzte, die ich jetzt innerhalb Ihres Beitrages zulasse, sonst haben wir eine Verdopplung der Redezeit.
Ganz reizend, Frau Präsidentin, Herr Müller, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Müller, ich mache mir ein bisschen Sorgen. Der eine Punkt, der mir wichtig ist: Ich habe mir heute die Debatte der Kollegen aus dem Bereich Gesundheit um das Infektionsschutzgesetz angehört. Da ist überhaupt kein Raum für Rechtsfragen. Das wird bei dieser Anhörung ganz genauso sein.
Was mir aber auch Sorgen gemacht hat, ist, dass Sie sagen: Wenn der Bundestag bei dieser Verordnung eingebunden werden müsse, wenn diese Verordnung dem Bundestag also zur Zustimmung zugeleitet werden müsse, dann sei das zu gefährlich.
(Stephan Thomae [FDP]: Riskant!)
Jetzt haben Sie gerade beschrieben, wie wichtig die Demokratie und der Parlamentarismus sind. Aber diese Aussage macht mir wirklich Sorgen. Warum ist eine Beteiligung des Bundestages gefährlich?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Frau Kollegin Rottmann, in dieser Allgemeinheit sehe ich das nicht. Ich sehe es in Bezug auf Maßnahmen, die auf Grundlage des § 5 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes ergriffen werden, und Eilentscheidungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes zu Schulbesuchen oder zur Einschränkung des öffentlichen Nahverkehrs als gefährlich an, dass Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben: Falls es nicht gelingen sollte, dass der Deutsche Bundestag in der nächsten Sitzungswoche, die auf eine solche Verordnung oder Anordnung fällt, darüber abstimmt, ob sie richtig oder falsch ist, wird die Verordnung oder Anordnung aufgehoben. – Das halte ich für zu riskant.
Diese Verbindung, diese Konnexität herzustellen, halte ich für zu riskant, gerade bei diesen so wichtigen Eilentscheidungen. Gelingt es nämlich nicht – es könnte doch sein, dass die Infektion den Deutschen Bundestag daran hindert, in irgendeiner Form zusammenzukommen –, dann würde die Rechtsgrundlage für dringend notwendige Eingriffe entfallen. Das könnte doch passieren. Deshalb halte ich das bei diesen Maßnahmen in diesem Zusammenhang für zu riskant. Verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig ist das, was Sie sagen schon; das habe ich ja auch ausgeführt. Aber in diesem Punkt bin ich der Meinung, dass das zu riskant ist.
(Ingmar Jung [CDU/CSU]: Da hat er recht! – Beifall der Abg. Ingmar Jung [CDU/CSU] und Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin, einer sieht das so! – Ingmar Jung [CDU/CSU]: Zwei!)
Lassen Sie mich kurz auf die Tracing-App eingehen, weil der Kollege von Notz etwas dazu gesagt hat. Unsere Zauberformel heißt, Herr Kollege von Notz: doppelte Freiwilligkeit. Die Datenschutzregeln werden strikt eingehalten, egal ob europäisch oder national. Es dürfen nur epidemiologisch relevante Kontakte der letzten drei Wochen gespeichert werden, ohne das Bewegungsprofil zu erfassen. Die Datenfreigabe ist ebenso freiwillig, wie es freiwillig ist, ob man diese Daten weitergeben will oder nicht. Der Betreffende entscheidet selber, und es hat für ihn keine nachteiligen Konsequenzen.
Ich möchte kurz noch etwas zu den Eingriffen in das föderale Staatsgefüge sagen, wie das die FDP, aber auch die Linken beim Katastrophen- und Infektionsschutzgesetz gerne machen würden. Wir haben, denke ich, gesehen, dass zentralistisch organisierte Staaten wie Frankreich oder regional orientierte Staaten wie Italien im Vergleich schlechter durch die Krise gekommen sind als wir als föderaler Staat. Ich will Ihnen das auch an einem Beispiel zeigen. In meinem Wahlkreis in Ravensburg hat man nicht nur bei den Gesundheitsämtern die Infektionsketten verfolgt, weil man gemerkt hat, dass die Kapazitäten schnell zu Ende waren. Nein, man ist sogar zu den Ortsbehörden gegangen, weil diese mehr Akzeptanz erfahren und weil dort zusätzliches Personal vorhanden war.
Wir begreifen den Föderalismus als DNA der Bundesrepublik. Deshalb glauben wir auch, dass es nicht notwendig ist, sich in den Strafvollzug der Länder einzumischen. Auch dort haben wir die Infektionen vermieden. Das, was Sie von den Linken fordern, die Zurückstellung von Freiheitsstrafen und deren Vollstreckung im Ersatzfreiheitsstrafenbereich, macht Baden-Württemberg bereits. In der Haftanstalt in meinem Wahlkreis Ravensburg gibt es keinen einzigen Infektionsfall.
Zu guter Letzt sollten Sie uns hier nicht ein Trojanisches Pferd präsentieren, in dessen Bauch Sie die audiovisuelle Aufzeichnung der Strafverhandlung genauso transportieren wie das Verhüllungsverbot von Prozessbeteiligten, das Sie auf den Prüfstand stellen wollen, oder die Verteilung von Flüchtlingen, die Sie jetzt direkt den Kommunen zuweisen wollen, ohne die Bleibeperspektive zu überprüfen.
Schließen will ich mit einer Forderung aus dem Antrag der FDP: Die Bildung einer unabhängigen Freiheitskommission fordert sie. Meine Damen und Herren von der FDP: Das sind wir doch schon. Das sind wir: die Mitglieder des Deutschen Bundestages mit der Freiheit, die uns Artikel 38 Grundgesetz gibt, ungebunden, was Weisungen und Aufträge anbelangt, und nur dem Gesetz und unserem Gewissen unterworfen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Christian Wirth für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7444764 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 158 |
Tagesordnungspunkt | Demokratie, Bürgerrechte und Zivilgesellschaft |