Marianne SchiederSPD - Gedenkstätte für Opfer des Zweiten Weltkrieges
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag der AfD vor wenigen Tagen gelesen habe, musste ich mich erst hinsetzen und wirklich tief durchatmen. Denn es ist unglaublich, wie hier mit unserer Geschichte umgegangen wird, und unsäglich, in welch infamer Weise die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, aber auch historische Forschung benutzt, passend gemacht werden, um die eigene rechte und braune Ideologie zu stützen und zu rechtfertigen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte es einmal vortragen. Da wird davon gesprochen, dass die Bezeichnung des 8. Mai als „Tag der Befreiung“ eine „verkürzende Deutung“ sei. Es ist die Rede von einer „undifferenzierten Befreiungsrhetorik“, der jetzt – ich zitiere – „ein differenzierteres Bild entgegengesetzt werden“ müsse, „das der historischen Wahrheit näher kommt und das namentlich den deutschen Opfern des Zweiten Weltkriegs gerecht wird“.
Es seien zwar am 8. Mai – so heißt es da außerdem – das „nationalsozialistische Unrechtsregime“ beendet und „die von ihm verfolgten Ethnien, politischen Gruppen und Personen befreit worden“. Aber – so geht es dann weiter – der 8. Mai stehe „auch für die unter großen Opfern erzwungene bedingungslose Kapitulation und infolgedessen für den Verlust beträchtlicher Teile des ehemaligen Staatsgebietes“.
(Martin Rabanus [SPD]: Das ist unfassbar!)
Und es wird unterstellt, dass gezielt nicht darüber geredet werde, dass es auch nach dem 8. Mai „Vertreibung, Zwangsverschleppungen und Vergewaltigungen“ sowie Hunger und Elend gegeben hätte. Das Ganze gipfelt dann in dem Satz:
All diese nach dem 8. Mai 1945 noch ums Leben Gekommenen haben das Kriegsende nicht als Befreiung erlebt.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Und, wie zu erwarten, wird – wie es wörtlich heißt – „konstatiert“, dass es eine „weitgehende Ausschließung der deutschen Kriegsgeneration als ‚Täterʼ aus der Erinnerungsgemeinschaft“ gebe. Und auch von einer „unterschwelligen Behauptung einer Kollektivschuld der Deutschen“ ist die Rede, die, wie es weiter heißt, „in dem Schlagwort ‚Deutsche Täter sind keine Opferʼ ihre äußerste Zuspitzung findet“. Das stelle man sich einmal vor!
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Stimmt doch alles!)
Und dann stellen die sich hierhin und sagen, es sei ihnen ernst mit einer vernünftigen Bewältigung unserer Vergangenheit.
(Dr. Marc Jongen [AfD]: Was ist daran unvernünftig? – Zuruf von der CDU/CSU: Unerträglich!)
Es sei 75 Jahre nach Kriegsende an der Zeit, heißt es dann schließlich, das „stahlharte Gehäuse normierten Gedenkens“, in dem das Leiden der deutschen Kriegsgeneration kaum mehr einen Platz habe, mit einer eigenen Gedenkstätte zu durchbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schäme mich als deutsche Staatsbürgerin und ich schäme mich erst recht als Abgeordnete dieses Deutschen Bundestages zutiefst,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Aber warum denn?)
dass es heute wieder möglich ist, dass Sätze, die von einer so rechten und braunen Ideologie nur triefen
(Dr. Marc Jongen [AfD]: Wo denn?)
und die sowohl die Geschichte wie auch die gesellschaftliche Realität in ein so falsches Licht rücken,
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
in unserem Parlament gesagt werden können.
(Dr. Marc Jongen [AfD]: Nennen Sie doch die Stelle!)
Ich schäme mich, und ich schäme mich wirklich zutiefst.
(Dr. Marc Jongen [AfD]: Bringen Sie doch ein Argument!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine „undifferenzierte Befreiungsrhetorik“ in unserem Land und ebenfalls kein „stahlhartes Gehäuse normierten Gedenkens“, wo die Erinnerung und die Trauer um die deutschen Opfer keinen Platz haben.
(Zuruf des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD])
Das wissen Sie alle ganz genau. Frau Kollegin Motschmann hat darauf hingewiesen: In jedem Dorf – jedenfalls ist es in Bayern so –
steht ein Denkmal für die vermissten, für die ermordeten, für die gefallenen
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Geht keiner mehr hin!)
Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Überall finden Veranstaltungen statt, und zwar alle Jahre wieder, wo aller Opfer von Gewalt, Terror und Krieg gedacht wird.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt überall Gedenkorte, Dokumentationsstätten ganz vielfältiger Art. Sie werden getragen von wissenschaftlichen Analysen ebenso wie vom bürgerschaftlichen Engagement. Und selbstverständlich werden die deutschen Opfer nicht vergessen. Ich erinnere an die alljährlich stattfindende Gedenkstunde hier in diesem Hause anlässlich des Volkstrauertages. Auf die Rede des Herrn Bundespräsidenten in der Neuen Wache ist bereits hingewiesen worden.
(Dr. Marc Jongen [AfD]: Was ist da schlecht dran?)
Ich sage Ihnen: Anträge wie diese zeigen, dass wir nicht aufhören dürfen, uns mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen; denn die Aufarbeitung ist noch lange nicht abgeschlossen. Und die Ewiggestrigen lassen nicht locker, die Geschichte so hinzubiegen und zu frisieren, wie es ihnen gerade passt, um ihre braune Soße im Land zu verbreiten und dafür möglichst viele Anhänger zu finden.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir dürfen wirklich nie vergessen, welches Unrecht und welches Leid von Deutschland in die Welt getragen wurden und welche Gräueltaten im Namen des deutschen Volkes begangen wurden.
Zusammen mit meiner Fraktion bin ich der Meinung, dass wir einen Ort der Dokumentation, des Lernens, des Erinnerns und der Begegnung brauchen, einen Ort, an dem an die NS-Besatzungsherrschaft zwischen 1939 und 1945 und ihre Folgen für ganz Europa, aber im Besonderen für die Länder in Mittel- und Osteuropa erinnert wird und an dem die Besatzungsherrschaft und ihre Folgen aufgearbeitet werden.
Weite Teile Europas waren bei Kriegsende vollkommen verwüstet, rücksichtlos ausgeplündert und nach dem Prinzip der verbrannten Erde unbewohnbar gemacht. Die Blutspur der Nationalsozialisten hinterließ überall unvorstellbares Leid.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das bestreitet kein Mensch!)
Gerade dieser Teil unserer Geschichte ist in unserer Bevölkerung in der Breite wenig bekannt.
Ein solcher Ort sollte im Austausch mit den von der deutschen Besatzung betroffenen Nachbarn entstehen und sollte dauerhaft ein Ort des Gesprächs bleiben. Ein solcher Austausch eröffnet einen Raum für transnationale Geschichtssicht und wirkt im Übrigen gegen die um sich greifende populistische Geschichtsmanipulation, die man jetzt wieder überall antreffen kann.
(Thomas Seitz [AfD]: Sie projizieren!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam an einem solchen Konzept arbeiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Brigitte Freihold.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7446282 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Gedenkstätte für Opfer des Zweiten Weltkrieges |