01.07.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 169 / Zusatzpunkt 1

Alexander Graf LambsdorffFDP - Vereinbarte Debatte/ Deutsche EU-Ratspräsidentschaft

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An die deutsche Ratspräsidentschaft werden große Erwartungen geknüpft. Das macht sich überwiegend an der Person der Bundeskanzlerin fest, die als längstdienende Regierungschefin in der Europäischen Union viel Erfahrung hat und großes Vertrauen genießt. Aber wenn man auf ihre Minister und deren Ressorts guckt, dann sieht das ganz anders aus. In der Coronakrise hat Deutschland europapolitisch maximalen Schaden angerichtet.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Mit der Ausfuhrsperre durch Innenministerium und Gesundheitsministerium zu Anfang März, als in Italien die Menschen bereits starben und die emotionale Belastung dort enorm war, hat diese Bundesregierung den Binnenmarkt kaputtgemacht.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will es ganz deutlich sagen – Herr Maas, Sie haben das damals verteidigt –: Es war die Bundeskanzlerin, die hier im Bundestag gesagt hat, dass das ein Fehler ihrer Minister war und dass Deutschland wegen unserer integrierten Wertschöpfungsketten einen offenen Binnenmarkt braucht. Ich hoffe, dass alle Ressorts, alle Ministerien während der Präsidentschaft jetzt wirklich europäisch denken. Namens der Fraktion der Freien Demokraten wünsche ich der Bundesregierung viel Glück für eine gelungene Präsidentschaft für unser gemeinsames Europa.

(Beifall bei der FDP)

Wir stehen – die Kollegin Leikert hat es gerade gesagt – vor einem Herbst der Unternehmenspleiten und der Arbeitsplatzverluste. Wir sehen Europa auf dem Weg in eine Wirtschaftskrise und auch in eine soziale Krise. Deswegen ist aus Sicht meiner Fraktion eines klar: Diese Präsidentschaft muss eine Wirtschaftspräsidentschaft werden. Ich will in diesem Zusammenhang drei Themen ansprechen: den mehrjährigen Finanzrahmen, also die Haushaltsplanung, das Erholungsprogramm „Next Generation EU“ und den Brexit.

Wir erwarten bei der mehrjährigen Haushaltsplanung Modernität und Flexibilität. Wir erwarten – wir Freie Demokraten stehen dazu – auch einen größeren Haushalt. Modern, das heißt, es muss in Forschung investiert werden. Die transeuropäischen Netze in den Bereichen Digitalisierung, Verkehr und Energie müssen gestärkt werden gegenüber den alten Politiken von Kohäsion und Strukturverteilungsmechanismen. Wir wollen einen flexibleren Haushalt, in dem es mehr gegenseitige Deckungsfähigkeit gibt. Wir wollen einen größeren Haushalt, dessen Mittel richtig ausgegeben werden: nicht Nachfragepolitik und Strohfeuer entzünden, sondern angebotsorientiert Wettbewerbsfähigkeit steigern.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Kein Sozialstaat!)

So wird Europa aus der Krise kommen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen aus der kommenden Wirtschaftskrise herauswachsen. Das ist völlig klar.

(Beifall bei der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Alte Stiefel! – Christian Petry [SPD]: Da fehlt das Soziale komplett!)

Kommen wir zu „Next Generation EU“, dem Plan der Kommission. Er soll zielgerichtet und schnell sein. Aber ist er das wirklich? Das ist die Coronaantwort der Europäischen Kommission, aber von den 750 Milliarden Euro sind gerade einmal 9 Milliarden für den Gesundheitssektor vorgesehen. Zielgerichtet geht in meinen Augen anders. Es soll schnell gehen, heißt es, aber alles soll das reguläre Haushaltsverfahren der Europäischen Union durchlaufen. Es gibt weder eine mittelfristige Finanzplanung noch einen Haushalt für 2021. Warum spielt die Europäische Investitionsbank keine stärkere Rolle? Warum setzt man nicht stärker auf Kredite statt auf Zuschüsse? Warum holt man nicht die Bank, die schon mit dem Juncker-Fonds bewiesen hat, dass sie es kann, dazu und stärkt sie? Mehr Kredite, weniger Zuschüsse, zielgerichteter und schneller – daran werden wir diese Präsidentschaft messen.

(Beifall bei der FDP)

Die Kanzlerin hat in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ bezüglich der Brexit-Verhandlungen gesagt: Der Ball liegt in London. – Das stimmt natürlich bis zu einem gewissen Punkt. Aber mir klingt das etwas zu passiv, ehrlich gesagt. Ich erwarte schon, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, dass wir zumindest ein schlankes Rahmenabkommen vor Ende des Jahres hinbekommen. Denn eines ist klar: Dass nach dem Coronaschock jetzt noch ein ungeordneter Austritt Großbritanniens aus dem Binnenmarkt obendrauf gesetzt wird, das kann sich wirklich niemand wünschen. Deswegen erwarten wir mehr Einsatz für das Abkommen. Mehr als 30 000 deutsche Unternehmen handeln jeden Tag mit Großbritannien. Die brauchen keinen Schock. Die brauchen ein entsprechendes Rahmenabkommen. Auch daran werden wir Sie messen.

Mein letzter Punkt, der für uns Liberale besonders wichtig ist: Wir wollen, dass die Rechtsstaatlichkeit gestärkt wird. Wir wollen, dass in Ungarn, wo das Parlament fast abgeschafft wurde, dass in Polen, wo kurz vor der Präsidentschaftswahl das Wahlrecht noch hopplahopp geändert werden sollte,

(Petr Bystron [AfD]: Was?)

ein Bewusstsein dafür entsteht, dass, wer die Werte Europas mit Füßen tritt, nicht mit vollen Händen die Mittel Europas absahnen kann.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden Sie daran messen, ob es gelingen wird, eine starke Rechtsstaatskonditionalität in die Haushaltsplanungen einzubauen. Wir Liberale werden darauf sehr genau achten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7455165
Wahlperiode 19
Sitzung 169
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte/ Deutsche EU-Ratspräsidentschaft
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