Ralf KapschackSPD - Nachholfaktor im Rentenrecht
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe FDP, es tut mir leid, dass ich das so sagen muss: Euch fällt auch nichts Neues mehr ein.
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Heute musste die angeblich verletzte Generationengerechtigkeit mal wieder herhalten, um diese Debatte zu begründen. Worum geht’s? Der sogenannte Nachholfaktor soll reaktiviert werden – das ist ausführlich erklärt worden –, weil die FDP befürchtet, dass die Renten sonst zu stark steigen würden, was zulasten der jüngeren Generation ginge. Wir halten diese Argumentation für ziemlich schräg,
(Beifall bei der SPD)
und deshalb lehnen wir den Vorschlag auch ab, klipp und klar.
Wir halten an dem Rentenniveau von mindestens 48 Prozent fest; das schließt ein Wiedereinschalten des Nachholfaktors aus. Für dieses Mindestniveau haben gerade wir als SPD uns eingesetzt; seit 2018 ist es gesetzlich festgeschrieben, zumindest für die nächsten fünf Jahre. Ich sage auch ganz offen: Wenn es nach uns ginge, sollte das durchaus länger gelten.
(Beifall bei der SPD – Norbert Kleinwächter [AfD]: Das war ja klar!)
Mit Wirkung von heute steigen die Renten deutlich – ich freue mich, dass Johannes Vogel das auch begrüßt hat –; denn die Rentenanpassung folgt der Lohnentwicklung; und das ist auch gut so. Dass die Renten steigen, ist nicht nur deswegen gut, weil die Rentnerinnen und Rentner an der Wohlstandsentwicklung teilhaben sollen, sondern es ist gerade jetzt gut, weil ein Großteil der Rente in den Konsum geht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das heißt, es ist völlig falsch, auch volkswirtschaftlich, jetzt an Rentenerhöhungen herumzuschrauben; denn die Renten fließen, wie gesagt, zum größten Teil in den Konsum. Die gesetzliche Rente ist auch ein gesamtwirtschaftlicher Stabilisator.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist das!)
Herr Kapschack, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Kleinwächter?
(Ulli Nissen [SPD]: Besser nicht!)
Nein. – Wir haben in diesem Bundestag vor zwei Jahren das Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz für die Rente verabschiedet und damit den Nachholfaktor bewusst ausgesetzt, damit das gesetzliche Sicherungsniveau nicht nachträglich relativiert wird; denn das wäre die Folge, hätte man ihn in Kraft gelassen. Das hat auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun.
Und Verlässlichkeit war auch ein Hauptmotiv für die Haltelinie 48 Prozent. Denn mit sinkendem Rentenniveau muss man immer länger arbeiten, um im Alter einen Rentenanspruch zu erwerben, der oberhalb der Grundsicherung liegt. Der aktuelle Wochenbericht des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, macht das noch einmal deutlich.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hast du von mir! Das habe ich dir heute Morgen im Ausschuss gesagt!)
– Stimmt, war ein guter Tipp!
(Heiterkeit des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])
Beschäftigte mit einem durchschnittlichen Einkommen müssen inzwischen gut 27 Jahre arbeiten und Beiträge zahlen, um einen Rentenanspruch zu erwerben, der oberhalb der Grundsicherung liegt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das sind fünf Jahre länger als noch 2004. Und ein Großteil der Beschäftigten hat kein durchschnittliches Einkommen; vielmehr liegt das Einkommen deutlich darunter. Da ahnt man, was auf uns zukommt, erst recht, wenn das Rentenniveau weiter sinkt. Und wir haben gesagt: Das machen wir nicht mit.
(Beifall bei der SPD)
Es würde die Legitimation der gesetzlichen Rente infrage stellen, wenn man lange einzahlt und am Ende nur Grundsicherung erhält. Eine Antwort darauf ist auch die Grundrente,
(Beifall bei der SPD)
die wir heute im Ausschuss verabschiedet haben und morgen im Plenum beschließen werden.
(Ulli Nissen [SPD]: Freude! – Weiterer Zuruf von der SPD: Yippie!)
Generationengerechtigkeit ist auch eine Frage von Verlässlichkeit. Gerade junge Menschen müssen die Sicherheit haben, dass sie im Alter eine möglichst auskömmliche Rente erhalten, wenn sie noch lange bis zum Ruhestand arbeiten müssen.
Herr Kapschack, erlauben Sie von Herrn Vogel eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung?
Immer gerne.
(Ulli Nissen [SPD]: So unterschiedlich ist das! – Gegenruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]: Die sind auch einfacher zu beantworten!)
Lieber Kollege Ralf Kapschack, erstens – nur weil das eben so ein bisschen unklar formuliert war –: Sind Sie mit mir der Meinung, dass niemand hier die aktuellen Rentenerhöhungen kritisiert hat? Ich glaube, diesen Spin sollten wir nicht in die Debatte kommen lassen; denn das ist, glaube ich, wirklich ein Konsens in der Rentenpolitik, der wichtig ist.
Die zweite Frage, die ich habe – das interessiert mich ernsthaft –: Ich verstehe die Politik dieser Koalition mit Blick auf die Haltelinien, und ich weiß und verstehe, wie wichtig das insbesondere der SPD-Fraktion ist. Jetzt laufen wir aber möglicherweise auf ein Szenario zu – wir haben bisher nur Prognosen, aber mal unterstellt, es kommt so, und genau darum geht es ja –, wo wir über den Haltelinien, die diese Koalition postuliert hat, liegen, also über dem Rentenniveau von 48 Prozent. Und trotzdem wird der Nachholfaktor nicht angewandt. Sind Sie/bist du mit mir der Meinung, dass zumindest das auch aus Sicht der SPD-Rentenpolitik mit Blick auf Generationengerechtigkeit nicht fair sein kann?
Zur ersten Frage: Ich habe, glaube ich, deutlich gesagt, dass ich es sehr begrüßt habe, dass du, Johannes, auch die Rentenerhöhung heute begrüßt.
(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Das haben wir alle gehört!)
Das finde ich prima.
Zum zweiten Punkt: Wir haben gesagt: mindestens 48 Prozent.
(Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Ach, mindestens!)
– Mindestens. Das beantwortet die Frage.
(Beifall bei der SPD)
Verlässlichkeit und ein stabiles Rentenniveau kosten Geld; aber dieses Geld stärkt das Vertrauen in den Sozialstaat. Es ist eine notwendige Investition in den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Jetzt kommt die FDP, ruft: „Corona, Corona“, und sagt, das müsse auch Auswirkungen auf die Rentensteigerung haben. Das hat es vermutlich ja auch, weil die Renten eben den Löhnen folgen, in guten wie in schlechten Zeiten. Die Auswirkungen der Coronapandemie auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung lassen sich zurzeit allerdings noch nicht seriös abschätzen. Und wir setzen im Moment alles daran, die Konjunktur zu stärken, Arbeitsplätze zu erhalten und damit auch Löhne und Einkommen zu stabilisieren.
Dass die Rentensteigerungen im nächsten Jahr, in den nächsten Jahren vielleicht nicht ganz so stark ausfallen wie in diesem, ist nicht ganz unwahrscheinlich. Aber Rentnerinnen und Rentner mit einem solchen Vorschlag noch weiter zu verunsichern, hilft niemandem,
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
außer denen, die – wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – die gesetzliche Rente sturmreif schießen wollen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Unsoziale Marktwirtschaft“ muss die heißen! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!)
Und da treffen sie auf unseren erbitterten Widerstand.
(Beifall bei der SPD)
Die FDP bezeichnet sich ja gerne als Serviceopposition. Ich würde sagen: Beim Thema Rente ist für Ihren Service noch viel Luft nach oben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])
Danke schön, Ralf Kapschack. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Matthias W. Birkwald.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Du hast ja mehr Seiten als Minuten Redezeit!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7455214 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 169 |
Tagesordnungspunkt | Nachholfaktor im Rentenrecht |