11.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 174 / Zusatzpunkt 21

Amira Mohamed AliDIE LINKE - Aktuelle Stunde zum Fall Nawalny

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Vergiftung von Alexej Nawalny ist in der Tat ein furchtbares Verbrechen. Herr Kollege Saathoff, Sie haben es gerade schon gesagt, ich möchte es noch mal wiederholen: Es ist gut, dass es ihm inzwischen ein bisschen besser geht, dass er aus dem Koma aufgewacht ist, und auch ich wünsche ihm – ich glaube, wie jeder hier im Saal – weiter gute Genesung.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Und auch das ist jetzt mehrfach richtigerweise gesagt worden: Es ist wichtig, dieses Verbrechen lückenlos aufzuklären, und die Verantwortlichen müssen entsprechend zur Rechenschaft gezogen werden. In der Tat, es ist dringend notwendig, dass Russland hier vollständig kooperiert und bei der Aufklärung mithilft; das geht nicht anders.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es muss kooperiert werden, aber eben auch von beiden Seiten.

Stattdessen haben wir es erlebt, dass reflexartig nach neuen Sanktionen gegen Russland gerufen worden ist und – das ist auch heute hier gesagt worden – nach dem sofortigen Stopp des Baus der Pipeline Nord Stream 2. Das kommt vor allem aus Teilen der Union, von den Grünen kommt das, und die FDP hat sich ja eben auch noch einmal so geäußert.

Manuela Schwesig, SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, sagte aber zu Recht, dass dieses Verbrechen eben nicht dazu benutzt werden darf, Nord Stream 2 infrage zu stellen.

(Beifall der Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE] und Thomas Jurk [SPD] – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?)

Und auch der CDU-Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer, äußerte sich so.

(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr neuer Koalitionspartner!)

Aus wirtschaftlicher Sicht wäre der Stopp zum jetzigen Zeitpunkt – und das kann man nicht anders sagen – absoluter Wahnsinn. Die Pipeline ist zu 94 Prozent fertiggebaut. Den Bau jetzt zu stoppen, das hieße, eine 12-Milliarden-Euro-Investition in den Sand zu setzen, und es drohen außerdem Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe von Unternehmen, die an Nord Stream 2 beteiligt sind.

Und auch aus ökologischer Sicht ist der Baustopp nicht vernünftig. Denn wenn Nord Stream 2 nicht kommt, dann besteht die große Gefahr, dass wir auf Frackinggas aus den USA angewiesen sind. Aber genau das darf nicht passieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Fracking gehört zu den umweltschädlichsten Technologien überhaupt. Es werden hochgiftige Chemikalien in die Erde gepresst, Trinkwasser wird verseucht, rund um die Frackingstelle gibt es erhöhte Krebsraten und Erdbeben.

(Zuruf des Abg. Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Das ist bei Fracking nun mal so, Herr Kollege von den Grünen; das müssten Sie ja eigentlich wissen.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und Erdgasbohrungen sind supersauber!)

Aus ökologischer Sicht muss man diese Technologie also ablehnen, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Ich meine, dass ausgerechnet Sie jetzt sagen: „Wir sollten uns abhängig machen vom Frackinggas aus den USA“, das finde ich befremdlich.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir doch gar nicht!)

Zum Glück ist die Mehrheit der Bevölkerung hier klüger. Sie lehnt laut einer jüngsten Umfrage den Baustopp von Nord Stream 2 ab.

Wenn wir jetzt mal schauen, wer als Erster den Bau von Nord Stream 2 stoppen wollte – oder zumindest hat er behauptet, er wolle es –, stellen wir fest: Das war der US-Präsident Donald Trump. Donald Trump hat in der Tat kein Interesse daran, dass die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland ausgeweitet werden. Im Gegenteil: Er möchte uns zwingen, sein dreckiges Frackinggas zu kaufen.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um Nord Stream 2 zu verhindern, ist die Trump-Administration sogar bereit, das Völkerrecht zu brechen und Firmen und Kommunen hierzulande mit Sanktionen zu drohen. Die Bundesregierung hätte diese Drohung übrigens klar zurückweisen müssen.

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Hat sie doch!)

Denn natürlich dürfen wir uns nicht von Donald Trump erpressen lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wenn Donald Trump sich heute hinstellt und mit Verweis auf die Vergiftung von Herrn Nawalny den Baustopp von Nord Stream 2 fordert und öffentlich verkündet, man könne von einem solchen Staat wie Russland kein Gas beziehen, dann scheint er das wirklich wörtlich zu meinen. Denn in der Tat: Die USA beziehen kein Gas aus Russland. Sie beziehen stattdessen große Mengen Rohöl.

(Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hier wurden die Liefermengen kürzlich sogar erhöht, und es ist überhaupt nicht die Rede davon, dass diese Importe eingestellt werden sollen. Man sieht also, es geht bei dieser Forderung nicht um Menschenrechte; es geht um die wirtschaftlichen Interessen von US-Konzernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich muss sagen, ich finde es auch befremdlich, Herr Kollege Röttgen, dass Sie sich da eins zu eins die Argumente der US-Administration und der Frackingindustrie zu eigen machen.

(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Was man hier leider sieht, ist, dass in der Außenpolitik eben oft doppelte Standards gelten.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber hallo!)

Es gibt viele, aber ich möchte nur ein Beispiel nennen: Ich erinnere mich noch gut daran, als im Jahr 2018 der regierungskritische Journalist Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul auf bestialische Weise ermordet worden ist.

(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie da für Sanktionen?)

Damals hat von der Regierungsseite niemand gefordert, dass wir die wirtschaftlichen Beziehungen zu Saudi-Arabien abbrechen.

(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben es doch gefordert!)

Soviel ich weiß, beziehen wir nach wie vor unverändert Öl aus Saudi-Arabien. Damals war die Menschenrechtsfrage nicht so relevant, obwohl in diesem Fall ja auch handfeste Beweise vorgelegen haben.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir gefordert!)

Diese Doppelstandards sind durchsichtig, und sie helfen nicht weiter, insbesondere nicht bei der Aufklärung dieses wirklich furchtbaren Verbrechens.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469649
Wahlperiode 19
Sitzung 174
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum Fall Nawalny
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