11.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 174 / Zusatzpunkt 21

Daniela De RidderSPD - Aktuelle Stunde zum Fall Nawalny

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für manche ist dieses Pult hier eine Berufung; das gilt für viele von uns. Andere wiederum – das durften wir gerade erleben – nutzen dieses Pult für Märchenstunden.

(Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Amen!)

Dieses Talent als Märchenerzähler, Herr Hampel, das Sie zweifellos haben, heben Sie sich doch besser für Ihre Enkelkinder auf.

Zunächst einmal möchte ich die Gelegenheit nutzen, hier meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny schnellstmöglich wieder gesund wird. Ich wünsche ihm und seiner Familie viel Kraft für seine Genesung; er wird sie brauchen. Lassen Sie mich hinzufügen: Ich möchte auch den Ärztinnen und Ärzten in der Charité hier in Berlin danken, die sich unermüdlich um seinen Gesundungsprozess kümmern. Ihnen gebührt ebenso unser Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Noch sind in der Tat die Umstände von Nawalnys Vergiftung nicht geklärt, und leider trägt eben auch die russische Seite nichts zur Aufklärung bei, liebe Kolleginnen und Kollegen. Im Gegenteil: Der russische Außenminister Lawrow und sein Umfeld versteifen sich vielmehr darauf, zu behaupten, Ermittlungen seien nur möglich, wenn Deutschland Beweise dafür liefert – seltsam, seltsam.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Er kommt extra nach Deutschland!)

– Ja, das wird sich zeigen. Eine Zeitstunde, Herr Hampel, ist viel Zeit, um zu lügen, und viel Zeit, um die Wahrheit zu sagen. Solche propagandistischen Schachzüge kennen wir zur Genüge.

Lassen Sie mich deshalb einige Namen russischer Oppositioneller nennen, deren Schicksal mich anrührt: Sergej Skripal, Boris Nemzow, Selimchan Changoschwili, jener Georgier, der wenige Meter von hier im Tierpark exekutiert wurde. Besonders schmerzlich spreche ich aber den Namen von Anna Politkowskaja aus, die ich persönlich kennenlernen durfte und die 2006 sterben musste, weil ihre Aufklärungsarbeit über das korrupte russische Verteidigungsministerium dem Regime missfiel.

Aber lassen Sie mich heute vor allem an die 2009 ermordete Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Natalja Estemirowa erinnern. Ein Jahr nach ihrer Ermordung versprach Russlands Präsident Dimitrij Medwedew der deutschen Kanzlerin, dass die Täter verfolgt und zur Rechenschaft gezogen würden. Auch die Hintermänner sollten ermittelt werden. Bis heute – elf Jahre später – sind diese Ermittlungen keinen Schritt weitergekommen; ihr Tod ist bis heute ungesühnt. Deshalb möchte ich Sie bitten, lieber Kollege Hardt, bei Ihrer Kanzlerin nicht nur Aufklärung für das Verbrechen an Nawalny zu ersuchen, sondern eben auch für das Verbrechen an dieser verstorbenen Menschenrechtlerin.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nebelkerzen zündet das Putin-Regime nun auch in diesem Falle. Ja, gerade deshalb ist es richtig, dass der Außenminister Heiko Maas den russischen Botschafter Sergej Netschajew eingeladen hat und, Herr Hampel, keinen Zweifel daran lässt, dass die Bundesregierung derartige Verbrechen scharf verurteilt. Wir alle hier in diesem Hause sollten uns dem anschließen, auch Sie.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Götz Frömming [AfD]: Natürlich!)

An der Forderung nach rückhaltloser Aufklärung – wie von Außenminister Heiko Maas oder von NATO-Generalsekretär Stoltenberg gefordert – kann ich nichts Naives oder gar Lächerliches finden, im Gegenteil. Stellen wir doch bitte eines klar: Russland braucht keine deutsche Amtshilfe, um Ermittlungen einzuleiten. Es fehlt vielmehr der politische Wille, und das ist Fakt. Russland hat – und auch das gehört zum Faktischen – ein wirtschaftliches Problem, und das nicht erst seit der Coronakrise.

Im vergangenen Jahr hatte ich mehrfach Gelegenheit, nach Russland zu fahren, und ich hörte dort in den Workshops, an denen ich teilnahm, wie scharf die Kritik an Putin ist. Sie hat auch nicht abgenommen seit der Rentenreform 2018, die in der Tat völlig verunglückt war. Und es hat Proteste gegeben, nicht nur in Moskau und in Sankt Petersburg, sondern vor allem auch in den ländlichen Regionen. Und Nawalny war hier schon zugegen.

Ja, liebe Frau Alt, es gibt mehr, was wir tun können, als abzuwarten und Forderungen zu stellen: keine Visa auszustellen und die Bewegungsfreiheit einzuschränken, beispielsweise russische Oligarchen daran zu hindern, auf ihr in Deutschland angelegtes Vermögen zuzugreifen. Das ist ein Weg. Die Ideologisierung allerdings von Nord Stream 2 ist es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD])

Wenn wir also internationale Untersuchungen fordern, dann sollte das auch das Mindeste sein, was die russische Regierung in die Wege leitet. Folter, Mord und Totschlag an Oppositionellen – auch das sollten wir Putin unmissverständlich sagen – sind eben kein Zeichen von Stärke, sondern eines von Schwäche. Diesen Dialog gilt es weiter fortzusetzen.

Die Zustimmung für Putin sinkt, und mit Blick auf eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die das auch noch mal deutlich macht, sage ich: Wir müssen weiter den Mut haben, Wandel durch Annäherung und Wandel durch Dialog zu ermöglichen, etwa indem wir das Deutsch-Russische Jugendwerk stärken. Wer nur Härte fordert, wer den Dialog verweigert, der gibt auf.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut ja keiner!)

Wer nur Härte zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut keiner!)

hat einfach keine Fantasie für wirklich gute Lösungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU])

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Manuel Sarrazin das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469652
Wahlperiode 19
Sitzung 174
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum Fall Nawalny
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