16.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 175 / Zusatzpunkt 1

Johannes SchrapsSPD - Aktuelle Stunde - Demokratie und nationale Souveränität in Belarus

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Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie viele von uns hier im Haus und in unserem Land beobachte natürlich auch ich die Ereignisse in Belarus seit den öffentlichen Protesten infolge der gefälschten Präsidentschaftswahl mit deutlich erhöhter Aufmerksamkeit. Der Mut und die Durchhaltefähigkeit, mit denen die Protestierenden in Belarus die weiß-rot-weißen Farben durch die Straßen von Belarus tragen und für freie und faire Wahlen und für ein demokratisches Gesellschaftsmodell eintreten, sind bewundernswert.

Wenn ich noch einmal stellvertretend für viele weitere Namen die Namen Tichanowskaja, Kolesnikowa oder Alexijewitsch nenne, dann möchte ich gern hinzufügen, dass mir insbesondere die Rolle zahlreicher starker Frauen in dieser friedlichen Protestbewegung größte Bewunderung und allerhöchsten Respekt abverlangt, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich freue mich, dass das von vielen Vorrednerinnen und Vorrednern hier im Haus auch schon deutlich festgestellt wurde.

Wenn man die Bilder aus Minsk und vielen anderen Orten in Belarus sieht, dann ist es allerdings schwer zu fassen, dass ein solch offensichtlicher Wahlbetrug und vor allem eine derartige Gewalt gegen friedliche Demonstranten in unmittelbarer Nähe der Grenzen zur Europäischen Union stattfinden. Aus dem Präsidium des oppositionellen Koordinationsrates ist mittlerweile nur noch eine einzige Person, die bereits angesprochene Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, im Land und noch nicht – so muss man wohl sagen – verhaftet oder in ein Nachbarland ausgewiesen.

Das Ausmaß an Gewalt gegen friedlich protestierende Menschen auf den belarussischen Straßen übersteigt noch mal um ein Vielfaches die Repressionen, die im vergangenen Vierteljahrhundert gegenüber jenen immer wieder angewandt wurden, die auch nur die leiseste Kritik am autoritären Regime Lukaschenkos geübt haben. Denn Repressionen – das muss man noch einmal feststellen – gehören in Belarus ja nicht erst seit diesem August zur staatlichen Normalität; sie haben seit diesem August lediglich ein anderes Level erreicht.

Es ist offensichtlich – das haben auch die Bilder von vor zwei Tagen aus Sotschi gezeigt –, dass der belarussische Diktator Unterstützung aus dem Kreml bekommt, medial, diplomatisch und nicht zuletzt finanziell. Deshalb ist klar, dass es ohne die Einbeziehung von Russland nicht gehen wird.

Aber hier geht es natürlich vor allem darum, dass wir uns mit den Entwicklungen in Belarus beschäftigen und überlegen, was wir tun können. Nach meinem Dafürhalten sind derzeit zwei Dinge besonders wichtig:

Zum einen müssen wir dafür sorgen, dass die Situation in Belarus weit oben auf der politischen Agenda verbleibt. In der heutigen schnelllebigen Gesellschaft kann es ganz schnell passieren, dass andere Themen wieder in den Vordergrund treten. Deshalb ist diese Aktuelle Stunde auch ganz wichtig, da sie dazu beiträgt, dass die Situation in Belarus auf der politischen Agenda verbleibt. Auch für die Protestierenden in Belarus – die Kollegin Gyde Jensen hat es gerade angesprochen – ist es ein ganz wichtiges Signal, dass ihr Eintreten für Demokratie hier und in weiteren Parlamenten der Europäischen Union ein Thema ist und der Druck auf Lukaschenko weiter hochgehalten wird.

Zum anderen ist eine klare und abgestimmte Haltung zu den Ereignissen in Belarus notwendig. Wir müssen weiterhin deutlich machen, dass wir das Lukaschenko-Regime nicht anerkennen und dass wir insbesondere die Gewalt gegen friedliche Demonstranten nicht tolerieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der EU-Sondergipfel war in dieser Hinsicht schon ein ganz wichtiges Signal; denn die Präsidentschaftswahlen am 9. August waren weder fair noch frei. Das Ergebnis wird von der Europäischen Union eben auch nicht anerkannt; das hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gestern noch mal deutlich unterstrichen. Die EU hat auch klargemacht, dass sie Alexander Lukaschenko persönlich nicht als legitimen Präsidenten von Belarus anerkennen wird, und hat damit sowohl den Wahlprozess als auch Lukaschenko ganz konkret in Zweifel gezogen.

(Beifall des Abg. Frank Schwabe [SPD])

Sanktionen – das haben die EU-Mitgliedstaaten vereinbart – werden auf den Weg gebracht. In die gezielten Sanktionen gegen Personen, die an Menschenrechtsverletzungen in Belarus beteiligt sind, sollte nach meinem Dafürhalten – das haben auch einige Vorredner schon betont – möglichst schnell und zwingend auch Lukaschenko selbst mit einbezogen werden. Damit kann man möglicherweise eine bisher nicht vorhandene Gesprächsbereitschaft erzwingen.

Wichtig ist, dass wir europäisch koordiniert agieren und schnell eine gemeinsame europäische Strategie für die Unterstützung der belarussischen Zivilgesellschaft entwickeln; denn seit dem Wahltag – die Zahlen haben sich in den letzten Tagen sicherlich noch mal verändert – gab es mehr als 8 000 Verhaftungen. Dazu liegen den Vereinten Nationen über 450 Berichte über Folter in Polizeigewahrsam vor. Diese Opfer brauchen schnell rechtlichen Beistand, sie brauchen schnell finanzielle Unterstützung, und sie brauchen auch politische Unterstützung. Das ist eine der Aufgaben, die wir während unserer EU-Ratspräsidentschaft in der Koordination wahrnehmen müssen,

(Beifall des Abg. Frank Schwabe [SPD])

damit auch die Kernforderungen der Protestierenden in Belarus unterstützt werden: das Ende der Gewalt, die Freilassung der Gefangenen, der Rücktritt Lukaschenkos und die Durchführung freier und fairer Wahlen, möglichst unter Hinzuziehung internationaler Beobachter.

Kollege Schraps, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – In diesem Hohen Haus wird zu Recht immer wieder betont, welche historische Verantwortung wir gegenüber unseren östlichen Nachbarn haben. In diesem wichtigen Moment der belarussischen Zivilgesellschaft zur Seite zu stehen und möglichst viel dazu beizutragen, dass die Entwicklung eines souveränen, unabhängigen und demokratischen Belarus als Nachbar der Europäischen Union gefördert wird, das muss für uns in Deutschland, aber auch für die gesamte Europäische Union das Gebot der Stunde sein.

Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Elisabeth Motschmann das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7470392
Wahlperiode 19
Sitzung 175
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Demokratie und nationale Souveränität in Belarus
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