05.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 189 / Tagesordnungspunkt 17

Susanne MittagSPD - Kriminalstatistikgesetz

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als langjährige Polizeibeamtin weiß ich, wie wichtig es ist, eine Lage richtig einzuschätzen, um erfolgreich handeln zu können. Noch besser ist es, wenn es Ermittlern gelingt, im Vorfeld bereits vor die Lage zu kommen, also im besten Fall präventiv zu handeln und Verbrechen zu verhindern. Das gelingt nur, wenn ich ein detailliertes, umfassendes Bild von der Kriminalitätslage habe. Und es stimmt: Dabei reicht es nicht, nur Zugang zu Kriminalitäts- und Strafverfolgungsstatistiken zu haben. Nein, um vor die Lage zu kommen, braucht es zum Beispiel Einblicke in das sogenannte Dunkelfeld, also in Straftaten, von denen die Polizei nie oder nur erst sehr, sehr spät erfährt.

Wir brauchen die Stimmen der Opfer, die sich vielleicht gescheut oder geschämt haben, Fälle zur Anzeige zu bringen, oder die dachten: Ach, das bringt ja doch nichts! – Außerdem müssen wir in der Lage sein, Kriminalitätstrends und neue Entwicklungen auszumachen. Dazu bedarf es wissenschaftlicher Analysen der Kriminalitätsdaten und auch deren Fortschreibung, sodass man erkennen kann, welche Vergehen und Verbrechen verstärkt begangen werden, bei welchen und warum sich ein abnehmender Trend verzeichnen lässt und welche Auswirkungen gesellschaftlich neue Straftaten haben. Nur ein solch umfassender Blick auf die Kriminalitätslage ermöglicht uns eine zeitgemäße und wirksame Bekämpfung von Straftaten und damit auch eine sichere Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD)

So weit stimmen wir mit dem Antrag der Grünen überein; aber trotzdem werden wir ihm nicht zustimmen.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja so ein Mist!)

Da stellt sich natürlich die Frage: Und warum nicht? Weil wir keinen Gesetzentwurf brauchen, der etwas fordert, was wir ohnehin schon tun.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Argument?)

Wir verwirklichen das, was schon im Koalitionsvertrag steht, und was Sie auch in Ihrem Gesetzentwurf fordern.

Zunächst einmal beginnt genau in diesen Tagen, Anfang November, eine groß angelegte Dunkelfeldstudie des Bundeskriminalamts. Dafür werden über 120 000 Menschen angeschrieben, die in Deutschland gemeldet sind. Damit handelt es sich um die größte Dunkelfeldstudie, die es jemals in Deutschland gab. Also, wer angeschrieben wird: Bitte antworten, es ist ganz wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Ziel ist, genau die Bereiche auszuleuchten, in denen Vergehen und Verbrechen häufig geschehen, ohne zur Anzeige zu kommen: Raub, Körperverletzung, Wohnungseinbrüche, aber auch Gewalt in der Partnerschaft, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, um nur einige zu nennen. Die Reihe kann man endlos fortsetzen.

Erste Ergebnisse dieser Dunkelfeldstudie werden auch in den neuen Periodischen Sicherheitsbericht Eingang finden. Und damit kommen wir zum Kern Ihres Entwurfs und unseres Handelns, dem Periodischen Sicherheitsbericht. Dessen erster Entwurf wird gerade unter Federführung des Bundesjustizministeriums und des Bundesinnenministeriums erarbeitet und soll den Ministerien zum Jahresende vorliegen, uns dann hoffentlich frühzeitig vor der Sommerpause. Und er unterscheidet sich von einer bloßen Kriminalitätsstatistik genau durch die Dinge, die auch Sie angesprochen haben, nämlich durch einen breiten analytischen Blick auf die Kriminalitätslage im Land, der uns längerfristig geplantes und vorausschauendes Handeln ermöglicht.

Neben der allgemeinen Kriminalitätsentwicklung wird der Bericht besonders auf aktuelle Themen wie zum Beispiel Gewaltkriminalität, Cyberphänomene und rechts motivierte Kriminalität eingehen. Damit die Analyse möglichst umfassend und fundiert ist, beteiligen sich an diesem Bericht unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Statistische Bundesamt und das Amt für Sicherheit in der Informationstechnik, also das BSI. Damit gehen wir übrigens über Ihre Forderungen hinaus.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht!)

So wird aus dem Bericht nicht nur eine hilfreiche Quelle für die repressive und präventive Kriminalitätsbekämpfung; der Periodische Sicherheitsbericht wird auch für uns Politikerinnen und Politiker ein beratendes Instrument sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sehen also: Was Sie fordern, tun wir bereits. Wir haben mit unserem Koalitionspartner darüber hinaus vereinbart, einen solchen Bericht alle zwei Jahre zu verfassen,

(Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

auch deshalb, weil sich die Kriminalitätsentwicklung beschleunigt hat und wir schneller Trends erkennen müssen, um erfolgreich gegenzusteuern. Der zweijährige Turnus passt insofern auch gut, weil das BKA beschlossen hat, seine Hell- und Dunkelfeldforschung alle zwei Jahre durchzuführen.

Noch ein abschließendes Wort zum Antrag der AfD. Ich finde es langsam wirklich ermüdend, dass Sie jedes, aber auch jedes Thema, das man konstruktiv besprechen könnte, instrumentalisieren, um es gegen Geflüchtete und Menschen nichtdeutscher Herkunft zu wenden. Ich möchte inhaltlich gar nicht weiter darauf eingehen. Nur so viel: Wenn es Ihnen wirklich um Fakten und nicht um Stimmungsmache gehen würde, hätten Sie sich längst mit einem Blick in das Lagebild des BKA schlaumachen können; es gibt nämlich ein aktuelles von Mitte September zu „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“. Wir können nur froh sein, dass dieses Lagebild nicht so tendenziös ist wie Ihr überflüssiger Antrag.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Susanne Mittag. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Benjamin Strasser.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7481870
Wahlperiode 19
Sitzung 189
Tagesordnungspunkt Kriminalstatistikgesetz
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