05.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 189 / Tagesordnungspunkt 19

Nicole GohlkeDIE LINKE - Soziale Lage von Studierenden

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss als Erstes sagen: Ich bin ein bisschen irritiert, dass die Ministerin genau jetzt geht. Ich finde, das Thema könnte sie interessieren. Ich finde, ehrlich gesagt, das ist eine unmögliche Geste. – Das musste ich jetzt einfach loswerden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passt ins Bild!)

Ich fange noch einmal an. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der zweite Lockdown, seit Beginn dieser Woche, fällt wie schon der Lockdown im Frühjahr fast genau auf den Semesterstart an den Hochschulen. Das Wintersemester hat gerade vor drei Tagen begonnen.

Das heißt, für die Studierenden wird das wieder ein Digitalsemester: vor dem PC zu Hause anstatt mit Vorlesungen im Hörsaal. Viele werden wieder ihre Nebenjobs in Cafés oder bei Veranstaltungen verlieren und geraten damit, wie schon im Frühjahr, wieder in finanzielle Schwierigkeiten. Das sind teilweise recht düstere Aussichten. Aber überraschend kommt das alles nicht; denn dass uns eine zweite Pandemiewelle ziemlich genau zu Beginn des Winters erwischen könnte, das war ja wirklich seit dem Frühjahr klar.

Trotzdem stehen wir jetzt, im November, quasi vor derselben Situation wie im Frühjahr. Wie im März wissen wieder viele Studierende nicht, wie sie die Miete oder den Internetanschluss bezahlen sollen, sparen vielleicht am Essen und haben am Ende sogar Angst, ihr Studium vielleicht abbrechen zu müssen. Und wie im März lassen diese Ministerin, die jetzt leider gerade den Platz verlassen hat, und diese Regierung die jungen Menschen mit ihren Sorgen und Nöten alleine. Ich finde, das ist unglaublich, das ist Arbeitsverweigerung, und das ist ausgesprochen empathielos.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wie schon im Frühjahr kommt die Große Koalition auch jetzt wieder mit Lösungen daher, die einfach keine sind; zum Beispiel die Bildungskredite, die die Studierenden einfach nur in die Verschuldung treiben, oder die sogenannten Überbrückungshilfen, die vorne und hinten nicht zum Leben reichen und die am Ende nicht mal diejenigen, die sie wirklich brauchen, erreichen. Mehr als ein Drittel der Anträge ist abgelehnt worden. Der Grund für die Ablehnungen war nicht etwa, dass die Studierenden nicht bedürftig gewesen wären, sondern der Grund lag in über der Hälfte der Ablehnungen darin, dass die Notlage der Studierenden schon vor der Pandemie bestanden hat. So lautete die Begründung. Das heißt im Klartext also: Wenn man schon länger und schon vor der Pandemie existenzielle Nöte hatte, dann kann das ruhig so bleiben. – Ja, wie zynisch ist das denn, Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, das ist keine Hilfe mehr, sondern das ist, ehrlich gesagt, unterlassene Hilfeleistung.

(Beifall bei der LINKEN)

Und dann kommt noch dazu, dass Sie das BAföG in den letzten Jahren so richtig heruntergewirtschaftet haben. Gerade mal 11 Prozent der Studierenden bekommen noch BAföG, obwohl ja die Große Koalition groß getönt hat, jetzt die Mittelschicht mal so richtig erreichen und entlasten zu wollen. Das ist doch wirklich nur noch ein schlechter Scherz. Man muss ganz klar sagen: Wegen Ihrer Politik haben wir es auch an den Hochschulen mit einer massiven sozialen Spaltung zu tun. Ein Teil der Studierenden lebt schon seit Jahren in sogenannter struktureller Armut. 28 Prozent der Studierenden leben von weniger als 700 Euro im Monat, 14 Prozent von weniger als 600 Euro. Ich finde, das sind alarmierende Zahlen, insbesondere weil die Mieten beständig weiter steigen. Und nichts, wirklich nichts hat diese Bundesregierung dagegen gemacht. Ich finde, das ist ein Versagen sondergleichen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine anständige Bildungspolitik wäre, dafür zu sorgen, dass die soziale Herkunft nicht immer weiter vererbt wird.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das stimmt doch gar nicht!)

Darum muss es doch heutzutage gehen. Wir müssen die Hochschulen für diejenigen öffnen, die bisher keinen oder nur schweren Zugang dazu haben, und dafür sorgen, dass eine Pandemie nicht dazu führt, dass genau diejenigen die Hochschulen wieder verlassen müssen. Das wäre eigentlich Ihre Aufgabe!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke beantragt heute eine krisensichere soziale Unterstützung für Studierende. Es braucht öffentlich finanzierte Wohnheimplätze, damit die Studierenden nicht in einen Verdrängungswettbewerb mit anderen geraten, die auch über nur wenig Einkommen verfügen.

(Stephan Brandner [AfD]: Beispiele?)

Und machen Sie sich endlich daran, das BAföG zu reformieren. Es muss die echten Kosten für Miete, für Krankenversicherung und für Essen decken und nicht die vom Ministerium imaginierten Kosten, die nichts mit der Realität zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und die Freibeträge vom Einkommen der Eltern müssen so spürbar angehoben werden, dass die Mittelschicht tatsächlich mal erreicht wird. Es droht sonst eine verlorene Generation von Studierenden zu entstehen, die Sie zu verantworten haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Dr. Stefan Kaufmann ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7481888
Wahlperiode 19
Sitzung 189
Tagesordnungspunkt Soziale Lage von Studierenden
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