Alexander UlrichDIE LINKE - Automobilindustrie
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute Morgen über die Automobilindustrie reden. 800 000 Arbeitsplätze direkt und 2 Millionen Arbeitsplätze indirekt – das macht deutlich: Sie ist ein wesentlicher Faktor für gute Arbeitsplätze, Tarifbindung und Wohlstand in diesem Land. Die Situation der Automobilindustrie muss uns Sorgen machen. Deshalb ist die Debatte heute mehr als notwendig.
Nicht notwendig ist, dass man sich mit dem Inhalt des FDP-Antrags befasst.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Falko Mohrs [SPD])
Denn es sind mal wieder Forderungen enthalten, die der Industrie nicht helfen. Es ist ein Ich-wünsch-mir-was der üblichen Forderungen: Begrenzung der Lohnnebenkosten, Steuersenkung für Unternehmen usw. Das hilft keinem einzigen Arbeitsplatz und wird auch die Zukunft der Automobilindustrie in Deutschland nicht sichern.
(Beifall bei der LINKEN)
Die FDP muss sich Gedanken darüber machen, was sie eigentlich will. Denn sie hat einerseits Angst um die Jobs in der Automobilindustrie – das geht aus dem Antrag hervor –, lehnt andererseits aber Konjunkturpakete ab und kritisiert, dass die Dauer des Bezugs von Kurzarbeitergeld verlängert worden ist. Wenn es nach der FDP ginge, wären Zehntausende Arbeitsplätze in der Automobilindustrie schon futsch. Man muss an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck bringen: Die FDP ist der schlechteste Ratgeber, wenn es um die Jobs in der Automobilindustrie geht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dass sich die FDP nun auch zu den klimapolitischen Geisterfahrern in diesem Haus gesellt, hat der heutige Tag gezeigt. Ich frage mich, Herr Theurer: Hören Sie eigentlich im Wirtschaftsausschuss nicht zu, kriegen Sie die Informationen nicht mit? Nicht nur die IG Metall, sondern auch der VDA haben klipp und klar gesagt: Wir bekennen uns zum Pariser Klimaschutzabkommen. – Wir dürfen Beschäftigung und Klimaschutz nicht gegeneinander ausspielen. Alle politischen Ratgeber und alle politischen Entscheider wären gut beraten, die Chancen eines sozialökologischen Umbaus in der Automobilindustrie zu erkennen. So könnten auch Jobs entstehen, von denen wir heute vielleicht noch gar nicht wissen, dass es sie gibt.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Ulrich, der Kollege Theurer würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Darf er gern.
(Falko Mohrs [SPD]: Er informiert sich jetzt über den Ausschuss!)
Herr Kollege Ulrich, die Präsidentin des VDA hat in der Sitzung am Mittwoch darauf hingewiesen, dass bei 75 Prozent der Fahrzeuge Verbrennungsmotoren bleiben, trotz der Elektrifizierungsstrategie, die die Bundesregierung verfolgt. Darüber hinaus sind 1 Milliarde Fahrzeuge derzeit Verbrenner. Vor diesem Hintergrund hat die Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie darauf hingewiesen: Um diese Fahrzeuge klimaneutral zu machen, sind synthetische Kraftstoffe aus Wasserstoff notwendig. Deshalb frage ich Sie: Hören Sie im Wirtschaftsausschuss nicht zu?
Herr Theurer, Ihre Nachfrage ist spaßig; denn Sie machen den gleichen Fehler wie schon seit Jahren. Die Debatte über Alternativen zur Elektromobilität wird von Ihnen und anderen leider genutzt, um die Notwendigkeit des Ausbaus der Elektromobilität auszubremsen.
(Michael Theurer [FDP]: Nein, das habe ich nicht gesagt! Das stimmt nicht! – Oliver Luksic [FDP]: Selektive Wahrnehmung!)
Die VDA-Präsidentin hat auch gesagt: Wir brauchen Alternativen wie Wasserstoff, zum Beispiel für Lkws und auch im Schiffsverkehr. Aber es nutzt nichts, wieder die Bremse bei batterieangetriebenen Fahrzeugen anzuziehen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist dringend notwendig, dass der Ausbau beschleunigt wird. Und ich sage in Richtung Bundesregierung: Das geht nicht, wenn die Infrastruktur nicht endlich schneller aufgebaut wird. Wir brauchen eine Infrastruktur mit Ladesäulen, und natürlich müssen wir auch den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen; denn die Energie, die wir für Elektromobilität brauchen, muss erneuerbar sein.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Theurer, vielleicht kommen Sie mal wieder im Ausschuss vorbei. Da kriegt man vielleicht mehr mit, als wenn man nur an der einen oder anderen Stelle etwas hört; vielleicht sind Ihre Stichwortgeber auch nicht so gut beim Zuhören.
(Michael Theurer [FDP]: Ich war zugeschaltet, Herr Kollege! Ich war dabei! Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der FDP)
Ich sage noch mal: Wir haben ein großes Problem in der Zulieferindustrie, Herr Altmaier. Die Hersteller verfügen teilweise noch über sehr viel Geld – das sehen wir an den Bonizahlungen, das sehen wir auch an den Dividendenauszahlungen; große Hersteller haben schon angekündigt, dass man trotz Corona und Kurzarbeit in diesem Jahr die gleichen Gewinnerwartungen hat wie im letzten Jahr –, große Probleme hingegen hat die Zulieferindustrie, weil dort die Margen niedriger sind, weil sie nicht die finanzielle Eigensubstanz hat, um zum einen Corona zu überwinden und um zum anderen in die Zukunft zu investieren.
Die IG Metall hat mit dem Transformationsfonds einen richtig guten Vorschlag gemacht, Herr Altmaier, um die finanziellen Möglichkeiten der Zulieferindustrie zu stärken. Nur läuft die Zeit manchem Zulieferer langsam davon. Ich erwarte von Ihnen und auch von der gesamten Bundesregierung, dass man sich den Vorschlag der IG Metall zu eigen macht
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
und dass wir nicht noch ein Jahr darüber diskutieren, wie so was umgesetzt werden kann. Wir brauchen jetzt Entscheidungen. Beim nächsten Automobilgipfel muss dieser Transformationsfonds auf die Schiene gebracht werden – im wahrsten Sinne des Wortes –, damit die Unternehmen der Zulieferindustrie eine Perspektive haben; denn viele von ihnen sind tatsächlich insolvenzgefährdet. Es würde Tausende Jobs in diesem Land kosten, wenn die Bundesregierung weiterhin nur zuguckt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich komme zu einer zweiten Forderung, die die IG Metall aufgestellt hat und derzeit Gegenstand der öffentlichen Debatte ist; darüber ist heute noch nicht geredet worden. Möglicherweise werden wir nicht alle Arbeitsplätze erhalten können; denn wenn es nicht mehr so viele Autos mit Verbrennungsmotor gibt, dann braucht man auch keine Auspuffhersteller mehr, dann braucht man auch nicht mehr den Ölfilterhersteller oder andere Hersteller in diesem Bereich. Aber es nutzt auch nichts, für den Heizer auf der E-Lok zu kämpfen. Vielmehr wird es neue Arbeitsplätze geben.
(Beifall des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE])
Deshalb brauchen wir eine Qualifizierungsoffensive für die Beschäftigten, bei der auch die Bundesagentur für Arbeit mithelfen muss.
Wir müssen auch drüber nachdenken, ob Arbeitszeit vielleicht umverteilt werden kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn schon vor Jahrzehnten VW gezeigt hat, dass man bei weniger Auftragsvolumen Arbeitsplätze mit der Viertagewoche retten kann, dann kann das auch eine Maßnahme sein, um in Zukunft die Facharbeiter in diesem Industriezweig zu halten.
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: 28,8 Stunden!)
Deshalb ist die Forderung der IG Metall mehr als berechtigt, und wir sollten darüber nachdenken, Jobs über Arbeitszeitverkürzungen zu sichern.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir unterstützen die IG Metall, wenn sie das tarifpolitisch auf die Schiene bringt. Aber es könnte auch politisch flankiert werden durch die eine oder andere Maßnahme; denn auch Kurzarbeit ist nichts anderes als eine Arbeitszeitverkürzung. Ohne Kurzarbeit hätten wir in ganz Deutschland, über den Industriezweig hinaus, schon viele Arbeitslose mehr.
Herr Kollege Ulrich, der Kollege Spaniel würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Da er nachher noch redet, muss er mir jetzt keine Frage stellen. Er kann ja nachher auf mich eingehen, dann hat er vielleicht auch eine vernünftige Argumentationsgrundlage.
Sie wollen also keine Frage zulassen.
Nein.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Na klar!)
Natürlich müssen wir dafür sorgen – damit komme ich langsam zum Schluss –, dass die Arbeitsplätze der Zukunft auch in Deutschland entstehen. Die Batteriezelle hat ein Vorredner schon angesprochen. Herr Altmaier, Sie waren im Januar in meinem Wahlkreis in Kaiserslautern und haben feierlich mit PSA und Opel die hoffentlich anstehende Ansiedlung eines Batteriezellenwerks in Kaiserslautern gefeiert. Ich sage Ihnen aber – das zeigt, dass wir einen aktiven Staat brauchen –: Diese Transformation in der Automobilindustrie wird der Markt nicht alleine regeln. Wir brauchen einen aktiven Staat, der mithilft. Die Batteriezelle in Kaiserslautern ist ein Beispiel dafür: Hier werden einige Hundert Millionen Euro investiert. Herr Altmaier, wenn der Staat sich beteiligt, dann ist das Mindeste, was man erwarten kann, dass diese Unternehmen mitbestimmt sind und dass eine Tarifbindung hergestellt wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen.
Wir haben gut bezahlte Jobs in der Automobilindustrie, und die sollen auch in Zukunft gut bezahlt sein; darüber müssen wir uns politisch auseinandersetzen. Deshalb: Machen Sie was! Infrastruktur, Investitionen, Qualifizierung, Tarifbindung und Mitbestimmung – das ist die Zukunft. Dann haben wir auch keine Angst vor der Frage, ob die Automobilindustrie in Deutschland auch noch in ein paar Jahren sehr gut aufgestellt ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Nächster Redner ist der Kollege Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7481984 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Automobilindustrie |