Bernhard DaldrupSPD - Gewerbemieten in der Corona-Krise
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich persönlich finde es sehr gut, dass es neben den Maßnahmen der Bundesregierung und somit der Koalition auch eine Reihe von Anträgen der Opposition gibt – heute fünf ganz unterschiedliche an der Zahl, die sich mit der Situation von Handel und Innenstädten befassen, auch mit den Gewerbemieten. Es war meines Erachtens jedenfalls richtig, dass die Bundesregierung mit dem Kündigungsmoratorium bei Mietausfall auch auf die Gewerbemieten reagiert hat. Dieses Moratorium war leider befristet und ist zum 1. Juli dieses Jahres ausgelaufen. Ich persönlich bedauere das; ich komme gleich noch mal darauf zurück.
Dessen ungeachtet hat die Bundesregierung allerdings mit sehr vielen Maßnahmen den Gewerbetreibenden geholfen, und zwar in einem Umfang wie kaum in einem anderen Land. Ich will hier nur stichwortartig die Soforthilfe nennen und die Überbrückungshilfen I und II – die Fortschreibung ist in Arbeit –, die sogenannte Novemberhilfe usw. usf. Die am 28. Oktober 2020 beschlossenen Maßnahmen betreffen Gewerbetreibende, Gastronomiebetriebe, Einrichtungen der Freizeitgestaltung, Dienstleistungsbetriebe ganz unterschiedlicher Art, wobei Soloselbstständige bis zu einem Verlust von 5 000 Euro direkt antragsberechtigt sind.
Ich habe heute das Protokoll von #AlarmstufeRot, dem Zusammenschluss ganz vieler Kulturschaffender und Institutionen, bekommen, die ausdrücklich anerkennen, dass die Politik sie eben nicht alleine lässt. Sie haben ganz konkrete Forderungen und Verbesserungsvorschläge. Und ich sage ganz offen: Ich erwarte auch, dass die Bereitschaft des Bundesfinanzministers, in erheblichem Maße Hilfen zur Verfügung zu stellen, vom zuständigen BMWi so administriert wird, dass die Mittel zielgerichtet ankommen und auch tatsächlich abgerufen werden können und nicht im administrativen Dickicht des BMWi versinken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir müssen jetzt die Frage beantworten, was denn eigentlich zu tun ist, wenn die Pandemie längerfristig anhält; das ist eben schon einmal angesprochen worden. Es ist sinnvoll, glaube ich, wenn wir dann auch über ein erneutes Kündigungsmoratorium bei Covid-19-bedingtem Zahlungsverzug sprechen – das ist schon richtig – und auch über die Vorschläge, das Mietrecht so zu konkretisieren, dass Betriebsschließungen und Nutzungsbeschränkungen aufgrund von Corona eine schwerwiegende Veränderung in der Vertragsgrundlage bilden. Ich glaube, lieber Kollege Müller, neue Situationen verlangen neue Antworten und nicht nur den Hinweis auf alte Lösungen, die dann nicht greifen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß aus meiner Zeit als Stadtentwickler und Wirtschaftsförderer sehr lange schon, dass die wirklichen Probleme der Innenstädte Kernprobleme sind, die durch die Coronakrise allenfalls beschleunigt wurden, aber schon vorher vorhanden waren. Dabei bilden die Gewerbemieten ein Kernproblem. Es geht um Banalisierung und um Filialisierung der Innenstädte; es geht um Verdrängung des ortsspezifischen Einzelhandels, um Leerstandsproblematik und vieles andere mehr.
Ich spreche hier nicht in erster Linie von einzelnen Grundstückseigentümern, die sich nicht an Maßnahmen halten, sondern vielmehr von immer dominanter werdenden Immobilienfonds, die zur Lösung des Problems beitragen müssten, anstatt selber den Kernbestandteil des Problems auszumachen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Statt Erwartungen von 30 Prozent oder mehr Rendite zu pflegen, sollten sie jetzt handeln. Man muss die „WirtschaftsWoche“ schon richtig lesen, Herr Hemmelgarn, wenn man wissen will, worum es eigentlich geht.
In dem anregenden Antrag, den die Grünen gestellt haben, wird die Forderung nach einem Krisengipfel gestellt. Mir wäre viel wohler dabei, wenn wir die Forderung nach einem Zukunftsgipfel stellen würden,
(Beifall bei der SPD)
der eine Antwort auf die Frage geben könnte: Wie sieht eigentlich die Stadt der Zukunft aus? Ist das noch die durchmischte europäische Stadt, die wir in der erweiterten Leipzig-Charta beschreiben, oder ist es nur noch – ich zitiere jetzt mal – „eine Ansammlung von IP-Adressen“, wie es beispielsweise im Marketing von Google heißt? Das kann ja wohl so nicht sein, und darauf werden wir Antworten finden müssen.
Ja, wir brauchen aktuelle Hilfsangebote. Aber vor allem brauchen wir Konzepte, wie unsere Städte auf der einen Seite zu höherer Resilienz kommen können, also gegen Pandemie stabil werden, gegen Klimawandel, gegen digitale Verletzlichkeit, und wie sie auf der anderen Seite zur Bewältigung der Transformation in eine digitalisierte Zukunft in die Lage versetzt werden. Die Stadt als eine zutiefst soziale Veranstaltung zu organisieren und die Innenstadt nicht als Renditeprojekt zu verstehen, das ist eigentlich die Aufgabe, die wir haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will auf andere Anträge aus Zeitgründen nicht eingehen. Ich will aber noch einen Unterschied deutlich machen. Ich glaube, wir brauchen nicht eine Maßnahme nach der anderen in einem Katalog, wie die Grünen ihn auflisten, sondern wir brauchen etwas, das kommunale Selbstverwaltung, verstanden als die Freiheit, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaften regeln zu können, unterstützt.
(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])
Und dazu braucht man nicht Projekt um Projekt, sondern dazu braucht man einen kommunalen Solidarpakt, wie wir ihn bereits haben, mit der Übernahme von Gewerbesteuerausfällen, mit der Entlastung von Sozialausgaben und anderem mehr. Das ist, glaube ich, eine entscheidende Geschichte.
Wir machen schon jetzt sehr viel, die Städtebauförderung, „Smart City“ beispielsweise und viele andere Maßnahmen. Ich glaube, der Beirat Innenstadt und auch der runde Tisch, den es in der Sache gibt, das sind alles Maßnahmen, die sehr konstruktiv das aufgreifen, was hier gefordert worden ist und was wir tatsächlich nutzen müssen, um eine gute Zukunft für die Städte auch in der Coronakrise und auch für die Gewerbetreibenden hinzubekommen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Daldrup. – Ich sehe, auch Sie sind von sich so ergriffen, dass Sie die Maske vergessen haben. – Also, „Tragen“ meint nicht das Mit-sich-Herumtragen, sondern das Aufsetzen oder Umbinden.
(Heiterkeit – Bernhard Daldrup [SPD]: Entschuldigung!)
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in allem Ernst: Das wird alles gesehen, das wird alles notiert. Es macht auch keinen Spaß, von hier oben regelmäßig zu sehen, dass Leute, wenn sie telefonieren gehen, wenn sie wieder reinkommen, die Maske nicht aufsetzen. Wenn wir das ernst meinen, dann sollten wir uns auch vorbildlich an die eigenen Regeln halten. Das ist ja keine Empfehlung, sondern eine Anordnung.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Als nächste Rednerin spricht zu uns die Kollegin Katharina Willkomm, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7482023 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Gewerbemieten in der Corona-Krise |