Karl-Heinz BrunnerSPD - Vertrag über den Offenen Himmel
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Das mit dem Umgruppieren und dem Reagieren auf den Aufruf als Redner ganz am Anfang einer Debatte funktioniert am Ende dieser Sitzungswoche wohl etwas langsamer, insbesondere deshalb, weil wir wahrscheinlich alle miteinander, die wir heute da sind, viele Nächte schon damit zugebracht haben – nicht wir in Deutschland allein, sondern Menschen auf der ganzen Welt –, das Ergebnis der Wahl des amerikanischen Präsidenten zu erfahren, damit wir wissen, wie es sicherheitspolitisch und außenpolitisch in den nächsten Jahren vorangeht.
Ich wollte beginnen mit den Worten: Die Uhr läuft. Die Uhr läuft zum einen für die Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Uhr läuft zum anderen – sie ist fast abgelaufen – für den Vertrag über den Offenen Himmel, einen Vertrag, in dem sich 34 Nationen aus Europa und Nordamerika verbunden und verpflichtet haben, gemeinsam Verifikation zu betreiben, gemeinsam über das Vertragsgebiet zu fliegen und gemeinsam militärische Aktivitäten zu beobachten. Man könnte sagen: Das ist ein einfaches Vertragswerk; das macht man ganz einfach. – Aber es war damals und ist auch heute etwas ganz Besonderes, einen Vertrag zu haben, in dessen Rahmen sich Partner, die nicht immer Freunde und zum Teil auch keine Bündnispartner sind, gemeinsam für Sicherheit, Abrüstung und Verifikation einsetzen. Es ist nicht selbstverständlich, werte Kolleginnen und Kollegen, dass Soldatinnen und Soldaten aus unterschiedlichen Armeen, mit unterschiedlichen historischen Hintergründen und mit unterschiedlichen militärischen Interessen gemeinsam in einem Flugzeug sitzen, gemeinsam das Vertragsgebiet überfliegen und gemeinsam Ergebnisse austauschen und verifizieren.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Andreas Nick [CDU/CSU])
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Besonderheiten dieses Vertrages sind genau das Zusammenwirken der Soldatinnen und Soldaten in den Flugzeugen, der gemeinsame Austausch und die Vertrauensbildung, die dort stattfindet. Ich will in Abwandlung der Worte eines Bundestagspräsidenten, soweit mir das gestattet ist, sagen: Menschen, die das gleiche Geld haben, schießen nicht aufeinander. Menschen, die miteinander in einem Flugzeug die gleiche Arbeit verrichten und sich kennen, werden auch nicht aufeinander schießen. – Das ist der große Erfolg des Vertrags über den Offenen Himmel: die Unberechenbarkeit, die Kriegsgefahr und die Gegnerschaft zu überwinden und in Berechenbarkeit münden zu lassen. Eine großartige Idee, die uns allen in Europa über viele Jahre Frieden und Sicherheit beschert und vor allen Dingen die Tür für Rüstungskontrollverträge geöffnet hat!
Vor diesem Hintergrund haben wir in Deutschland und in Europa mit besonderer Sorge, ja mit Erschrecken zur Kenntnis genommen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika unter Präsident Trump den Verstoß der Russischen Föderation gegen den Vertrag über den Offenen Himmel – ich sage das ganz bewusst – dazu genutzt haben, aus diesem Vertrag auszusteigen. Die Russen haben zwar den Vertrag verletzt, sind aber noch Vertragspartner. Solange ich einen Vertragspartner habe, kann ich auf ihn einwirken, kann ich ihn auf seine vertraglichen Pflichten hinweisen, kann ich ihn zur Einhaltung seiner vertraglichen Pflichten anhalten und den Gesprächsfaden weiterspinnen, was bei einer Kündigung nicht der Fall ist.
Der 22. November des Jahres 2020, an dem die Kündigung und der Austritt der Vereinigen Staaten von Amerika aus dem Vertrag über den Offenen Himmel zum Tragen kommen, ist ein wichtiges Datum. Ich bin der Auffassung, dass es kaum noch ein Zurück gibt, wenn das zum Tragen kommt; denn Verifikation ohne die Vereinigten Staaten von Amerika als den größten transatlantischen Partner wird schwer möglich sein. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung hat auf einmalige Art und Weise ein gemeinsames Schreiben aller Fraktionen an den Kongress und an den Auswärtigen Ausschuss in den Vereinigten Staaten geschickt mit der dringenden Bitte, die Entscheidung parlamentarisch zu überdenken.
Wir hier im Deutschen Bundestag haben ebenfalls parlamentarische Entscheidungen zu treffen.
Erstens. Wir sollten versuchen, die Vereinigten Staaten von Amerika vom Verbleib zu überzeugen und geeignete Angebote machen, die auch Amerika etwas bringen. Es geht nicht darum, dass man gegebenenfalls über Satelliten bessere Bilder haben kann. Aber es gibt nichts Besseres als den Austausch der Soldatinnen und Soldaten im gleichen Flugzeug und an den gleichen Geräten.
Zweitens. Wir müssen die Russische Föderation davon überzeugen, dass Open Skies in jedem Fall Sicherheit und Stabilität in Europa bringt, und zwar allein durch das Zusammenwirken.
Drittens. Wenn wir die Vereinigten Staaten von Amerika nicht halten können, müssen wir dafür werben, dass dann wenigstens weitere Staaten mitarbeiten. Ich denke dabei auch an China. Gemäß unserem gemeinsamen Koalitionsantrag ist es notwendig, China das Angebot zu machen, in dieses Vertragswerk einzusteigen. Wir Deutsche sind Exportweltmeister. Das könnten die Chinesen durch diesen wunderbaren Vertag – zusammen mit uns – ebenfalls sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die friedenssichernde Idee von Open Skies sollte bestehen bleiben, sollte über Europa hinausgehen und sollte vor allen Dingen eine Selbstverständlichkeit in NATO-Kanälen, in Sicherheitskanälen und in allen Gesprächen sein. Da auf das Schreiben des Unterausschusses Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung hin der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in den USA, der Abgeordnete Eliot Engel, betont hat, dass in den USA nach wie vor viel Unterstützung für diesen Vertrag bei den Parlamentarierinnen und Parlamentariern vorhanden ist und überhaupt gemeinsame Anstrengungen für Frieden und Sicherheit im Mittelpunkt stehen, denke ich, dass diese Unterstützung nach Kräften gefördert werden muss. Es wird aber nicht so gut funktionieren, wenn wir den Amerikanern – quasi wie aus allen Trompeten – den Marsch blasen und sagen, was sie falsch machen. Vielmehr sollten wir sie inständig dazu bewegen, wieder zum Vertragswerk zurückzukehren.
All dies berücksichtigt der Antrag der Koalitionsfraktionen und geht damit über die Anträge der Opposition weit hinaus. – Ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende geht, Herr Präsident.
Ich komme zum Ende. Ich hoffe, dass der Wahlkrimi in den Vereinigten Staaten zu dem Ergebnis führt, dass wir am Ende Open Skies erhalten und damit den Frieden in und für Europa sichern können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Dr. Brunner. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Roland Hartwig, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7482037 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Vertrag über den Offenen Himmel |