Götz FrömmingAfD - Bundesarchivgesetz/SED-Opferbeauftragter
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „... ich gestehe, dass ich enttäuscht bin …“.
(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Von Ihrer Partei!)
Mit diesen Worten beendete Marianne Birthler, die frühere Bürgerrechtlerin und ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, ihre Stellungnahme während einer Anhörung zur geplanten Auflösung der Bundesbehörde hier im Deutschen Bundestag. Und sie fährt fort – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Ich habe auf einen Aufbruch gehofft. Aber was uns hier vorliegt, ist eher eine Nachlassverwaltung. – Das, meine Damen und Herren, war vor vier Jahren.
Und wenn wir heute auf den vor uns liegenden Gesetzentwurf blicken, dann müssen wir feststellen: Viel hat sich nicht geändert. Mit dem Gesetz, das heute eine Mehrheit in diesem Haus beschließen wird, beerdigt der Deutsche Bundestag eine der herausragendsten Errungenschaften, wenn nicht die herausragende Errungenschaft, ein weltweit einmaliges Erbe der Friedlichen Revolution.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nicht besser, wenn man es wiederholt!)
Die Bundesbehörde für die Stasiunterlagen verdankt ihre Existenz – wir haben es eben schon gehört – eigentlich einem revolutionären Akt: der Besetzung der Räume des Ministeriums für Staatssicherheit am 15. Januar 1990 durch aufgebrachte Bürger. Das ist vielleicht eine deutsche Besonderheit und vielleicht gar keine schlechte, dass ein revolutionärer Akt in die Gründung einer Behörde mündete. Diese Behörde war und ist insofern eben auch ein Denkmal, ein lebendes Mahnmal, in dem rund 1 500 Menschen an insgesamt zwölf Standorten arbeiten. Zu diesem merkwürdigen Denkmal, das eine Behörde ist, gehören die vor der Vernichtung bewahrten Akten der Staatssicherheit ebenso wie auch der Bundesbeauftragte als Hüter dieser Akten.
Nun hören wir im Ausschuss, daran werde sich gar nicht viel ändern. Die Akten werden eben einfach in das Bundesarchiv eingegliedert, und statt eines Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen soll es 30 Jahre nach der Wende nun erstmals einen Opferbeauftragten geben.
(Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: „Wende“ ist SED-Sprech!)
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie dafür heute tatsächlich Beifall erwarten. 30 Jahre nach der Wende einen Opferbeauftragten zu installieren, ist kein Ruhmesblatt. Das ist ein Armutszeugnis. Das hätte viel, viel früher kommen müssen.
(Beifall bei der AfD)
Sprechen wir es doch deutlich aus: Der sogenannte Opferbeauftragte ist in Wahrheit natürlich eine Kompensation für den Wegfall des Bundesbeauftragten, ein Feigenblatt, um Kritiker und Opferverbände zu besänftigen und von der eigentlichen Sache abzulenken. Die AfD-Fraktion hat deshalb in einem Antrag, der Ihnen heute vorliegt, gefordert, einen Bundesbeauftragten mit erweiterten Kompetenzen einzusetzen. Er soll nach unserer Vorstellung nicht nur für die Opfer da sein, sondern auch die Funktion eines Bundesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur wahrnehmen; denn, meine Damen und Herren, nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter sind ja noch unter uns. Wer wirklich etwas für die Opfer tun will, der sollte nicht gleichzeitig seinen Frieden mit den Tätern schließen und die real juristisch noch existierende SED in Regierungsbündnisse holen.
(Beifall bei der AfD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guck mal in eure rein!)
Um nicht missverstanden zu werden: Ja, auch die DDR war natürlich ein deutscher Staat, die zweite deutsche Diktatur im 20. Jahrhundert. Natürlich gehören die urkundlichen Zeugnisse, Behördenakten und sonstige Dokumente dieses Staates früher oder später ins Bundesarchiv. Aber, meine Damen und Herren, es gab keinerlei zwingende Notwendigkeit, das jetzt schon zu tun.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Natürlich!)
Die Begründung für dieses Gesetz – und auch das ist in mehreren Anhörungen gesagt worden – ist äußerst dürftig. Alle beschriebenen Probleme, die Sie mit diesem Gesetz lösen wollen, hätten auch auf anderem Wege gelöst werden können. Ich nenne nur die wesentlichen: Die Sicherung der Akten, so sagen Sie, könne so nicht mehr vollzogen werden. Das wäre natürlich auch durch eine Kooperation mit dem Bundesarchiv zu erreichen gewesen oder durch eine bessere Ausstattung der Unterlagenbehörde selbst. Eine Ombudsperson für die Opfer – ich hatte es eben schon angedeutet – hätte man natürlich auch ganz unabhängig von der Frage der Akten schon längst einsetzen können.
Auf der anderen Seite bietet das Gesetz für die tatsächlich existierenden Probleme gar keine Lösung an. Wie und wann werden zum Beispiel die rund 15 000 Säcke mit zerrissenen Stasiakten endlich rekonstruiert und gesichert? Seit 2016 ist offenbar keine einzige Akte mehr elektronisch zusammengefügt worden. Dazu schreibt das Bürgerkomitee „15. Januar“ auf seiner Internetpräsenz – ich zitiere mit Erlaubnis –:
„Die Jahn-Behörde täuscht die Öffentlichkeit und das Parlament seit Jahren über den faktischen Stillstand der virtuellen Rekonstruktion.“ Inzwischen haben fast alle Projektexperten beim Fraunhofer Institut … mit ihrem Spezialwissen das Team verlassen, am Jahresende geht der langjährige Projektleiter und Initiator in den Ruhestand.
Meine Damen und Herren, wie soll dieses Problem gelöst werden? Kein Wort dazu in Ihrem Gesetz.
(Beifall bei der AfD)
Wie sieht es nun aus mit der Forschungstätigkeit und mit der pädagogischen Aufklärungsarbeit? Hier wird in Zukunft etwas Merkwürdiges entstehen; denn ein Bundesarchiv ist natürlich erst mal, wie der Name schon sagt, ein Archiv. Deshalb ist hier ein Schub, ein wirklicher Aufbruch, wie Marianne Birthler sich das zu Recht gewünscht hat, nicht zu erwarten. Denn ein Archiv stellt in erster Linie Quellen für die Forschung zur Verfügung. Seine Hauptaufgabe ist es nicht, selbstständig eigene Forschung zu betreiben.
Meine Damen und Herren, 30 Jahre sind kein Grund, einen Schlussstrich zu ziehen. Sie wollen das ja auch nicht. 30 Jahre, das ist für Historiker nur ein Wimpernschlag. Nach 30 Jahren beginnt für Historiker erst die eigentliche Arbeit. Und ich ergänze: Auch für Pädagogen, für die Lehrer beginnt erst die eigentliche Arbeit. Fragen Sie mal Jugendliche, was sie heute noch über die DDR wissen! – Erschreckend wenig! Das hat zu tun mit Ihrer Bildungspolitik, mit Ihrer ausgesetzten Aufklärungspolitik, die Sie seit Jahren hier betreiben.
(Beifall bei der AfD)
Wir bräuchten einen Aufbruch, wir bräuchten einen Schub für die Erforschung der SED-Diktatur. Wir bräuchten eine Stärkung der existierenden Forschungsverbünde, zum Beispiel hier an der FU, und anderes mehr. Auch dazu lässt das Gesetz nichts Gutes hoffen.
Meine Damen und Herren, es ist doch merkwürdig – so schloss Marianne Birthler –, dass wir in Deutschland zwar einen Lehrstuhl für die Geschichte Aserbaidschans haben, aber wir haben 30 Jahre nach Ende der DDR noch keinen einzigen Lehrstuhl für die Geschichte der SED-Diktatur oder die kommunistische Gewaltherrschaft in Osteuropa. Das, meine Damen und Herren, ist ein Armutszeugnis. Wir bräuchten das dringend, ebenso wie einen Gedenktag für die Opfer der kommunistischen Diktatur. Unsere Anträge dazu liegen Ihnen vor. Sie müssen ihnen nur noch zustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der AfD)
Das Wort hat die Kollegin Katrin Budde für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7484728 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 192 |
Tagesordnungspunkt | Bundesarchivgesetz/SED-Opferbeauftragter |