14.01.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 204 / Tagesordnungspunkt 10

Uli GrötschSPD - Präventivgewahrsam für Gefährder

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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gefährder sind tickende Zeitbomben. Wir nennen sie Gefährder, weil von ihnen jederzeit die Gefahr eines Terroranschlages ausgeht. Diese Islamisten und Rechtsextremisten sind eine Gefahr für unsere Sicherheit und die Sicherheit unseres Landes. Und natürlich sind wir froh um jeden der circa 70, die wir in den letzten beiden Jahren in ihre Herkunftsländer abschieben konnten. Tatsache ist aber, dass das nicht immer geht, zum Beispiel, wenn es sich um deutsche Gefährder handelt. Wohin – das schreiben Sie in Ihrem Antrag nicht – möchten Sie Islamisten oder Neonazis mit deutscher Staatsangehörigkeit abschieben?

(Beifall bei der SPD)

Und eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung durch den Verfassungsschutz, Meldeauflagen, Kontaktverbote, Deradikalisierungsprogramme, das alles und viel, viel mehr gibt es dank dieser Koalition bereits seit vielen Jahren.

(Martin Hess [AfD]: Bringt doch nichts!)

Regelungen zum präventiven Gewahrsam von Gefährdern, also dass man Menschen zur Gefahrenabwehr für eine kurze Dauer vorbeugend wegsperrt, gibt es schon in den Polizeigesetzen der Bundesländer. Dennoch zeigt uns der Messerangriff von Dresden am 4. Oktober, dass es leider nicht möglich ist, jeden Terroranschlag zu verhindern. Auch das gehört zur Wahrheit. Deshalb ist es richtig, dass wir im Bund und in den Bundesländern prüfen, was rechtlich noch möglich ist in Bezug auf Sicherungsverwahrung im Anschluss an die Haft, in Bezug auf vorbeugenden Gewahrsam auf Bundesebene usw. usf.

Vieles machen wir bereits, und zwar unabhängig von Ihrem Antrag; dafür brauchen wir Sie ganz bestimmt nicht. Wo es Schutzlücken bei Gefährdern gibt, die wir rechtlich schließen können, schließen wir sie. Aber auch wenn wir eine Art vorbeugende Haft für Gefährder auf Bundesebene einführten – Sie schreiben, für drei Monate –, könnten Sie immer noch nicht ausschließen, dass dieser Gefährder nach drei Monaten einen Anschlag verübt. Niemand kann in die Köpfe dieser Personen schauen. Der Attentäter von Wien etwa hat noch bis wenige Tage vor dem Terroranschlag an einem Deradikalisierungsprogramm teilgenommen. Das ist einer der Punkte, über die wir reden müssen. Neben der Frage, ob die Bundesebene überhaupt zuständig ist – Gefährder fallen im Rahmen der Gefahrenabwehr, wie wir schon gehört haben, in die Zuständigkeit der Länder –, gibt es eine weitere zu klärende Frage: Warum glauben Sie, dass die Bundesebene das besser regeln kann als die eigentlich zuständigen Bundesländer? Auch das lassen Sie in Ihrem Antrag unbeantwortet.

Ich erinnere mich noch daran, welche Bedeutung wir hier der Einführung der elektronischen Fußfessel für Gefährder auf Bundesebene beigemessen hatten und wie die Reaktionen darauf waren. Dann müssten die Beamten nicht mit hohem Personaleinsatz Observationen durchführen, auch das war ein Argument für die Einführung der Fußfessel. Das ist eine Befugnis des Bundeskriminalamtes, die trotzdem noch kein einziges Mal zum Einsatz kam, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich glaube, dass wir in Zukunft unsere Schwerpunkte in der Terrorismusbekämpfung ein Stück weiter fassen müssen. Ich denke, dass wir auch einen Schwerpunkt auf diejenigen Islamisten legen müssen, die in absehbarer Zeit aus der Haft entlassen werden. Wir müssen schauen, wo die Deradikalisierung erfolgreich war und wo nicht. Wir müssen schauen, was in den Haftanstalten passiert, wo wir vielleicht unsere Programme ausbauen oder womöglich auch umbauen müssen, wenn sie nicht wirken; denn Prävention, liebe Kolleginnen und Kollegen, verhindert immer mehr Schaden, als Repression jemals reparieren kann.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

Das gilt genauso auch für Rechtsextremisten. Ich denke, die Demokraten in diesem Haus sind sich einig, dass wir alle Register gegen radikalisierte Personen ziehen müssen. Wir stecken mehr Geld in Präventions- und Bildungsprojekte als je zuvor, und das ist ganz gewiss der richtige Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Hier geht es Ihnen, Ihnen hier rechts außen, gerade um Islamisten. Im Innenausschuss gestern ging es bei den von Ihnen angemeldeten Themen vor allem um Linksextremisten. Nur zu den Vorgängen in den USA beim Sturm auf das Kapitol sind Sie ganz, ganz leise. Dabei war die AfD keinesfalls untätig. Sie lässt sich digital über Jan Böhmermann aus,

(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist totaler Stuss!)

das Gendern im Duden oder über die Bundeszentrale für politische Bildung. Zur historischen Katastrophe im US-Kapitol in Washington gibt es im Gegensatz dazu nur eine kleine, kleine Pressemeldung. Wo bleibt denn die Empörung der AfD? Schließlich sind zwei Polizisten gestorben. Das sollte Sie doch auf die Barrikaden bringen und nicht das, was Sie nach außen darstellen.

(Martin Hess [AfD]: Herr Grötsch, bleiben Sie doch bitte bei der Wahrheit!)

Ihr Parteichef Meuthen meint, der Sturm aufs Kapitol sei nicht zu vergleichen mit der versuchten Erstürmung des Bundestages in Berlin im August und im November, das seien ganz andere Dimensionen. In Wahrheit ist es aber so, dass der braune Mob im Kapitol Ihre Gesinnungsgenossen sind. Es sind Rassisten, Reichsbürger, Coronaleugner und Verschwörungsanhänger.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Faschisten! – Martin Hess [AfD]: Eine Unverschämtheit!)

Das ist die gleiche braune Soße, mit der Sie sich hier vor dem Reichstag und bei Anticoronademonstrationen solidarisieren. Deshalb sind Sie so leise.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will nicht zu weit vom Thema abdriften und komme deshalb zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind als Antragsteller Teil der menschenverachtenden Ideologie, die Sie in Ihrem Antrag anprangern. Aus diesem und den eben dargestellten Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Benjamin Strasser, FDP.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7495836
Wahlperiode 19
Sitzung 204
Tagesordnungspunkt Präventivgewahrsam für Gefährder
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