28.01.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 206 / Zusatzpunkt 23

Manuel HöferlinFDP - Aktuelle Stunde: Big Tech und die Meinungsfreiheit im Internet

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wissen, ich bin immer dankbar und froh, wenn wir zu einer so prominenten Zeit über Internetthemen, Digitalthemen, gerade über Meinungsfreiheit im Internet sprechen. Ich bin aber auch etwas betrübt, dass durch diese Aktuelle Stunde eine Aktuelle Stunde zu den Vorkommnissen in Russland verdrängt wird.

Es ist geradezu frappierend, wenn Frau von Storch hier über „Vernichten“ und „Ausschalten“ im Kontext von Herrn Trump spricht und wir durch Ihre Aktuelle Stunde, die Aktuelle Stunde der AfD, im Kontext von Ausschalten nicht über Herrn Nawalny und über Demokratie und Freiheitsrechte und Oppositionsrechte in Russland sprechen können.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Man könnte fast meinen, es stünde eine Absicht dahinter, meine Damen und Herren, dass Sie von der AfD diese Aktuelle Stunde heute aufsetzen, um das zu verdrängen, um lieber ein anderes Thema, ein älteres Thema in den Vordergrund zu bringen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und es entlarvt übrigens auch Ihre Grundhaltung zur Meinungsfreiheit.

(Zuruf des Abg. Uwe Witt [AfD])

– Das müssen Sie sich jetzt anhören. – Ihre Grundhaltung zur Meinungsfreiheit, die gilt nur, wenn es Ihnen passt, nur wenn es Ihnen in den Kram passt. Wenn es aber Ihren Freund und Gönner Putin betrifft, dann schieben Sie es lieber weg. Das ist Ihre Haltung zur Meinungsfreiheit im Gesamten, meine Damen und Herren von der AfD.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu der Debatte heute muss ich sagen: Wenn ich ihr einen Facebook-Status geben wollte, hieße er: Es ist kompliziert! Es ist kompliziert, da an dieser Debatte drei Parteien beteiligt sind, da es um ein Dreiecksverhältnis geht. Das ist oft kompliziert. Es geht einerseits um Plattformbetreiber, die auf den Plattformen ihr Hausrecht ausüben wollen. Es geht zum anderen um die Nutzerinnen und Nutzer, die Meinungsfreiheit, die Gleichbehandlung wollen. Und es geht um den Staat, der geltendes Recht durchsetzen will und der die Bürgerinnen und Bürger schützen muss.

Nehmen wir die Sperrungen der Accounts von Präsident Trump als Praxisbeispiel. Hierzu erleben wir in den USA eine Debatte, die sich primär um das Verhältnis Nutzer zu Unternehmen dreht, also um ein privatrechtliches Vertragsverhältnis. Es ist fast schon ein bisschen putzig, zu sehen, dass im Silicon Valley gerade entdeckt wird, dass Plattformen möglicherweise an mehr gebunden sind als nur an die Nutzungsbedingungen, die sie sich selbst gegeben haben. Wir in Deutschland kennen das schon lange: die Drittwirkung der Grundrechte – das wurde gerade genannt –; auch deren Durchgriff auf private Rechtsverhältnisse ist uns längst bekannt. Darum geht es.

Darüber hinaus geht es um weitere komplexe Fragestellungen, zum Beispiel um den Unterschied zwischen privaten und staatlichen Accounts. Was ist denn, wenn ein Account ein offizieller Account einer Regierung, eines Präsidenten ist? Was ist denn – darüber sollten wir einmal nachdenken –, wenn Meinungsplattformen wie Twitter, Facebook oder andere essenzielle Strukturen der Meinungsfreiheit, der Meinungsbildung im demokratischen Gefüge sind? Gibt es überhaupt Ausweichoptionen? Also zusammengefasst: Es ist eben kompliziert.

Und immer, wenn es kompliziert wird, neigen viele dazu, einfache Lösungen herbeizuholen. Das ist dann übrigens auch die Stunde der Populisten, die es sich sehr einfach machen. Aber es ist auch für andere Teilnehmer nicht einfach. Ich finde, dass es sich die Bundesregierung einfach gemacht hat; ich finde auch, dass es sich die Plattformen zu einfach machen, und – man muss auch selbstkritisch sagen – wir User machen es uns eben manchmal auch zu einfach.

Die Bundesregierung macht es sich zu einfach, wenn sie mit dem NetzDG beispielsweise die Durchsetzung von Strafrecht im Netz im Ergebnis zunehmend auf Private verlagert, wenn strafrechtliche Vorermittlungen – verfassungsrechtlich höchst bedenklich – in Abteilungen privater Unternehmen stattfinden sollen. Viel gefährlicher ist übrigens, dass dieses System von autokratischen Regimen, von minderdemokratischen Regimen als Vorbild und Entschuldigung für ihr eigenes System genommen wird, wobei wir wieder beim Thema Russland wären.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Auch die Plattformen machen es sich zu einfach. Sie berufen sich auf Community Standards. Ich habe Fälle erlebt – gerade gestern wieder in einem Gespräch –, dass Dinge nach Community Standard behandelt werden und nicht nach den tatsächlichen rechtlichen Bedingungen in den Ländern. Die Plattformen haben da viel nachgelegt, aber da ist noch viel Luft nach oben. Wenn die Plattformen die User nicht als Kunden haben – wir sind als User ja Teil des Produkts –, dann geht das eben, von der Sichtweise her, an der Rechtslage vorbei. Und das ist kompliziert.

Und auch wir haben es selbst in der Hand. Wir machen es uns selbst manchmal zu einfach, wenn wir die Verantwortung für das eigene Handeln zu sehr in staatliche Hände legen. Ich will jetzt nicht anfangen mit der Netiquette. Es gibt eigentlich seit 30 Jahren Grundregeln im Internet, wie man sich zu verhalten hat. Aber wenn wir uns auch außerhalb des Internets unglaublich verhalten – übrigens auch in diesem Haus machen das manche Fraktionen – und verbal auf eine schlechte Art und Weise um uns schlagen, darf man sich nicht wundern, wenn sich das nachher im Netz widerspiegelt. Deswegen sind einfache Lösungen am Ende nicht geeignet.

Ich hoffe, dass wir die Debatte rund um Deplatforming und den Trump Ban für eine Gesamtreflexion nutzen, dass wir für Nutzerinnen und Nutzer, für Plattformen und für den Rechtsstaat gute Lösungen finden und dass wir am Ende nicht vergessen: Es geht um das freie Internet.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat der Kollege Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/cvid/7499092
Wahlperiode 19
Sitzung 206
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Big Tech und die Meinungsfreiheit im Internet
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