10.02.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 208 / Zusatzpunkt 1

Alexander Graf LambsdorffFDP - Aktuelle Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Russland

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine kleine Bemerkung vorab machen: Das ist heute eine außenpolitische Debatte, in der die Menschenrechte im Mittelpunkt stehen sollen. Wir werden jetzt aber gleich den zweiten Redner der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hören. Das ist Oliver Krischer; er ist als Klimapolitiker durchaus bekannt. Er wird fünf Minuten lang den Finanzminister beschimpfen; aber mit Menschenrechtspolitik hat das gar nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, bei Corona haben sie sich als Bürgerrechtspartei verabschiedet, heute verabschieden sich die Grünen auch als Menschenrechtspartei.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, was Russland angeht, lassen Sie mich eines vorwegsagen: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich mag Land und Leute, ich liebe Musik und Literatur, ich bin jedes Mal aufs Neue fasziniert von den großen Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Mein Name ist teilweise russisch, zahlreiche meiner Vorfahren standen in russischen Staatsdiensten. Ich will diese persönliche Bemerkung vorausschicken, um deutlich zu machen, dass mich die nachfolgenden Ausführungen nicht nur politisch, sondern auch ganz persönlich schmerzen; denn die Moskauer Regierungspolitik macht eine umfassende Freundschaft mit Russland zurzeit einfach unmöglich.

Sie wissen, dass ich von dieser Stelle aus den Bundesaußenminister kritisiere, wenn ich meine, das ist angebracht, auch das Auswärtige Amt; aber ich tue heute das Gegenteil. Ich lobe das Auswärtige Amt, insbesondere Staatsminister Roth für seine bemerkenswerte klare Haltung, die er vor Kurzem als Sozialdemokrat im „Spiegel“ zu Papier gebracht hat. Ich sehe viele nickende Köpfe; ich hoffe, dass diese Haltung fürderhin die Haltung der Sozialdemokratie sein wird. Das ist eine der besten Analysen, die ich über Russland und russische Politik gelesen habe. Unser Anspruch als Deutscher Bundestag an die Bundesregierung ist allerdings, dass aus brillanten Analysen auch brillante Politik folgt, meine Damen und Herren. Das kann ich beim besten Willen nicht erkennen, gerade wenn es um Nord Stream 2 geht.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Machthaber im Kreml haben sich vom Frieden verabschiedet. Sie führen einen kalten, einen hybriden Krieg gegen den Westen, gegen Europa, gegen unsere Werteordnung.

Zum Thema Werte: Herr Gauland, Sie sagen, der Warschauer Pakt wurde von gemeinsamen Werten zusammengehalten. Dafür muss man eine schon wirklich sehr abgehobene Sichtweise haben. Der Warschauer Pakt wurde von Gewalt aus Moskau, von Panzern und von der Breschnew-Doktrin zusammengehalten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das hatte mit der Wertegemeinschaft des Westens nichts zu tun. Die beiden gleichzusetzen, ist wirklich geschichtsvergessen. Natürlich wendet der Kreml die klassische Desinformationstaktik an, Täter-Opfer-Umkehr, und beschuldigt uns hier im Westen, den neuen Kalten Krieg begonnen zu haben, was natürlich Unsinn ist; aber manche im Westen fallen darauf herein.

Es geht aber um noch mehr: Die Machthaber im Kreml wollen die Landkarte Europas verändern, zur Not mit Gewalt. Der Kreml führt heiße Kriege in der Ostukraine und in Syrien. Ob in Moldawien, Georgien oder auf der Krim, Moskau stationiert immer wieder Soldaten auf dem Gebiet anderer Länder gegen den Willen der dortigen Regierungen. Und die Reaktion des Westens war so klar wie maßvoll: Sanktionen gegen die Hauptverantwortlichen und einige, aber nicht alle Wirtschaftsbereiche. Unser Ziel ist eben nicht die Bestrafung des russischen Volkes, sondern der Schuldigen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Russland hat auch den Pfad der Demokratie verlassen. Im Kreml ist man mit Blick auf die Duma-Wahlen im Herbst merklich nervös. Die Proteste vom Bolotnaja-Platz sind so wenig vergessen wie die gegen die Rentenreform. Putin ist unbeliebter denn je. Immer mehr Mitglieder der Partei „Einiges Russland“ verleugnen auf Wahlzetteln ihre Zugehörigkeit zu ebendieser Partei, um Chancen an der Wahlurne zu haben. Ja, es gibt noch Wahlen. Aber es sind keine freien, demokratischen Wahlen, die auf fairem Wettbewerb verschiedener politischer Kräfte beruhen.

Nawalnys Urteil stand schon vor Beginn des Prozesses fest. Aber Nawalny ist nur ein Oppositioneller. Die gesamte demokratische Opposition fürchtet um Leib und Leben angesichts seines Schicksals. Mit der Unterdrückung der friedlichen Opposition bricht Russland nicht nur die eigene Verfassung, sondern auch internationales Recht. Und es ist deswegen keine Einmischung in innere Angelegenheiten, wenn wir auf diesen Umstand hinweisen. Im Gegenteil, wir sind es den mutigen Demokratinnen und Demokraten schuldig, die bei minus 52 Grad für ihre Freiheit auf die Straße gehen. Ihnen sollte unsere ganze Solidarität gelten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, der Kreml versteht nur eine klare, eindeutige Sprache. Deswegen fordern wir Freien Demokraten die Bundesregierung auf, jetzt ein Moratorium für den Bau von Nord Stream 2 zu verhängen. Wir wollen keine Investitionsruine in der Ostsee, wie das die Grünen vorschlagen; wir wollen einen Baustopp, der Moskau die Möglichkeit bietet, seine Politik zu überdenken

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klappt bestimmt!)

und wieder auf den Boden seiner eigenen Verfassung zurückzukehren.

(Beifall bei der FDP)

Es freut mich deswegen, dass Norbert Röttgen das nun auch verstanden hat und letzte Woche ebenfalls ein Moratorium für Nord Stream 2 gefordert hat. Ich freue mich, wenn es ihm gelingt, seine eigene Partei und seine Fraktion zu überzeugen.

Michael Roth schrieb im „Spiegel“ – ich zitiere –: Am Ende dient europäische Energiepolitik Europa am besten, wenn sie unseren Zusammenhalt und unsere Handlungsfähigkeit stärkt und uns nicht länger spaltet. – Staatsminister Roth hat recht, meine Damen und Herren: Nord Stream 2 spaltet Europa und isoliert Deutschland. Mit ihrer Politik verhindert die Bundesregierung, dass eine starke, gemeinsame europäische Botschaft in Moskau ankommt. Das aber kann nicht der Anspruch an unsere Außenpolitik, an unsere Europa-, an unsere Russlandpolitik sein.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, man darf gar nicht über Nord Stream 2 reden in der Debatte! Sie widersprechen sich selber!)

Im Sinne Hans-Dietrich Genschers geht es uns Freien Demokraten nicht darum, Russland zu bevormunden oder gar zu besiegen. Wir wollen Russland wieder für Europa gewinnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt „Schröder und Hartz IV“! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7501609
Wahlperiode 19
Sitzung 208
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Russland
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