10.02.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 208 / Zusatzpunkt 1

Nils SchmidSPD - Aktuelle Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Russland

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Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich will aufgrund des etwas seltsamen Verlaufs der Diskussion von ganz rechts und ganz links zwei Klarstellungen vornehmen:

Erstens. Für die SPD-Fraktion sind Menschenrechte unteilbar, ob in China oder in Russland. Der KSZE-Prozess ist nicht nur ein Prozess, der irgendwie innenpolitische Stabilität in den betroffenen Staaten gewährleistet hat, sondern es gab im KSZE-Prozess auch den Hinweis auf Menschenrechte. Deshalb ist für uns der KSZE-Prozess ohne Menschenrechte nicht denkbar.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Wir reden über Russland. Wir reden nicht über Polizeigewalt in Belgien, lieber Kollege Gysi, oder über Demonstrationsverbote, die aufgrund der Pandemie erlassen worden sind. In Russland war die Demonstrationsfreiheit vielmehr schon vor der Pandemie maßgeblich eingeschränkt,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

schon vor der Pandemie wurde die Zivilgesellschaft unterdrückt, und schon vor der Pandemie hat Präsident Putin – Gott sei’s geklagt; aber wir müssen es festhalten – über Jahre hinweg die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in Russland zurückgedreht. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb muss jede Debatte über die aktuelle Entwicklung in Russland nicht bei Nord Stream 2 anfangen, sondern mit einem illusionslosen Blick auf den Zustand des Landes. Er mag zwar stabil sein, aber ist auch von Stagnation geprägt: Keinerlei Zukunftsperspektiven für Gesellschaft und Wirtschaft, die Modernisierung der Wirtschaft ist liegen geblieben, der Staatseinfluss nimmt zu. Es ist immer noch eine rohstoffbasierte Wirtschaft.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Mehr Wirtschaftswachstum als in Deutschland, Herr Kollege!)

Und alles, was Sie als demokratische Aufbauarbeit, die dort geleistet wird, beschrieben haben, ist doch in den letzten Jahren zurückgedrängt worden und zerschlagen worden. Deshalb ist das, was in Russland geschieht, zuerst und zuvörderst ein Zeichen der Schwäche der Herrschenden, die sich ihrer Macht nicht sicher sind. Und deshalb kommt ein Blogger plötzlich in den Geruch eines großen Staatsfeindes. Das ist doch kein Zeichen von Stärke oder Stabilität, sondern es zeigt an, dass diese Führung unter Druck ist und dass sie, weil sie zu solchen Maßnahmen der Unterdrückung greifen muss, eben keinerlei demokratische Unterstützung in der Breite genießen kann.

Insofern ist für uns doch das Entscheidende, dass – trotz des Wunsches, den ja viele hier auch geäußert haben, mit Russland ein gutes Einvernehmen zu schaffen – leider mit der russischen Führung, so wie sie sich zurzeit verhält, keine strategische Partnerschaft möglich ist, sondern allenfalls selektives Engagement. Aber genau deshalb brauchen wir auch in Zukunft Brücken und den Dialog.

Selektives Engagement bedeutet, dass wir zum Beispiel bei den internationalen Krisen nicht aufgeben dürfen, mit Russland im Dialog zu bleiben – ob es um die Ukraine, um Syrien oder um Libyen geht. Und wir dürfen nicht aufgeben, bei den großen globalen Herausforderungen wie nuklearer Abrüstung und Klimaschutz immer wieder zu versuchen, auch Russland einzubeziehen. Es waren genau diese Bundesregierung und der Bundesaußenminister Heiko Maas, die bilateral wie multilateral das immer wieder angeboten haben: Ich erinnere an die Wiedereinsetzung der Hohen Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik, ein Instrument, das von Russland schlicht und ergreifend nicht genutzt wird. Und ich erinnere daran, dass wir in den vergangenen Jahren, gerade auch während der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands, in Bezug auf Belarus alles dafür getan haben, eine gemeinsame EU-Reaktion und -Aktion zu definieren.

Es ist auch völlig klar – Michael Roth hat es ja auch noch mal in dem „Spiegel“-Essay beschrieben –: Deutsche Russland-Politik kann sich nicht von der europäischen Russland-Politik loslösen. Wir können nicht über die Köpfe unserer Verbündeten hinweg mit Russland Politik machen, sondern es muss eine gemeinsame europäische Anstrengung sein. Dazu gehört eben auch, dass wir, wenn es notwendig ist, Sanktionen verhängen, dass wir aber auch weiterhin versuchen, den Dialog fortzusetzen und die Brücken zu erhalten.

Lassen Sie mich, weil das Thema „Nord Stream 2“ ja so beliebt ist, obwohl der Debattentitel das gar nicht vorgesehen hat, eins sagen: Nord Stream 2 zum Lackmustest für Härte gegenüber Russland zu machen, scheint mir doch etwas verengt zu sein. Die Grundfrage, die dahintersteckt, ist: Wollen wir Energie zu einem Kampfmittel gegen Russland machen? Dann müssten wir Öl- und Gasimporte zurückfahren, aber nicht nur Deutschland, sondern viele westliche Partner. Das kann man alles diskutieren. Ich schlage vor – so wie es auch Nawalny verschiedentlich geäußert hat –, dass wir uns, wenn wir über Sanktionen nachdenken, auf das Umfeld der Präsidentschaft konzentrieren, auf diejenigen, die politisch wie wirtschaftlich von den Machtstrukturen profitieren, dass wir also die europäischen Möglichkeiten für personenbezogene Sanktionen ausschöpfen und genau damit übrigens auch ein klares Signal an die Zivilgesellschaft in Russland senden. Denn sie regt sich zu Recht darüber auf, wie sie ausgenommen wird, wie ihr Staat von einer schmalen Elite ausgenommen wird. Denen zu zeigen: „Wir stehen an eurer Seite im Kampf gegen Korruption“, indem wir unsere Sanktionsmöglichkeiten ausschöpfen, das scheint mir doch die richtige Antwort zu sein. Und ich will den Außenminister und die Bundesregierung ermuntern, genau dies zusammen mit den EU-Partnern voranzutreiben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Das Wort hat Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Der parlamentarische Sprecher der Deutschen Umwelthilfe!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7501613
Wahlperiode 19
Sitzung 208
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Russland
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