Frank SchwabeSPD - Aktuelle Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Russland
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich habe gerade schon überlegt: Wie ist das eigentlich, wenn irgendwo da draußen der russische Botschafter sitzt und sich diese Aktuelle Stunde im Fernsehen ansieht? Welches Signal bekommt er eigentlich? – Ich glaube, er muss das deutliche Signal des Außenministers bekommen. Der hat hier einen klaren Satz gesagt, nach dem ich eigentlich tosenden Applaus erwartete hätte, jedenfalls bei viereinhalb Fraktionen hier im Hohen Hause, nämlich: Herr Nawalny muss freigelassen werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist jedenfalls die klare Haltung der deutschen Bundesregierung. Deswegen habe ich nicht ganz verstanden, warum es auch beim geschätzten Koalitionspartner ein paar Versuche gab, sich von der eigenen Regierung vielleicht ein bisschen zu distanzieren.
Zu den Grünen: Es tut mir schrecklich leid, es zu sagen – ich weiß, ihr seid super stark engagiert beim Thema Russland –, aber ihr habt versucht, dieses Thema für eine innenpolitische Auseinandersetzung zu nutzen. Das ist, glaube ich, das falsche Signal an Russland. Die müssen sehen: Wir stehen hier geschlossen mit einer klaren Position, mit klaren Formulierungen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Sylvia Pantel [CDU/CSU])
Historisch gesehen, sind manche Fehler gemacht worden, und man kann sicherlich eine historische Betrachtung anstellen. Ja, ich gehöre zu denen, die auch damals schon fanden, dass wir 1990 die Friedensdividende hätten besser nutzen müssen – und das nicht, indem wir die NATO sofort sozusagen in Richtung Osten erweitern. Wir hätten mal darüber nachdenken müssen: Was haben wir denn an kollektiven Sicherheitsmechanismen, an OSZE, an Europarat und anderem? – Ich glaube, diese Aspekte waren unterbelichtet.
Zur heutigen Lage darf es aber auch keine Illusionen geben. Russland verstößt so ziemlich gegen alle Regeln des zivilisierten Miteinanders – das muss uns klar sein –, und das geht nicht. Deswegen muss man da auch klar Stellung beziehen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
ob es um die Ermordung von Menschen auf anderen Territorien geht, um Angriffe gegen Parlamente – gegen dieses Parlament und andere Parlamente auf der Welt – oder ob es eben die ganz offensichtliche Vergiftung eines Oppositionellen wie Herrn Nawalny betrifft. Wie man da Zweifel haben kann – man muss mal ein bisschen die Berichte nachlesen – und der russischen Propaganda – ich kann es nicht anders sagen – auf den Leim gehen kann, indem man sagt: „Liefert uns mal Beweise“, ist mir total schleierhaft. Das ist doch wirklich absurd. Es ist doch ganz klar, was da passiert ist.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist klar, dass Russland versucht, sich da wegzustehlen mit absurden Argumenten, weil es ja merkt, dass das international nicht verhaftet. Deswegen, noch mal: Es wäre gut, wenn wir große Einigkeit bei vielen der Fraktionen hier im Deutschen Bundestag sicherstellen könnten.
Ich schätze die Deutsche Umwelthilfe sehr; ich weiß, das tun nicht alle hier.
(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Im Gegenteil!)
Aber das, was da geleakt wurde, ist doch ganz großer Unfug. Sie können doch zum Beispiel mal nachlesen, was Herr Altmaier zum Thema Flüssiggas gesagt hat. Das kann man im „Spiegel“ vom 12. Februar 2019 nachlesen. Sie können nachlesen, dass am 26. August 2020 eine Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und der Ukraine verabredet worden ist. Alles, was in diesem geheimen Brief drinstehen soll, ist öffentlich zugänglich.
(Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielleicht wurde es einmal zusammengefasst, und das sind die Elemente, die da stehen.
Ich halte von Flüssiggas im Übrigen gar nichts. Aber das ist etwas, was von der Bundesregierung und vor allen Dingen von Herr Altmaier auf den Weg gebracht wurde
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vertraulich!)
und nicht von Finanzminister Olaf Scholz. Deswegen hätten Sie vielleicht Herrn Altmaier herzitieren können, statt diesen Popanz zu betreiben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Jetzt habe ich noch zwei Minuten und sage in der Tat noch etwas zum Europarat – ich danke dem Außenminister, der darauf drei Minuten verwandt hat, und auch Matern von Marschall –: Ich habe den Eindruck, dass wir ein komplettes Missverständnis haben über das, was der Europarat ist und was er leisten kann. Es haben ja auch Kolleginnen und Kollegen den Außenminister aufgefordert, auf Parlamentarier Druck auszuüben, um russischen Parlamentariern bestimmte Rechte zu entziehen. Das ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, sondern es ist unsere Aufgabe, darüber miteinander zu diskutieren.
Gerade hat jemand gesagt: Nord Stream 2 ist das Einzige, was uns noch mit Russland verbindet. – Nein, wir haben den Europarat als Plattform. Und der Europarat ist nicht die Europäische Union. Die Europäische Union hat wirtschaftliche Möglichkeiten und kann die dann auch entsprechend in Form von Sanktionen umsetzen. Der Europarat ist eine Diskussionsplattform, ein Dialogforum auf Grundlage von – in der Tat – Menschenrechtsverträgen, die die Russen selber unterschrieben haben. Und Folge des Ganzen ist, dass der Europarat, anders als die Europäische Union, Mechanismen hat, Russland zu bestimmten Dingen zu zwingen.
Wir werden nicht alles lösen können. Der Europarat muss sich selbst bescheiden. Wir werden Territorialkonflikte nicht lösen können. Aber es gibt zwei Dinge, die sind fundamental für den Europarat. Das eine ist die Frage, Zugang zum russischen Territorium zu gewähren. Da gibt es das Antifolterkomitee, da gibt es die Generalsekretärin, da gibt es Monitoringmissionen. Ich selber bin verantwortlich für den Nordkaukasus; ich war in Tschetschenien, ich war in Grosny – der erste seit zehn Jahren, der da war. Das muss Russland zulassen.
Und: Russland muss sich an die Buchstaben des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte halten. Und da sind wir in der Tat beim interessanten Punkt: Wenn sie da sagen: „Das setzen wir nicht um“, dann ist das sozusagen die rote Karte. Man wird sagen können: Dann könnt ihr nicht mehr Mitglied dieses Klubs sein. – Denn wenn wir es den Russen durchgehen lassen, dann werden Aserbaidschan, Polen und Ungarn kommen und sagen: Das interessiert uns auch nicht mehr. – Das ist sozusagen die rote Linie. Lassen Sie uns den Europarat als Diskussionsforum nutzen, die Russen einladen: Redet mit uns! Aber an fundamentale Regeln dort habt ihr euch zu halten, und wenn nicht, dann könnt ihr auch nicht mehr Mitglied in diesem Klub sein.
Da sind wir aber noch nicht. Das diskutieren wir gerade miteinander, vielleicht auch noch mal an anderer Stelle. Jedenfalls finde ich richtig – das will ich noch mal sagen –, dass die gemeinsame Haltung des Hohen Hauses sein sollte, klipp und klar und geschlossen an Russland das Signal zu senden: Unterdrückt die Opposition nicht und lasst Herrn Nawalny frei!
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7501619 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 208 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Russland |