Carl-Julius CronenbergFDP - Gesetzlicher Mindestlohn
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen unter Ihnen mögen sich erinnern: Die FDP hat die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland im Jahr 2014, sagen wir, eher kritisch begleitet. Umso mehr dürfen Sie sich heute freuen, wenn ich hier zu Protokoll gebe: Der deutsche Mindestlohn ist aus Sicht der FDP ein Erfolg.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD – Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann er ja steigen!)
– Freuen wir uns, dass viele Menschen pro Stunde mehr verdienen und insgesamt die Beschäftigung weiter zugenommen hat, zumindest bis Corona.
Der deutsche Mindestlohn ist deshalb ein Erfolg, weil sich die Politik nach dem Startschuss zurückgezogen hat und die Lohnfestsetzung da gelassen hat, wo sie hingehört, nämlich bei den Sozialpartnern.
(Beifall bei der FDP)
Ich frage mich ernsthaft: Warum wollen Sie jetzt – in bester sozialromantischer Absicht vielleicht, aber auf Teufel komm raus – genau die Leitplanken abschaffen, die zu diesem Erfolg geführt haben?
Nun sagen Sie als Antragsteller: Der Mindestlohn schützt aber nicht vor Armut. – Da hilft ein Blick in den sechsten Armutsbericht: Zeiten niedriger Einkommen sind Übergangsphasen. Nach einem Jahr ist ein Drittel der Geringverdiener wieder raus, nach drei Jahren fast die Hälfte; Peter Weiß hat dazu ausgeführt. Aufstieg ist möglich und findet auch statt. Insgesamt hat sich die Armut in Deutschland seit 2005 praktisch halbiert.
Nicht der intervenierende Staat schützt vor Armut, sondern, liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufschwung und Wachstum. Das ist unser Job: Aufschwung und Wachstum sicherstellen. Dann gibt es weniger Armut.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Vielleicht zielen die Antragsteller auch auf diejenigen ab, die als armutsgefährdet gelten. Die Quote ist in den letzten Jahren in etwa gleich geblieben, ja; aber das liegt daran, dass alle Einkommensklassen gleichermaßen vom Aufschwung profitiert haben. Da jammert man nicht, da freut man sich für alle, die profitiert haben, auch die niedrigen Einkommen. Die Flut hebt eben alle Boote.
Übrigens: Wer sich für die Auswirkungen eines angeblich armutsfesten Mindestlohns interessiert, der braucht nicht lange suchen. Ein Blick nach Frankreich genügt. Der dortige Mindestlohn beträgt knapp 1 500 Euro im Monat. Gleichzeitig ist aber die Arbeitslosigkeit mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland, und zwar mit einer verfestigten hohen Arbeitslosigkeit gerade junger Menschen. Das halte ich für unsozial. Bienvenue in der Welt politisch festgesetzter Lohnuntergrenzen!
(Beifall bei der FDP)
Wir Freien Demokraten setzen dagegen auf das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft, den Aufstieg aus eigener Kraft. Schaffen wir Bildungsgerechtigkeit, verbessern wir Vereinbarkeit von Familie und Beruf, fördern wir Start-ups und Selbstständigkeit! Das hilft gegen beides: gegen Arbeitslosigkeit und gegen Armut.
Ich wiederhole mich: Der deutsche Mindestlohn ist ein Erfolg. Bei seiner Einführung stand zu Recht der Kampf gegen Lohndumping im Zentrum; Peter Weiß hat dazu ausgeführt.
Drei Gefahren sollten damals gebannt werden: erstens erhöhte Arbeitslosigkeit unter Geringqualifizierten, zweitens Eingriffe in die Tarifautonomie mit allen Verwerfungen beim Lohnabstandsgebot, drittens ein politischer Mindestlohnüberbietungswettbewerb in Wahljahren. Mit den Forderungen von Linken und Grünen würden genau diese Gefahren nicht gebannt, sondern geradezu heraufbeschworen. Übrigens: Minister Heil und Kanzlerkandidat Olaf Scholz haben Anfang März in ihrem Eckpunktepapier ganz ähnliche Pläne formuliert. Das ist kein Zufall.
Es ist auch kein Zufall, dass wir hier eine so muntere Debatte erleben. Wir sind im Wahlkampf. In fünf Monaten wird gewählt. Just in der Coronazeit, wo Hunderttausende um ihren Job bangen, läuten Sie den Wahlkampf ein und fordern das, was Gift für den Arbeitsmarkt ist: einen Überbietungswettlauf um den Mindestlohn. Das lassen wir nicht zu. Die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission ist der Garant für die Stabilität am Arbeitsmarkt, genau wie die Unabhängigkeit der EZB Garant für die Stabilität des Euro ist. Daran sollten wir festhalten.
Herr Präsident, wenn mir vor fünf Jahren jemand prophezeit hätte, dass ich mal Gralshüter des deutschen Mindestlohngesetzes sein würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Ich nehme die Rolle gerne an, aber wünsche mir ein bisschen mehr Unterstützung von den Sozialdemokraten.
(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Vielen Dank, Herr Kollege Cronenberg. – Kollege Birkwald, man darf auch noch dazulernen; so ist das nicht.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Klar!)
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7514890 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Gesetzlicher Mindestlohn |