Kirsten LühmannSPD - Bericht 2. Untersuchungsausschuss – Maut
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Als ich 2009 hier in den Bundestag kam, hat mein Vorgänger Peter Struck zu mir gesagt: Kirsten, vergiss nie, dieses Mandat ist ein Auftrag und eine Verpflichtung auf Zeit, nicht auf Dauer. – Meine Zeit endet jetzt nach zwölf Jahren. Es ist das letzte Mal, dass ich hier am Redepult stehe. Ich habe in dieser Zeit viel erlebt. Ich habe viel erreicht, aber natürlich auch Fehler gemacht. Ich habe Kollegen und Kolleginnen aus den verschiedenen Fraktionen – FDP, CDU/CSU, Grüne, Linke, insbesondere natürlich meiner Fraktion – kennengelernt, die genau wie ich für das Thema Verkehrspolitik gebrannt haben, die dafür gebrannt haben, dass Mobilität eine zentrale Frage für die Menschen in unserem Lande ist, eine zentrale Frage für den Klimaschutz und eine zentrale Frage für die Wirtschaft. Im Streit um die Sache haben wir manche gute Lösung gefunden. Ich freue mich, mit dem einen oder der anderen noch einige Dinge im persönlichen Gespräch Revue passieren lassen zu können. Ich danke Ihnen allen für Ihr Vertrauen, für Ihre Geduld mit mir und für die guten Debatten.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe in den drei Wahlperioden für meine Fraktion drei Untersuchungsausschüssen beigewohnt: Gorleben, Abgas und Maut. Wir haben oft rechtliche Grauzonen beleuchtet; aber das Besondere bei diesem Untersuchungsausschuss ist, dass im Abschlussbericht klar wie selten die Fehler aufgezeigt sind, die in dem Prozess gemacht wurden.
Vor ziemlich genau zwei Jahren hat der Europäische Gerichtshof geurteilt, dass die deutsche Pkw-Maut so nicht möglich ist. Am 26. Juni 2019 waren Sie, Herr Scheuer, dann im Verkehrsausschuss und haben eine klare Aussage gemacht. Sie haben gesagt: Wir haben einen hervorragenden Vertrag verhandelt, wir haben genau für diesen Fall Vorsorge getragen, und auf den deutschen Steuerzahler werden keine Kosten zukommen. – Herr Scheuer, ich habe Ihnen an diesem Tag geglaubt.
Als Sie etwa vier Wochen später selber 21 Aktenordner pressewirksam in den Ausschuss brachten und maximale Transparenz verkündet haben, empfand ich das eher als Effekthascherei. Warum, wenn alles so toll ist, war das nötig? Nachdem ich in der Geheimschutzstelle in die Verträge geschaut habe, wuchsen meine Zweifel. Ich konnte mir aber immer noch nicht vorstellen, welches Ausmaß an Fehlern dieser Untersuchungsausschuss aufdecken würde.
Alle Ihre damaligen Ausreden und Rechtfertigungen sind klar widerlegt worden. Ihre Aussage zum umfassenden und professionellen Risikomanagement zerfiel in dem Moment, als wir kein einziges Dokument gefunden haben, das das vollständige Scheitern der Maut als Risiko auch nur benannt, geschweige denn bewertet hätte. Ihre Rechtfertigung, Sie wären gesetzlich verpflichtet gewesen, Verträge noch in 2018 zu unterschreiben, löste sich spätestens nach der Lektüre ebendieser Gesetze auf, und das mussten Sie dann auch zugeben. Ihre Ausrede, das Geld hätte nur bis Ende 2018 zur Verfügung gestanden, sollte nur verschleiern, dass Ihr zuständiger Staatssekretär schlicht verschlafen hatte, im November 2018 in der zuständigen Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses entweder mehr Zeit oder mehr Geld zu beantragen; die SPD hat immer gesagt, für mehr Zeit wären wir immer offen gewesen. Was von der maximalen Transparenz zu halten war, haben wir spätestens nach der Aussage Ihres zuständigen Abteilungsleiters gewusst, der gesagt hat, er habe Ihnen gegenüber diese Strategie als gescheitert bezeichnet.
Aber ich muss auch deutlich sagen: So einfach und klar, wie uns die Opposition hier glauben machen will, dass dieser Untersuchungsausschuss klare und deutliche Belege ergeben hat, ist es in vielen Teilen nicht.
Zu der Frage der Lüge: Es waren vier Menschen an dem Gespräch beteiligt. Zwei haben gesagt, das Angebot hat es gegeben, zwei nicht – ein klassischer Fall von Aussage gegen Aussage. Zum Vergaberecht und Haushaltsrecht haben wir unterschiedlichste Bewertungen von Juristen und Juristinnen gehört. Was davon nun tatsächlich wahr ist, wissen wir nicht. Das heißt, der Minister ist in keinem Fall entlastet worden, Herr Frieser. Aber auf der anderen Seite: Er ist auch in keinem Fall eines eindeutigen Rechtsverstoßes überführt worden.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum dann keine Gegenüberstellung?)
Die Behauptungen, die Rechtsverstöße seien bewiesen worden, sind genauso unseriös wie die Aussage des Ministers, er habe keine Fehler begangen. Die gravierendsten Versäumnisse sind nachzulesen in den Bewertungen der Koalition. Dort ist vieles eindeutig festgestellt. Ich will hier nur einiges erwähnen:
Die europarechtlichen Risiken – das ist schon gesagt worden – sind nicht ausreichend gewürdigt worden. Kritische Stimmen wie die, das Verfahren sei offen, sind einfach nicht weitergegeben worden.
(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD])
Finanzielle Folgen der Kündigung aus ordnungspolitischen Gründen – zu Deutsch: wenn wir vor dem EuGH verlieren – sind vor Vertragsunterzeichnung nicht ausreichend untersucht worden, wohl auch weil niemand danach gefragt hat. Es hat schlicht niemanden interessiert, auch Sie nicht, Herr Minister, welcher Schaden entstehen könnte, wenn die Unterschrift geleistet wird.
Ein weiteres Ergebnis ist, dass im Haushalts- und Vergaberecht, freundlich formuliert, getrickst worden ist. Nach dem letzten Angebot fehlten 1 Milliarde Euro. Der Termin im Haushaltsausschuss war verschlafen worden; also mussten alternative Lösungen her, um das Angebot passend zu machen. Aus der festen Vergütung wurde eine variable Vergütung. Das heißt, man muss nur zahlen, wenn der Fall eintritt. Insofern konnten Kosten gespart werden – eigentlich eine gute Sache. Blöd ist nur, dass das Maut-Referat festgestellt hat, dass dieser Bedarf wohl auf alle Fälle da ist, die Kosten also anfallen werden. Es war klar, dass letztendlich mehr Geld gezahlt werden muss, als im Haushalt zur Verfügung stand.
Außerdem – das ist schon gesagt worden – wurden die Anforderungen heruntergeschraubt. Das hat andere Bieter irritiert und möglicherweise auch erhöhte Kosten verursacht.
Was mich noch irritiert hat, ist die Art und Weise, wie Sie mit der ganzen Sache umgegangen sind. Herr Scheuer, vor Vertragsunterzeichnung haben Sie nicht eine einzige Ministerinformation unterzeichnet. Ihr Staatssekretär hat vier Wochen lang gar nicht gemerkt, dass 1 Milliarde Euro fehlen, und die Abteilungen hatten keine Zeit, um die Verträge vernünftig zu prüfen, weil Sie Zeitdruck gemacht haben, da Sie noch rechtzeitig unterschreiben wollten. Herr Minister, so dürfen milliardenschwere Großprojekte nicht geführt werden.
(Beifall bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie der Abg. Wolfgang Wiehle [AfD] und Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir haben vier Jahre gemeinsam viel für die Mobilität in Deutschland getan. Aber die Menschen werden Ihre Amtszeit nicht mit den positiven Projekten verbinden, sondern mit den Fehlern, die gemacht wurden, insbesondere bei der Maut. Und dabei geht es weniger um die Fehler selbst als vielmehr darum, wie Sie damit umgegangen sind. Erfolge haben Sie effekthaschend inszeniert, Misserfolge negiert oder andere dafür verantwortlich gemacht. Als Minister haben und benötigen Sie Macht, um Dinge zu verändern. Das Wesen der Demokratie ist es aber, dass diese Macht nur unter der Voraussetzung übertragen wird, dass die Träger dieser Macht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Es ist nicht meine Aufgabe, über Sie zu urteilen. Aber es ist Ihre Aufgabe, Herr Scheuer, für Ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen und aus den Ergebnissen des Maut-Untersuchungsausschusses Konsequenzen zu ziehen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Wolfgang Wiehle [AfD])
Vielen Dank, liebe Kollegin Lühmann. – Das Präsidium dankt Ihnen, glaube ich, im Namen des gesamten Hauses für die jahrelange sehr, sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit. Sie werden sich ja neuen Herausforderungen stellen, die andere sein werden, aber mit Sicherheit nicht kleinere. Alles Gute für Sie!
(Beifall)
Als letzten Redner in der Debatte hören wir Ulrich Lange von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 19 |
Session | 235 |
Agenda Item | Bericht 2. Untersuchungsausschuss – Maut |