24.06.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 236 / Tagesordnungspunkt 9

Andreas RimkusSPD - Förderung und Unterstützung des Handwerks

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in der Tat nur sehr wenig handwerkliche Praktiker im Bundestag. Nach meinem letzten Informationsstand sind es weniger als 3 Prozent der MdBs, und so um die 1 Prozent sind, so wie ich auch, Handwerksmeister. Da passt: Ming Mam hätt emmer jesacht: Du bist schon jett einzich. – Insofern ist es richtig, dass wir uns heute mit dem Thema beschäftigen. Danke schön, übrigens, liebe FDP.

(Beifall bei der FDP)

Tolle Sache, dass wir das geschafft haben, 60 Minuten in der Primetime zu reden. Aber ob das inhaltlich immer richtig ist, werden wir jetzt sehen.

Ich finde nämlich, dass ich als Handwerksmeister einerseits und als Gewerkschaftsmann andererseits – ihr merkt schon, wo der Schwerpunkt liegt – eine ziemlich gute Vorstellung davon habe, wie außerordentlich wichtig die Arbeit der Handwerkerinnen und Handwerker für unsere Gesellschaft ist und welche Rolle die Anerkennung dieser Arbeit tatsächlich spielt. Ich will sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass Ihr Antrag durchaus ein paar kluge Ansätze mitbringt und einige kluge Beobachtungen anführt. Da ist zum Beispiel die Rede vom Handwerk als Wirtschaftsstabilisator in ländlichen Regionen. Es ist gerade hier aber herausgefordert durch demografischen Wandel und mangelnde Infrastruktur. Da ist auch die Rede von Fachkräftesicherung, von der Stärkung der beruflichen Ausbildung und einer deutlichen Betonung digitaler Kompetenzen.

Wie schade ist es aber, dass die FDP bei den konkreten Forderungen wieder in den steuerpolitischen Diskurs der 80er-Jahre zurückfällt. Die universelle Antwort auf alle Probleme: Steuersenkung – pauschal, undifferenziert, Prinzip „Gießkanne statt Skalpell“. Der Zimmerermeister im Dorf um die Ecke findet keinen neuen Lehrling. Ihre Antwort: Steuersenkung. Die Meisterin Sanitär, Heizung, Klima in der nächsten Stadt bräuchte drei weitere Gesellen, um die ganzen Aufträge für energetische Sanierung und Modernisierung zu bewerkstelligen, für die sie angefragt wird.

(Christian Dürr [FDP]: Klagen Sie gerade die gescheiterte Zuwanderungspolitik Ihres Koalitionspartners an, Herr Kollege?)

Ihre Antwort: Steuersenkung. Die Internetanbindung ist zu langsam, keine Aufträge sind da, weil Pandemie. Ihre Ansage: Steuersenkung. Es ist wirklich schade.

Dabei fängt Ihr Antrag besser an. Sie differenzieren sogar selbst: Ein Teil des Handwerks verzeichnet vor allem pandemiebedingt einen Umsatzrückgang, ein anderer Teil aber sogar ein Umsatzplus. Klar ist doch, dass das Hotellerie- und Gastgewerbe vor einer besonderen Herausforderung steht, anders als der Bau oder, lieber Manfred Todtenhausen, unser Elektrogewerk.

Die einen suchen händeringend neue Arbeitskräfte; die anderen sind froh, wenn sie dank Kurzarbeit niemanden entlassen müssen. Hier gibt es keine einfache, pauschale Antwort, jedenfalls keine, die sich nicht auf den zweiten Blick als relativ günstige Wahlkampfsprechblase entlarvt. Fest steht: Weite Teile des Handwerks stehen vor erheblichen Herausforderungen. Das verdient zweifelsohne die Aufmerksamkeit und Unterstützung der Politik. Aber das Prinzip „Gießkanne“ bringt dem Handwerk gar nichts. Vielmehr müssen wir mit zielgenauen Maßnahmen da helfen, wo es wirklich brennt. Da ist übrigens auch schon eine ganze Menge passiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige Beispiele. In puncto Digitalisierung und Breitbandausbau haben wir kürzlich die größte Überarbeitung des TKG, des Telekommunikationsgesetzes, seit mehr als einer Dekade vorgenommen. Mit dem Breitbandförderprogramm werden gerade auch graue Flecken und der ländliche Raum in den Fokus genommen. Das hilft nicht nur Privatpersonen, sondern natürlich auch den Betrieben in diesen Regionen. Stichwort „Fachkräftemangel“: 2019 hat diese Koalition das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen.

(Christian Dürr [FDP]: Das ist doch total lächerlich, was Sie erzählen!)

Zehntausende Fachkräfte haben von verbesserten Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Das hilft, und zwar enorm.

Angesichts der Pandemie haben wir das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ aufgesetzt und erst kürzlich verlängert, um Nachwuchs auch durch die Krise hindurch zu gewährleisten.

Solche Maßnahmen sind präzise. So setzen wir tatsächlich bei den Ursachen an.

Und ja, natürlich muss man auch die Finanzen in den Blick nehmen, wenn man dem Handwerk helfen will, aber doch nicht mit pauschalen Steuersenkungen, die einerseits dem individuellen Betrieb kaum etwas bringen, andererseits aber ein nennenswertes Minus beim Fiskus verursachen. Wenn wir in der Pandemie eins gelernt haben, dann doch wohl, wie wichtig es ist, ein solide finanziertes Gemeinwesen zu haben, zum Beispiel, damit wir in einer solchen Krisensituation mit passgenauen Instrumenten wie der Überbrückungshilfe denjenigen Handwerksbetrieben helfen können, die tatsächlich wegen der eingebrochenen Auftragslage existenziell bedroht sind. Was bringt denen bei Auftragsausfall eine Steuersenkung? Nichts. Denen hilft es auch nicht, wenn wir den Soli sofort abschaffen, den im Übrigen ohnehin kaum noch ein Handwerker bezahlt.

Wenn ich als Sozialdemokrat hier vom Handwerk spreche, dann meine ich das anders, als das anscheinend in dem FDP-Antrag steht: Ich meine eben nicht nur den Meister oder den Eigentümer des Betriebes, sondern auch den Lehrling, die Gesellin, diejenigen also, die wahrscheinlich nicht zu den 10 Prozent verbliebenen Gutverdienern in unserer Gesellschaft zählen, die überhaupt noch Soli zahlen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jan Korte [DIE LINKE] und Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christian Dürr [FDP]: Eine ganz normale GmbH! Ein solcher Quatsch!)

Vor diesem Hintergrund können wir dem Antrag natürlich nicht zustimmen.

Aber hören Sie, ich will auch gar nicht nur meckern. Es sind ja durchaus kluge Ansätze in dem Antrag. Ich freue mich jedenfalls, wenn die Wichtigkeit des Handwerks einerseits und die besonderen und sehr verschiedenen Herausforderungen und Ansprüche dieses tragenden Wirtschaftsbereiches andererseits mehr in den Vordergrund geraten.

Wir alle können nicht in die Zukunft sehen. Wer weiß, in welcher Konstellation wir hier in einem halben Jahr sitzen. Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, dass wir als SPD-Fraktion auch in der kommenden Wahlperiode wieder zur Verfügung stehen werden, um uns der Sorgen und Nöte des Handwerks anzunehmen und es zu unterstützen und zu stärken. Ich freue mich fast über jeden – fast über jeden –, der mitmachen möchte und dies gemeinsam mit uns erreichen will.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch den Wahlkampfsommer! Bleiben Sie gesund! Hoch lebe das Handwerk!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Alexander Ulrich, Die Linke, ist der nächste Redner.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7530610
Wahlperiode 19
Sitzung 236
Tagesordnungspunkt Förderung und Unterstützung des Handwerks
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